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Fast 30 JInferno0ahre sind vergangen, seit Xin Peng Wang seine Heimat nach dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz in Peking 1989 verließ. Er selbst bezeichnet es als Zufall oder Schicksal, dass er damals von China ausgerechnet ins Ruhrgebiet nach Deutschland kam. Der „Ruhrpott“ - auch das „Revier“ genannt - wurde seine neue Heimat und Wirkungsstätte, der er bis heute treu geblieben ist.

Auf eine klassische Ballettausbildung in seiner Heimatstadt Dalian in der Volksrepublik China folgte ein vierjähriges Choreografiestudium an der Tanzhochschule in Peking. In Deutschland angekommen vervollständigt Xin Peng Wang seine Ausbildung mit einem Zusatzstudium für Modernen Tanz an der Folkwang Hochschule in Essen, jener Wirkungsstätte an der auch Pina Bausch unter der Leitung von Kurt Jooss ihre Tanzausbildung erhielt. Xin Peng Wang bekam ein Engagement als Tänzer am Aalto Theater in Essen und übernahm ab 1996 weltweit Engagements als freier Choreograf. Seit 2003 ist Xin Peng Wang Ballettdirektor am Theater Dortmund, an dem er seitdem mehr als vierzig verschiedene Produktionen kreiert hat. Unter seiner Leitung hat sich das Ballettensemble am Theater Dortmund zu einer international geachteten Compagnie entwickelt. Die von ihm 2014 gegründete NRW Junior Academy ist heute ein begehrter Standort für professionell ausgebildeten Ballettnachwuchs, der in Dortmund eine spezielle Förderung erfährt.

Seine letzten Handlungsballette „H.a.m.l.e.t. – Die Geburt des Zorns“, „Der Traum der roten Kammer“, „Zauberberg“, „Faust I“ und „Faust II“ bewiesen seine große Vorliebe für die bedeutenden Werke der Weltliteratur. Für die diesjährige Produktion hat sich Xin Peng Wang einer ganz besonders ambitionierten Aufgabe gestellt. Mit dem „Inferno“ aus der Göttlichen Komödie von Dante Alighieri bringt er einen Stoff auf die Bühne, der wie kaum ein anderes Werk seit 700 Jahren die Fantasie der Menschen beflügelt. Es ist der erste Teil eines monumentalen Triptychons, deren drei Teile Xin Peng Wang zwischen 2018 und 2021 realisieren wird. Im 700 Todesjahr Dantes, 2021, werden schließlich alle drei Teile der Göttlichen Komödie, „Inferno“, „Purgatorio“ und „Paradiso“ an einem langen Tanzabend in der Reviermetropole Dortmund zu sehen sein.

Inferno1Zu den Cello-Klängen einer Komposition von Kate Moore sieht man Dante gefangen in einem Wald aus Ketten, Sinnbild eines Lebens im Exil, zu dem der im Jahre 1302 aus seiner Heimatstadt Florenz vertriebene Dichter, Politiker und Philosoph gezwungen war. Als Vogelfreier irrte er die letzten neunzehn Jahre seines Lebens durch die Städte Nord- und Mittelitaliens. In dieser Zeit entstand die „Göttliche Komödie“, ein wortgewaltiges Werk an dem er fünfzehn Jahre seines Lebens arbeitete. Seine Heimatstadt Florenz sollte er bis zu seinem Tod, kurz nach der Vollendung seiner „Divina Commedia“  am 14. September 1321 in Ravenna, nie wieder betreten.

Inferno2Das 2001 von Michael Gordon komponierte, aus sechs Teilen bestehende, postminimalistische Werk „Decasia“ ist Soundtrack und verbindendes musikalisches Element für Xin Peng Wangs Inszenierung der Hölle. Das für den gleichnamigen Experimentalfilm von Bill Morrison geschaffene Werk basiert auf einem durchgehenden, ostinaten Rhythmus, der durch Schichten von in sich und gegeneinander verstimmten Instrumentengruppen überlagert wird. Michael Gordons klanggewaltiges Werk ist beileibe keine leichte musikalische Kost. Es gibt kein Entrinnen aus dem hypnotisch, unablässig treibenden Rhythmus und disharmonisch gegeneinander verschobenen Klängen. Die Emotionen die diese akustische Hölle wachruft offenbaren sich irgendwo zwischen Faszination und tiefem emotionalem Unbehagen. Xin Peng Wang hätte kaum ein geeigneteres Werk für sein „Inferno“ finden können.

