Am späten Nachmittag begann die „Lange Nacht des Tanzes“ des Center for Choreography Bleiburg/Pliberk (CCB). Sie endete um Mitternacht mit einem von der Regisseurin Anna Hein choreografierten Finale mit allen Künstlern. Beinahe sieben Stunden lang konnte das Publikum entspannt von einer Station zur nächsten wandern, die in präzisem Timing aufeinander abgestimmt waren und eine faszinierende Bandbreite an tanzkünstlerischen, musikalischen und performativen Interventionen miterleben.
Die Route X und Y, die Anna Hein dem Publikum vorschlug, begann mit einem dynamischen Auftakt der Golden Jumpers auf dem Hauptplatz hinter dem Brunnen der Bleiburger Vorzeigekünstlerin Kiki Kogelnik. Anton Lachky, der seine Choreografie mit Studenten der Konservatorium Wien Privatuniversität kreiert hatte, ist damit ein richtiger Muntermacher gelungen, der das Publikum bestens auf die Tanzwanderung einstimmte. Die beiden Routen trafen sich zur Halbzeit beim ebenso mitreißenden Höhepunkt des Abends, beim choreografierten Konzert „Dancing with the Sound Hobbyist“ mit der Zita Swoon Group und Simon Mayer. Auf der mit Perkussion-Instrumenten, einem Klavier und jeder Menge Sound Equipment überladenen Bühne des Kulturni Dom versucht sich der Tänzer Simon Mayer immer wieder mit raumgreifenden Aktionen zu behaupten. Musiker und Tänzer – dazu zählen auch die beiden Sängerinnen, die Simon Mayer bei den Bewegungsaktionen anmutig unterstützten – im Kampf um den Platz, aber immer in wunderbarer Harmonie miteinander. Die Indie-Band besticht gleichermaßen mit groovigem Rock, einschmeichelnden Balladen und jazzigen Einlagen – schade nur, dass man als Zuschauer auf einem Sessel klebt, denn diese Musik fährt direkt in die Beine. Nicht verwunderlich also, dass Mayer vor sechs Jahren diese Band für sein einzigartiges Tanzkonzert auswählte. Nun fand die Ursprungsbesetzung für zwei Termine in Kärnten wieder zusammen (das zweite Konzert war am 1. August in Millstatt). Hoffentlich nicht zum letzten Mal!
Zwischen diesen beiden Fixpunkten der „Langen Nacht des Tanzes“ boten die beteiligten Künstler mit ihren Kurzstücken nicht nur site-spezifische Arbeiten, sondern verknüpften sie meist auch mit einem individuellen oder gesellschaftlichen Thema.
Ganz besonders berührend gelang das dem slowakischen Tänzer und Choreografen Jurij Konjar (wie Lachky Gründungsmitglieder der legendären Gruppe „Les Slovaks“) mit „Sobi – Zwei Zimmer“. In einem intimen Setting mit dem Publikum (das auf eine kleine Zahl beschränkt war) spürte er im Werner Berg Museum dem Geist des Malers nach. Einige Steine, Zweige und ein Seil, das die Zuschauer miteinander verband, reichen aus, um die außergewöhnlichen Bilder Werner Bergs aus einem neuen Blickwinkel erleben zu lassen. Mit Konjars sparsamen, tänzerischen Einschüben verwandeln sie sich in das Portrait eines Ortes, einer Zeit, einer Empfindung, einer Sinnsuche.
Die Florentinerin Luisa Cortesi verrenkt ihren Körper zu extremen Positionen. Am Anfang erscheint sie als Frau ohne Arme, dann werden diese zu scheinbar unabhängigen Körperteilen, die sie wie ein Partner umfangen. Vor dem goldenen Altar von Werner Berg wirkt sie – ganz in schwarz gekleidet – wie eine biblische Figur. Das Ende, wenn sie ihren Körper auf dem Boden sitzend in einer unendlichen Spirale um die eigene Achse zu bewegen, bekommt so eine nahezu allegorische Bedeutung.
Eva Müller nützte den Innenhof des Raiffeisen-Gebäudes für die Inszenierung von „chiaroscuro“ auf zwei Ebenen. Zu ebener Erde schlüpft sie mit einem formbaren Reifrock in verschiedene Rollen. Hoch über ihr ist ein Bullauge sichtbar, in dem sie schließlich als eine Art Dämon erscheint – in Konflikt mit ihrem irdischen alter ego. In dieser zwanzig-minütigen Performance, die Eva Müller als CCB-Residenzkünstlerin im Domenig-Steinhaus am Ossiacher See realisierte, besticht sie durch außergewöhnliche Präsenz ebenso wie durch detailgenaue Präzision.
Vor der Kulisse des Bründls, einem Teich mitten in Bleiburg wirkt die Identitätssuche von Leonie Wahl wie eine literarische Parabel. Das Solo „Exit Two-Four-One“ in der Choreografie von Elio Gervasi thematisiert den emotionalen Widerstreit einer Frau auf der Suche nach sich selbst. Wenn Wahl am Ende auf der Sofalehne vor dem See balanciert, wird sie für mich unwillkürlich zu Virginia Wolf. – Auch wenn der Tänzerin der Absprung auf den sicheren Boden des Bootsstegs gelingt.
Ein leerer Pool wird zu einem geschlossenen Raum für das Männertrio unter der Leitung von Mario Coccetti, in den wir von oben hineinschauen. Die eindringlichen Interaktionen der schwarz gekleideten Männer in dem seit Jahren ungenutzten Pool, dessen Boden und Wände im einfachen, aber wirkungsvollen Bühnenlicht blau-golden schimmern, machen diese Station zum ästhetischen Highlight der „Langen Nacht“ und evozieren Bilder von Gefangenschaft, Ausbruchsversuchen und deren Scheitern, bei der die drei ihre Würde gegen alle Widrigkeiten verteidigen.
Um diese Frage geht es Gloria Benedikt in ihrem Stück „Über die Würde“, die sie anhand von Kants „Kritik der reinen Vernunft“ abzuleiten und auf die heutige Flüchtlingssituation anzuwenden versucht. Ihr Beitrag gab den Anstoß dazu, die im Flüchtlingsheim Bleiburg untergebrachten Migranten zur „Langen Nacht des Tanzes“ persönlich einzuladen. Denn als Teil ihrer Choreografie für das Forum Alpbach widmete Benedikt ihren Beitrag den Menschen, die derzeit weltweit auf der Flucht sind.
„Die Lange Nacht des Tanzes“, eine Veranstaltung des CCB am 31. Juli in Bleiburg/Pliberk