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szene bunte wähne 13. Tanzfestival für junges Publikum

Das Programm des szene bunte wähne Tanzfestivals hinterlässt beim Angebot für die Altersgruppe 10+ gemischte Gefühle. Das szene bunte wähne Tanzfestival für ein jugendliches Publikum ist jedes Jahr eines der Highlights des jährlichen Tanzkalenders.  Publikumsmangel kennt dieses Festival nicht, werden doch die kulturellen Angebote von Eltern und Schulen freudig angenommen, da die Organisatoren auch immer ein Vermittlungspaket mit anbieten. Dieses ist beim heurigen Festival besonders wichtig, ist doch die eine oder andere Produktion Tür und Tor für Missverständnisse geöffnet. Doch davon später.


Ort der Begegnung
Die Eröffnung der diesjährigen Ausgabe des Festivals hätte jedenfalls nicht besser gelingen können. Dem Tanzquartier ist mit dem Gastspiel von Pina Bausch' „Kontakthof. Mit Teenagern ab 14“ ein genialer Coup gelungen. Der Einfluss von Pina Bausch auf das Theater und den Bühnentanz ist bereits Legende. Mit der Erweiterung des Tanzvokabulars durch Sprache, Alltagsgestik und persönliche Geschichten der DarstellerInnen bereitete sie aber auch für den Community Dance einen fruchtbaren Boden. Mit ihrem Bekenntnis: „Mich interssiert nicht so sehr, wie sich Menschen bewegen, sondern was sie bewegt“ hat sie den Tanzbegriff aus der ästhetischen Ecke geholt und einem weiten Experimentierfeld zugänglich gemacht. Ihr Einfluss ist auch durch das ganze szene bunte wähne Tanzfestival hinweg sicht- und spürbar.
Bausch selbst hat ja erst spät die Arbeit mit Laien selbst in Angriff genommen, indem sie zuerst „Kontakthof. Mit Damen und Herrn über 65“ (2000) und anschließend eben mit den Teenagern inszenierte (2008).
„Kontakthof“ ist ein Meilenstein in der künstlerischen Entwicklung der im letzten Jahr verstorbenen Choreografin und verkörpert die Essenz ihrer Stationendramaturgie. Die Struktur des Stückes, ein Ort der vielfältigen Begegnungen, bleibt bei der Arbeit mit den Jugendlichen vollständig bestehen. Die Szenen, in denen seinerzeit die TänzerInnen des Tanztheater Wuppertal ihre persönliche Erfahrung darstellten, wurden nun mit den Erlebnissen der Jugendlichen „gefüllt“. Dadurch bleibt im „Kontakthof. Mit Teenagern ab 14“ einerseits das choreografische Meisterwerk intakt und gewinnt andererseits durch die DarstellerInnen eine neue Perspektive.
An Professionalität wurden hier keine Abstriche gemacht. Klar, die Jugendlichen sind keine ausgebildeten TänzerInnen wie die Mitglieder des Tanztheaters Wuppertal. Auch wenn ihre Bewegungen nicht so perfekt „sitzen“ wie bei den Profis, auch wenn ihre Erscheinung den Maßstäben eines Tänzers oder einer Tänzerin nicht genügen (würden), so haben sie doch eine Produktion auf die Beine gestellt, in der sie ihre Rollen überzeugend spielen und das Publikum in ihren Bann ziehen. Die sorgfältige Einstudierung und Probenarbeit der Bausch-TänzerInnen Bénédicte Billiet und Josephine Anne Endicott haben die Integrität dieses Werkes in vollem Umfang erhalten und die Jugendlichen zu Höchtsleistungen motiviert. Das dreistündige Stück verlor nie seinen Rhythmus, die Spannung und die Leichtigkeit dieser Montage blieben immer erhalten. Die 28 Jugendlichen, die in Wuppertal zur Schule gehen, hätten sich kein besseres Coaching wünschen können und haben sich vollends auf diese komplexe Arbeit eingelassen. Wie viele der Arbeiten von Pina Bausch ist auch „Kontakthof“ vom Gesellschaftsbild der 1950er Jahre geprägt. Das Gefühlsspektrum der Menschen hat sich aber offensichtlich nicht gravierend verändert, denn die Teenager scheinen mühelos an die Emotionen und die Scharmützel zwischen den Geschlechtern andocken zu können. Damit war am ersten Abend ein leuchtendes Beispiel für die künstlerische Arbeit mit (in diesem Fall jugendlichen) Laien zu sehen. Demnächst kommt übrigens die Doku „Tanzträume - Jugendliche tanzen Kontakthof von Pina Bausch“ ins Kino.

