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mayroeckerIn einem stimmungsvollen Ambiente treffen die Sprache von Friederike Mayröcker, Musik in der Interpretation der Pianistin Cecilia Li, der Tanz von Sebastian Prantl und die Visuals von Victoria Coeln aufeinander und zelebrieren eine künstlerische Komplizenschaft.

„Kaum Montag abend schon Freitag früh usw., halt! halt! Dageblieben!“ Friedericke Mayröcker will die Zeit anhalten. Mit der gelassenen, ruhigen Art, in der sie aus ihrem neuesten Buch „ich sitze nur GRAUSAM da“ vorliest, scheint die Autorin auch die Gedankenfetzen des Textes verlangsamen zu wollen.  Zu schnell laufen die Bilder, noch vor dem Satzende wird ein Eindruck vom nächsten abgelöst: Eindrücke aus dem Sommer zwischen Traum und Wirklichkeit, in der die Sprache, ebenso wie die Natur üppig wuchert. Auch dieser Text ist der Lyrik näher als der Prosa, ist poetisch, elegisch und zerbrechlich – eine Sprache wie splitterndes Glas.

Die große Literatin der deutschen Gegenwartsliteratur lässt sich im Alter von 88 Jahren erneut auf die Begegnung mit Tanz und Musik ein. Ein ersts Zusammentreffen dieser Art gab es bereits im Oktober 2010.

Freilich, mit Cecilia Li am Klavier, dem Tänzer Sebastian Prantl und Victoria Coeln am Mischpult hat sie drei Verbündete, die auf ihr Werk mit großer Empathie reagieren. Wie ein Echo erklingt die Musik, als nähmen die Klangkompositionen von David Lang, Alexander Scriabin, Philip Glass, John Cage und Claude Debussy nun Mayröckers Sprache in sich auf. In den Tanzbewegungen hallt der Text wider, in ihnen erkennt man den einen oder anderen Moment, der von der Autorin zuvor beschrieben wurde. In den Licht-Videospielen wird das Bild der Literatin nochmals eingefangen, für den Tänzer werden sie zur Projektionsfläche und Schattenkulisse.

An einer Stelle nähert er sich dem Tisch, an dem die Autorin sitzt und auf ihren nächsten Einsatz wartet, berührt mit behutsamen Gesten die darauf liegenden Gegenstände und legt schließlich seinen Kopf auf Mayröckers Schulter. Das zarte Lächeln, das in diesem Moment ihr Gesicht erhällt, fängt die Essenz dieses Zusammentreffens auf einer persönlichen Ebene ein und wird zum Höhepunkt des Abends.

„Motion Phonotop: Ich sitze nur GRAUSAM da“ am 23. März 2012 im Tanzatelier Wien