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pilobulos

Zwei Gastspiele im Grazer Opernhaus – Pilobolus’ „Shadowland“ und Rasta Thomas’ „Rock the Ballet“ –  boten innerhalb kurzer Zeit die Möglichkeit, konträre Facetten heutiger Tanz-Interpretationen kennenzulernen: vergnüglich und begeisternd beide, von höchster Bewegungsqualität und - unübersehbar amerikanisch.

Pilobolus, eine seit 40 Jahren bestehende, US-amerikanische Tanzkompanie zeigte nach unzähligen ausverkauften Vorstellungen weltweit erstmals auch in Österreich ihre außergewöhnliche Show „Shadowland“. Schattentheater, dessen Wurzeln wahrscheinlich in Indien liegen, zählt zu den ältesten Theaterformen, hat aber im Westen nur wenig Tradition. Die Verbindung mit Tanz in dieser Weise kann sich auf jeden Fall Pilobolus auf ihre Ideen-Fahnen schreiben.

Begonnen hat alles 2006 als Reaktion auf eine Anfrage, ob sie ein Auto darstellen könnten ohne dass man ein solches zeige. Sie konnten – und heute „fährt“ es mit „Hund“ am Beifahrersitz auf der Bühne durch amerikanische Weiten, und ist zweifellos eine der besonders gelungenen Szenen in dieser bezaubernden Schatten-Geschichte.

Dass neben der ausgeklügelten Lichttechnik (Jon Harper) jeder einzelne der neun auftretenden KünstlerInnen neben anderem vor allem eine fundierte Tanz- Ausbildung hat, ist die Basis für das hochwertige Ergebnis – wobei das tänzerische Moment im Schatten der gleichermaßen phantasievollen wie wirklichkeitsnahen Schattenkreationen steht.

Die Bühne präsentiert sich vorerst als liebenswürdig- kunterbuntes Chaos. Ist es das Zimmer einer Jugendlichen oder doch Abbild ihres Inneren? Geschildert werden jedenfalls Stationen ihres Erwachsen-Werdens, in das sie immer tiefer eindringt - nein hinein gleitet, hinein fliegt: Dank der Unterstützung anderer (Tänzer), die man zwar sieht, aber doch nicht wahrnimmt. Eine der ersten, markanten Stationen ist die Begegnung mit dem (bedrohlichen) Du – einem unverhältnismäßig großem Kopf, respektive einem Schattengebilde der besonderen additiven (Körper) Qualität. Pittoreske Versuche der Vereinnahmung folgen - drastisch märchenhaft aufbereitet: Die Messer sind gewetzt, das Wasser brodelt im Topf … Nach der Begegnung mit Elefanten, Seepferdchen und fleischfressenden Pflanzen muss nochmals eine Prüfung bestanden werden: Als Gefangene wird das Mädchen dressiert und zum Gaudium anderer vorgeführt. Last but not least darf selbstverständlich auch die erste, zarte Liebeserfahrung nicht fehlen.

Das, was diese Performance zusätzlich zur ungemein locker-leichtfüßigen Darstellungs-Technik auszeichnet, ist die Reduktion auf die letztlich einfachen Mittel der Ausnützung von Schatteneffekten, auf das Spiel von Zeigen und Verstecken, von Vergrößern und Verkleinern, von Andeuten und Verzaubern - und damit eine Reduktion auf die Notwendigkeit für das Publikum, bei allen tagtäglich erlebten Reizüberflutungen, sich hier wieder einmal lustvoll der eigenen Phantasie bedienen zu können respektive zu müssen..

„Rock the Ballet“, eine Tanz-Show, mit der Rasta Thomas als künstlerischer Leiter und Adrienne Canterna-Thomas als Choreographin weltweit größte Erfolge feiern, ist aus gänzlich anderem Holz gebaut. Dramaturgisch in klugem Wechsel von dynamisch temporeichen Passagen und solchen des ansatzweise Innehaltens aufgebaut, inhaltlich zweigeteilt in Szenen einer kleinen Geschichte um eine begehrte Frau und in solche eines Feuerwerks an Einzelnummern, deren erste, „abstrakte“ zu den Höhepunkten des Abend zählt.

Eine Schrecksekunde ist dem traditionellen Opernhaus Publikum zuzugestehen, wenn am Beginn der gerade erst auf die Bühne gesprungene Tänzer zum Einklatschen animiert, aber dann heben sich auch schon die ersten Arme. Dem Sog der Schlag auf Schlag gespielten Original-Hits von Prince über Michael Jackson zu U2 und anderen in Kombination mit geballtem Tanz - dem kann sich innerhalb kürzester Zeit fast keiner entziehen. Als erschwerender Umstand muss angeführt werden, dass zwar kaum den Tänzern bei ihren akrobatischen Einlagen, aber sehr wohl den Zusehern die Luft wegbleibt: ob der frechen Mischung nämlich aus klassischem Können und Zitaten sowie aus dem, was an Stilrichtungen unterschiedlichster Art drunter und drüber gestreut wird: dynamisch, ästhetisch, ein wenig melancholisch, vereinzelt auch witzig - schließlich müssen die Bad Boys ihrem Namen auch Tribut zollen. Und sie tun es in grandiosen zynischen Gruppen-Pas des deux mit Plastikpuppen. Nein, an Ideen fehlt es ihnen nicht – an Können noch weniger, und das ergibt ein Programm, das als eine Möglichkeit zeitgemäßer Tanz-Realisation stimmig greift und zieht.

„Shadowland“ von 11. bis 15.April, „Rock the Ballet“ von 16. bis 20.April 2012 in der Oper Graz