Inferno3Dante, verbittert durch sein eigenes Schicksal und die Wirren seiner Zeit verliert den Weg in einem Wald, dessen dunkle Gestalten ihn von allen Seiten bedrängen. Zu seiner Rettung, von Beatrice, einer verstorbenen Jugendliebe gesandt, erscheint ihm, der von ihm so verehrte altrömische Dichter und Epiker Vergil. Gemeinsam brechen sie auf zu einer fantastischen Reise zu den Abgründen der Hölle, dem „Inferno“, durch die Pforte des „Purgatoriums“ auf den Läuterungsberg und schließlich durch die neun himmlischen Sphären des Paradieses ins „Paradiso“.

Inferno4Der international renommierte Kostümbildner Bernd Skodzig schuf die eindrucksvollen und gleichermaßen anatomisch wie verstörend erotisch wirkenden Kostüme der Tänzer, die im perfekt gesetzten Licht von Carlo Cerri wie eine kunstvoll aufgebrachte Körperbemalung wirken.

Inferno5In Xin Peng Wangs Formensprache finden klassische und moderne Elemente des Tanzes auf harmonische Weise zueinander. Spitzenschuhe sucht man in dieser Inszenierung vergebens.

Inferno6Die Hölle, wie sie Dante beschreibt, hat die Gestalt eines Trichters. Acht konzentrische Kreise müssen durchschritten werden um zum neunten Kreis zu gelangen. Auf dessen Grund begegnen Dante und sein Gefährte Vergil, in einer Fläche aus Eis eingefroren, dem gefallenen Luzifer der in seinen drei Mäulern die Erzverräter Judas, Brutus und Cassius zermalmt.

Inferno7Das Bühnenbild Frank Fellmanns kommt dabei ohne die Darstellung eines Menschen quälenden Teufels aus. Im Hintergrund dominiert die Bühne abwechselnd eine weiße Spirale und ein Turm aus Stahlstreben, über den die Tänzern sich in den Höllenkreis hinab begeben und daraus hervor, dem Licht entgegen streben.

Inferno8Das „Inferno“, das wir am Dortmunder Theater erleben dürfen, geht nicht zuletzt zurück auf die erfolgreiche Zusammenarbeit des Choreografen Xin Peng Wang mit dem in Wien gebürtigen Christian Baier der hier für Konzept, Szenario und Dramaturgie verantwortlich zeichnet. Es ist ein in visueller und musikalischer Hinsicht beeindruckendes, radikales Werk mit dem das Theater Dortmund mit einem hervorragend aufgestellten Ensemble einmal mehr seinen ausgezeichneten Ruf über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus bestätigen kann.

Inferno9Xin Peng Wangs Inszenierung folgt nicht durchgängig der Beschreibung des Danteschen Inferno, den Weg der zwei Gefährten vom Höllentor hinab zu Satan, im ewigen Eis des Erdmittelpunkts. In der Göttlichen Komödie ist es Dantes Jugendliebe Beatrice, die den Dichter Vergil beauftragt, Dante durch die Höllenkreise und das Purgatorium zu führen. Während sie im Original des Dante Textes erst am Eingang des Paradiso die Gefährten durch die neun himmlischen Sphären zur Erlösung führt, taucht sie in der Inszenierung Xin Peng Wang bereits im ersten Teil, dem „Inferno“ auf.

Inferno10Xin Peng Wang geht es nicht um die Chronologie der Ereignisse die Dante uns auf seinem Weg durch das Jenseits so detailreich schildert. Sein Inferno geht über die bloße Illustration der Hölle hinaus, dem Ort ewiger Verdammnis, der nicht zuletzt durch Dantes überaus präzise Beschreibung jener dort zu erwartenden Qualen, maßgeblich Eingang in die christliche Vorstellungswelt gefunden hat.

Inferno11Der Abgrund, in den Xin Peng Wang sein Publikum blicken lässt, ist eine Hölle des Diesseits. Wangs Inferno lässt uns in unsere eigenen Abgründe schauen. Eine Reise zu den Untiefen einer zutiefst barbarischen Seele. Hier ist Wang in seiner Beschreibung des Grauens ganz nah bei Joseph Conrads „Heart of Darkness“. Der Ort der Verdammnis ist keine jenseitige Hölle. Es sind die Gräuel, zu denen wir Menschen selber fähig sind.

Ballett Dortmund und NRW Juniorballett: "Inferno". Premiere am 3. November 2018 am Theater Dortmund. Weitere Aufführungen am 17., 23., 25., 29. November 2018 sowie 24. Januar und 08., 17. Februar 2019

PS

Die in der Reportage verwendeten Aufnahmen entstanden während der Hauptprobe mit der zweiten Besetzung. Zur Premiere am 3. November traten in Solorollen auf: Lucia Lacarra (Beatrice), Javier Cacheiro Alemán (Dante), Dustin True (Vergil), Cyril Pierre (Charon)

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