Hauptkategorie: Kritiken

pushredRussell Maliphant schielt nicht nach Moden oder Trends, sondern verfolgt seine Bewegungsrecherche mit einer persönlichen Integrität, die man selten findet. Er lotet den Tanz und die Bühne in seinen ästhetischen Manifesten akribisch genau aus, ist ein Meister der Reduktion und seine scheinbar einfachen Choreografien wirken konzentriert, unaufgeregt, ja gelassen.

Maliphant siedelt seine choreografische Arbeit „irgendwo zwischen Choreografie und Bildhauerei an“. Diese skulpturale Dimension erreicht er mit Hilfe eines ausgetüftelten Lichtdesigns, das in allen seinen Arbeiten eine entscheidende Rolle spielt und von Michael Hulls, seinem langjährigen künstlerischen Partner, kongenial umgesetzt wird.

In der letzten Saison war Maliphants „AfterLight“ im Festspielhaus St. Pölten zu sehen, nun kehrte er als Tänzer und mit der Ausnahme-Ballerina Sylvie Guillem zurück, die seine Bewegungen in leichte Höhen und emotionale Tiefen führt.

Ausgangspunkt von Maliphants Tanzsprache ist das klassische Vokabular, das er durch seine Beschäftigung mit Tai Chi, Capoeira, Contact Improvisation sowie als Tänzer von Gruppen wie DV8 Physical Theatre, Laurie Booth oder Rosemary Butcher reichhaltig erweitert hat. Die vier Stücke des Programms „PUSH“ haben jeweils eine Bewegungsrichtung zum Thema.

Klassische Bewegungsmotive bestimmen das Eröffnungssolo von Sylvie Guillem (in einem weißen, durchscheinenden Hosenanzug) zur Gitarren-Musik von Carlos Montoya. Ihr leichtfüßiger Tanz trifft auf erdige Flamenco-Rhythmen, und diese Kombination schafft Raum – für die Bewegung wie für die Musik. Sie sind synchron, bilden eine Einheit und behalten doch ihre Eigenständigkeit. Die Choreografie löst sie aus ihrem traditionellen Kontext und integriert sie in einem völlig neuen Seh- und Hörerlebnis.

„Shift“ zur Musik von Shirley Thompson beruht auf Tai Chi Moves. Im Hintergrund werden Maliphants Bewegungen durch die Schatten seines Körpers vervielfacht, die das Solo wie ein Chorus begleiten. Auf mehrteiligen Leinwandbahnen projiziert, haben die Schattenbilder ihre Auftritte und Abgänge. Wie aus einem Vorhang erscheinen sie einzeln, zu zweit oder zu dritt und verschwinden wieder dahinter

In „Two“ bewegt sich Sylvie Guillem zu den Klängen von Andy Cowtons nicht aus ihrem durch das Licht definierten Rechteck. Der Tanz ist auf den Oberkörper, Arme und Hände beschränkt, und das explosive Bewegungsmotiv steigert sich in seinen Wiederholungen in Rasanz und Intensität.

Das Duo „Push“ beendete das Programm und verstärkte noch einmal die hypnotische Wirkung, die schon die Soli auf das Publikum ausübten. „Push“ geht vorüber wie ein Windhauch, wie eine sanfte Brise. Sylvie Guillem und Russell Maliphant arbeiten hier mit contact-improvisatorischen Gewichtsverlagerungen und hochkomplexen Partnering-Techniken. Guillem wird von Maliphant gehoben, auf die Erde gebracht, um gleich wieder abzuheben, als ob sie die Schwerkraft bereits aufgehoben hätte. Auf einer metaphorischen Ebene mag das choreografisch-tänzerische Meisterwerk von einer Beziehung erzählen, in der die Partner einander respektvoll erforschen und die emotionale und erotische Wirkung aufeinander ausloten – sinnlich und von überwältigender Schönheit.

Der Abend war ein berührendes Theatererlebnis, dessen ästhetisch-meditative Stimmung das gesamte Publikum verzauberte. Es dankte mit nicht enden wollendem Applaus und standing ovations.

Russell Maliphant / Sylvie Guillem: „PUSH“ im Festspielhaus St. Pölten am 8. Oktober 2011