Ort der Findung

Die offiziellen Eröffnung des Festivals fand zuvor im brut wien statt, mit einem der profiliertesten Choreografen für Kinder und Jugendliche und Stammgast beim szene bunte wähne Tanzfestival: Ives Thuwis des belgischen Theaterateliers Kopergietery. Auch in diesem Jahr waren seine Stücke die Highlights des Festivals.
Abhängig von den DarstellerInnen sind seine Arbeiten jeweils auf diese abgestimmt. In Dramturgie, Aufbau, Choreografie und Musikauswahl ist seine künstlerische Verwandtschaft zu Pina Bausch offensichtlich. Auch ihm gelingt es mit viel Humor und Leichtigkeit das Gefühlsspektrum seiner DarstellerInnen erfahrbar zu machen.
Für „Als der Tag verschwunden war“ sind 13 DarstellerInnen zwischen 8 und 15 Jahren auf der Bühne und die Selbstverständlichkeit mit der sie in dieser Choreografie agieren, lässt darauf schließen, dass sie mit Bühnen- und Bewegungsarbeit vertraut sind. Thuwis und die Regisseurin Eva Bal nahmen die Gedichte des niederländischen Dichters Hans Lodeizen (1924-1950) zum Ausgangspunkt für ihre Stimmungstableaus genommen, sind sie doch ein direkter Ausdruck des Gefühls, jung zu sein. Da treffen ungebändigte Lebenslust auf Melancholie, Verliebtsein auf Verlassen-Werden, Sehnsucht auf Hoffnung. Die Kinder suchten in ihrem Leben Verbindungen zu Lodeizens Dichtung und entwickelten Szenen, die Thuwis und Bal zu einer poetischen, temporeichen und berührenden Montage aus Worten, Tanz und Jazzmusik zusammensetzten. Leider kam in Wien die Dernière zur Aufführung, denn dieses Stück würde es verdienen noch lange gespielt zu werden.
Nachdem sich Thuwis in den vergangenen Jahren wiederholt mit Testosteron-geplagten jungen Männern auf Identitätssuche begab, hatte er sich in „Girls!Girls!Girls!“ mit dem schönen Geschlecht zu tun. Dass dieses zahmer ist als  ihr männlicher Counterpart entpuppte sich bei dieser Produktion des Jungen Schauspiels Hannover als überholter Mythos, denn diese 11 jungen Frauen überraschten mit ihrer entwaffnenden Offen(herzig)keit, ihrem Witz und ihrer Selbstironie. Stars, Karrierefrauen oder Mutter - die Suche nach dem eigenen Weg ist komplex und voller Fallen. Die Girls aus Hannover untersuchen sie mit Lust am Klischee und halten damit nicht nur ihren Altersgenossen einen Spiegel vor, der manche von ihnen wohl peinlich berühren mag. Abgesehen davon setzen sie den Mix aus Show, Tanz und (Selbst-)Darstellung mit Temperament und vollem Engagement um. Thuwis hat jedenfalls nicht zensierend eingegriffen und die Jugendlichen wieder dort abgeholt, wo sie sich zur Zeit befinden.

