Sieben Stunden lang ging es ging es rund im beschaulichen Millstatt, wo, veranstaltet vom Choreographic Center Bleiburg/Pliberk (CCB), die „Lange Nacht des Tanzes“ die ehrwürdigen Balken des Kongresshauses, die ausladenden, mächtigen Mauern des Stiftes sowie die Seepromenade mit ihrem historischen Sprungturm in belebenden Schwung versetzte. Dass auch „himmlische Energien“ ihr Wörtchen mitredeten, wäre nicht unbedingt notwendig gewesen...
Aber Dank ruhiger Organisations-Hand von Anna Hein, die zum dritten Mal die Verantwortung für das „größte Tanzfest Kärntens“ hatte, sowie professioneller Gelassenheit aller Beteiligten (basierend auf einem vorbereiteten Regenprogramm), lief die gesamte Veranstaltung, wenn auch mit kleinen Abstrichen (die bespielbaren Orte im Freien betreffend), rund über die Bühne respektive durch „Die bewegte Stadt“, wie das Motto lautete. Knausrig war man beim Zusammenstellen des Angebot wahrlich nicht vorgegangen: 30 Programmpunkte auf (geplanten) zehn Bühnen, dargebracht von 60 KünstlerInnen, die zum Großteil auf internationale Erfahrung und Anerkennung verweisen können. Zusätzlich war man um eine breite Vielfalt bemüht, wie Regisseurin Anna Hein dem ORF Kärnten gegenüber betont hatte, ergänzt durch die Feststellung, dass die Veranstaltung nicht nur etwas für ausgeprägte Tanzfans werden sollte, sondern Tanz und Musik (anregend ungewöhnlich, breit angelegtes Soundkonzept zwischen Volksmusik und ALMA: Julian Gamisch) für „die ganze Familie“; ein wiederum erfolgreich umgesetztes Konzept.
Eine Klasse für sich ist der Belgier Alexander Vantournhout mit seinem Cyr Wheel, einem Sport- oder Akrobatikgerät, wie die nüchterne Definition dieses Rades lautet. Aber schon im „solistischen“ Prolog seiner „Balade“ wird klar: Hier geht es weit mehr um eine sehr persönliche, zurückhaltend-feinsinnig durchdachte und choreographierte Bewegungssprache, die sich, sobald er seinen „Partner“, das Rad, einbezieht, zu einem bezaubernd respektvollen Dialog mit diesem entwickelt; einem zärtlich aufmerksamen der leichtfüßigen, feinstofflichen Art – und einem technisch hochwertigen, „feinrädigen“ obendrein.
Zwei der Produktionen waren ganz besonders durch die wunderbare, von Gamisch zeitgenössisch verfremdeten Musik der Gruppe „ALMA“ getragen und geprägt; außerdem verband sie eine jeweils konzeptbestimmende Auseinandersetzung mit dem Ort in einer Qualität, wie sie bei den allgemein zahlreichen site-specific Performances nicht oft zu erleben ist: Francesca Foscarini und Valentina Dal Mas tauchen in „Beyond the Night“ einerseits durch ihr einfaches aber sehr konzentriertes Bewegen geradezu ein in den geschichtsdurchtränkten Boden des Klostergartens und stellen andererseits in ihrer Sequenz zwischen den archaischen Steinskulpturen Georg Planers eine Verbindung her zwischen Vergangenem und dem Jetzt; weniger an performativer Dichte gelingt ihnen allerdings im Atelier, denn da ist es vor allem der durch den Blick durch Fensterrahmen „geteilte“ Sicht, die Aussagekraft entwickelt.
Von gleichermaßen berührender wie kraftvoller Prägnanz präsentiert sich die Performance von Dante Murillo & Pavel Dudus im Kreuzgang: So machen sie einerseits durch ihr empathisches Bewegen/Gehen auf dem Boden dessen Beschaffenheit dem Zuseher erst langsam bewusst, die tragende Erde greifbar und damit zu einem Erlebnis. Andererseits kreieren sie im hochemotionalen Miteinander Bilder der christlichen Passion und/aber auch solche der immerwährenden Wandlung in jeglicher Art von Kommunikation. Ein außergewöhnlicher Eindruck – trotz aller Wetterunbilden.
Auch wenn der Faktor des „Ortsspezifischen“ für die Show auf dem Sprungturm von Tanzakrobatin Silke Grabinger und der Gruppe „Urban Playgrounds“ in gewisser Weise ganz besonders gilt und jedenfalls Spektakuläres erwarten ließ, war sie dieses nur beschränkt und vor allem von ungleich geringerer Tiefenwirkung; die Anforderungen an ein nachvollziehbares, qualitätsvolles Tun in größerer Entfernung werden freilich immer wieder unterschätzt oder aber man flüchtet wie hier in eine doch sehr banale Geschichte.
