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akramkhan_vertical_roadMit acht speziell ausgewählten TänzerInnen zeigt der Tänzer und Choreograf Akram Khan den senkrechten Weg aus der sich immer schneller drehenden Welt. „Vertical Road“ ist ein berauschendes Tanzerlebnis, ein Wirbel der Körper, Arme und Beine im feinst abgestimmten Lichtdesign von Jesper Kongshaug zur lautmalerischen Musik Nitin Sawhneys. Die Schönheit des Tanzes leidet jedoch am pathetischen Hintergrund, vor dem Akram Khan seine dynamische Choreografie entwickelt.

Die Bühne ist leer, in braunes Dämmerlicht gehüllt, während ein Mann versucht eine opake Wand zu durchdringen. Wo er mit seinen Händen den Durchbruch versucht, wird die Wand durchscheinend, die Bühne heller, ein Menschenknäuel wird sichtbar. Die Reise auf nach oben, auf der „Vertical Road“, beginnt.

Akram Khan will mit seiner Choreografie nicht nur von der Schönheit des Tanzes erzählen sondern auch zur Meditation einladen: „In einer Welt, die sich durch dieses enorme Anwachsen von Technologie und Information so schnell bewegt, neige ich dazu, gegen diese Strömung anzugehen – auf der Suche nach einem Weg, nicht nur spirituell, sondern auch vertikal verbunden zu sein.“ Tänzer können, die der Akram Khan Company besonders, senkrecht in die Höhe fliegen und sanft wieder landen.

Glücklicherweise muss man diese Botschaft im Programmheft nicht gelesen haben, um die 70 Minuten staunend zu genießen. Es fällt schon auf, dass der Gruppe von drei Tänzerinnen und vier Tänzern, ein einzelner großer Tänzer mit Rasta-Frisur (Salah El Brogy) gegenübersteht, sie manipuliert, unterdrückt und beherrschen will. Es fällt auf, dass die Gruppe, immer wieder wunderbar zu einem einzigen Körper versschmolzen, wie erleuchtet nach oben in den fallenden Lichtstrahl blick und sehnsüchtig die Arme und gespreizten Hände erhebt. Es fällt auf – und bleibt rätselhaft –, dass der Einzelgänger am Ende gegen seinen Schatten kämpft und während die Gruppe ins Licht geht, allein zurück bleibt. Verdammt oder gerettet, wie man will.

Doch genussreicher ist „Vertical Road“, wenn man gar nicht erst versucht, dem Drehen und Springen, den zielgerichteten Bewegung der kompakten Gruppe, dem verschiedenfarbigen Licht und dem von der Musik erzeugten Heulen des Windes, Klatschen des Regens und dem unaufhörlichen Ostinato des Schlagzeugs eine Geschichte zu unterlegen. Khan verwendet für seine aus unterschiedlichsten Ländern stammenden TänzerInnen vor allem das Vokabular des außereuropäischen Tanzes. Die Schönheit des Butoh (und der aufwirbelnde weiße Staub zu Beginn) und die Gelassenheit von Tai Chi sind ebenso vorhanden, wie die wirbelnden Drehtänze der Sufis, der stampfende Rhythmus des Kathak und die exakten Bewegungen japanischer Kampfsportarten. Butoh und Japan waren wohl auch die Inspirationsquellen der Kostümdesignerin Kimie Nakano. In weiße Gewänder gehüllt, wirkt die Gruppe gegen Ende, wenn die scharfen Bewegungen milder, die wirbelnden Drehungen sanfter und auch Muster aus dem Katalog des Modern Dance sichtbar werden, wie eine Mönchsprozession auf der Suche nach der Erleuchtung.

Die Energie und Konzentration, die Präzision und Wandlunsfähigkeit der TänzerInnen bleiben jedoch unnachahmlich und überaus beeindruckend. “Vertical Road“ ist bis zum Ende ein hinreißendes und spannendes Erlebnis, das umso mehr beeindruckt, je weniger philosophisches Pathos und okkulte Esoterik unterlegt wird.

Akram Khan Company: „Vertical Road“ im Rahmen von ImPulsTanz, Museumsquartier, 26. Juli 2011