Orte der Verwirrung
Kabinet K., ebenfalls aus Belgien, hat in den letzten Jahren immer wieder tolle Arbeiten nach Wien gebracht. Umso erstaunlicher, dass diesmal ein Stück herausgekommen ist, das die Kinder in ihrem Freiraum einschränkt. Gerade die Erforschung desselben ist laut Programmheft aber Thema des Stücks „Unfold“ von Joke Laureyns und Kwint Manshoven. In der Vormittagsvorstellung führte das Stück bei den ZuschauerInnen ab 9 aber zu einigem Unmut und verunsicherte die drei Kinder auf der Bühne zusehends. Das vorsichtige, an Pathos grenzende Ausloten von Befindlichkeiten, wollte einfach nicht von der Stelle kommen. Das abstrakte Konzept, eine sehr reduzierte Choreografie (ausgeführt vom Tänzer Kwint Manshoven und den Kindern), die dazwischen eingestreuten Späßchen, die den „sicheren Lacher“ bringen, die Balladen von Gittarist und Sänger Niko Hafkenscheid schweben richtungslos im Raum. Man hat das Gefühl, dass auch die Kinder (9 und 11 Jahre alt) nicht wirklich wissen, was sie auf der Bühne tun - außer jener Szene, in dem Silke zur etwas lebhafterer Musik einmal so richtig abtanzen kann und alle mit Sonnenbrillen auftreten. Aber schließlich enden alle auf einer Decke vor einem Zelt in einer Art Lagerfeuerromantik.
„Pitsers“ hieß das Stück für Zuschauer ab 14 des belgischen Produktionshauses fabuleus, bei dem es um das Thema Gewalt ging. Die elf Jugendlichen werfen ihre gesamte Energie ins Zeug, schmeißen sich und die zahlreichen Stühle über die Bühne, rennen, intrigieren, quälen - teils physisch, teils über Zeichnungen, die mit Overheadfolien auf eine Leinwand und über das „Opfer“ projeziert werden. Ein klug aufgebautes und sehr gut umgesetztes Stück, und dennoch ein Negativ-Beispiel für Jugendtheater. Denn was hier völlig offenbleibt, ist die Haltung der Theatermacher gegenüber dem gewählten Thema. Ob es sich um die alltägliche Schulhof-Rangelei, den angekündigten Gruppenselbstmord oder Amoklauf handelt - die Energie, der Output und der Raum für diese körperlich ausagierten oder verbal geäusserten Gewaltakte bleibt immer auf einer Ebene. Unverständlich, ja eigentlich schockierend, dass die Verantwortlichen Jef van Gestel und Karoline Verlinden bei diesem derart brisanten gesellschaftlichen Thema jeglicher Differenzierung aus dem Weg gegangen sind.
Eine großartige Performance bot Andreas Denk (Niederlande) mit seinem Solo „Sophie“. Ein dem Alkohol anhängender Mann auf einem Spießrutenlauf durch sein Atelier. Mit akrobatisch-geschickten Manövern schlängelt er sich durch die herumliegenden Holzstücke und Werkzeuge, hämmert einen Sarg (für Sophie?) und säuft sich zwischendurch durch zahlreiche Gläser und Flaschen. Bei aller Kunstfertigkeit, die Andreas Denk mit dieser Performance beweist und die Betroffenheit, die er auslöst, stellt sich die Frage ob die ZuschauerInnen (ab 10) den thematischen Zusammenhang zwischen dem Titel und dem Alkoholgenuss herzustellen wissen.
Klarheit in der Aussage und Einstellung zu einem Thema ist eine der wichtigsten Ingredienzien der Arbeit mit und für Jugendliche. Gerade in einer Zeit, wo die Auseinandersetzung mit ihren Bedürfnissen sehr oft zu kurz kommt, ist die Verantwortung der KünstlerInnen umso größer. Bei Kindern und Jugendlichen darf diese Aufgabe nicht zu kurz kommen.

szene bunte wähne 13. Tanzfestival für junges Publikum, Tanzquartier, brut, Dschungel, WUK Wien, 26.02.2010 bis 07.03.2010