Die „Hungry Sharks Breakdance Crew“, deren Outdoor-Auftritte dem Regen zum Opfer fielen, hatten es im Kongresshaus in atmosphärischer Hinsicht zwar auch nicht ganz einfach, aber das hielt das Publikum von seiner Begeisterung nicht ab. Einer, die wie die Autorin dieser Zeilen, nur einen Schlussteil sehen konnte, vermittelte sich in den erlebten Wiederholungen einer grundsätzlich durchdacht abgestimmten Choreographie allerdings nicht das Können, das dann zum Abschluss der Langen Nacht in der sehr nett gestalteten Schluss-Sequenz aller Künstler, in ihren kurzen Einzelauftritten sehr wohl sichtbar wurde.
Die starke Persönlichkeit und Bühnenpräsenz sowie das überschäumende improvisatorische Können, die interaktive Kraft einer Iris Heitzinger ist ein performatives, mitreißendes Statement für sich. Selbst dann, wenn es dem eingangs von ihr selbst charmant erläuterten Konzept an Konsequenz und Stimmigkeit fehlt.
Die kleine Sequenz von Elio Gervasi und Leonie Humitsch ging auf der Freiluftbühne und zu später Stunde weitgehend unter, wobei die geringe Nachhaltigkeit nicht nur diesen Umständen zuzuschieben ist: Originelle Requisiten und (im Fall Gervasis) vieljährige umfassende Erfahrung und Können allein, machen leider noch keine überzeugende Choreographie.
Letzteres, das Faktum einer nicht wirklich greifenden Choreographie, gilt insbesondere auch für den mit seinem tänzerischen Können sehr wohl überzeugenden Kärntner Lukas Zuschlag und seiner Uraufführung von „(Un)Square Me“. Sein zumeist kraftvoller, aber auch sensibler Bewegungsfluss ist ein visuelles Vergnügen. Aber schon die Zweiteilung der behandelten Thematik in Schein und Sein wie auch ihre Art des Ablaufs ist eine recht vereinfachte. Den damit verbundenen Konsequenzen fehlt es an verankerter, an in perspektivischer oder formaler Umsetzung überraschender oder individueller künstlerischer Umsetzung bzw. choreographischer Gestaltung und damit an künstlerisch-individueller Kraft. Was sich entwickelt – und es entwickelt sich wenig - dreht sich in Erwartetem, Bekanntem; die zur Schau gestellten großen Emotionen verlaufen, verlaufen an der Oberfläche.
Reich an (all) gegenwärtigen Bildern, an kritischen Denkanstößen, Assoziationsangeboten und offen gegenüber zahlreichen Perspektiven und Interpretationen (von der eigenen, der künstlerischen Seite her wie für die des Publikums): So bunt, so herausfordernd, so widersprüchlich, so beängstigend und irrsinnig wie es ist, das Träumen vom und das tatsächliche „Here an Now“, ist das, was als Uraufführung dieses Namens im Art Space von Andrea K. Schlehwein / Netzwerk AKS als einer der zentralen Programmpunkte gezeigt wurde. Ein tänzerisches Kaleidoskop voller Überraschungen, voller Faszination des Grotesken in dem man sich (auch) verlieren kann – bis man wieder aufschreckt angesichts einer unerwarteten Wendung, Entwicklung, Bedrohung; kreiert und installiert in einem Bühnenraum aus zwei durch Türen miteinander verbundenen Zimmern. Dieser wie auch das Konzept, die Choreographie, Kostüme, Soundtrack und Licht sind das Werk Schlehweins.
Strukturell wie thematisch eingebettet in und begrenzt durch das, was das Ich und das Wir ausmachen, suchen die neun internationalen TänzerInnen des AKS (ihren) Raum und (ihre) Rolle; zielstrebig, taumelnd, verloren, aggressiv. Ausnahmslos im Wissen und in authentischer Anwendung ihres Könnens: Ein rundweg gelungenes, 90 Minuten lang packendes, überbordendes Tanz-Geschehen, getanztes Bild des Jetzt; oder „neudeutsch“: ein getanzter Screen-Shot (eines Stückchens) unserer Welt, poetisch beunruhigend.
„Die Lange Nacht des Tanzes“ am 22. Juli in Millstatt. Eine weitere Ausgabe gibt es am 29. Juli in St. Kanzian / Klopeinersee.
„Here and Now“ vom Netzwerk AKS / Andrea K. Schlehwein (UA am 22. Juli) ist noch am 26. Und 27. Juli im Stift Millstatt zu sehen.
„Hidden in Plain Sight“ von Hungry Sharks / Valentin Alfery wird am 11. Und 13. August im Kulturni Dom in Bleiburg/Pliberk zu sehen.
.