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bundesjugendMobiles Ballett: Tanzen kann man fast überall. Die Idee einer Juniorcompagnie, die den Tanz hinaus aus den Häusern der staatlichen und städtischen Bühnen und hinein in die weite Welt trägt, beschäftigte John Neumeier über viele Jahre seiner Leitung des Hamburg Balletts. Seit der Spielzeit 2011/12 sind seine Pläne nun umgesetzt worden: gegründet wurde das Bundesjugendballett.

An Vorbildern wie dem Nederlands Dans Theater II orientiert und doch absolut eigenständig konzipiert, besteht das neue Ensemble aus acht Tänzern, die zwischen 18 und 23 Jahre alt sind. Für zwei Jahre können sie bleiben, dann soll es einen Wechsel geben. John Neumeier steht der Gruppe als Intendant vor, Kevin Haigen ist künstlerischer und pädagogischer Leiter. Sitz ist das Hamburger Ballett-Zentrum, doch eine feste Spielstätte gibt es nicht. Ziel ist es, den Tanz an Orte zu bringen, an denen man ihn nicht unbedingt vermuten würde. So trat die Compagnie beispielsweise in der Kuppel des Berliner Reichtags auf, erarbeitete mit 500 Schülern eine Performance auf dem Hamburger Rathausmarkt, es gab Auftritte bei verschiedenen Auslandstourneen und Festivals, aber auch in Seniorenheimen, Schulen und einem Musikclub.

Ein wesentlicher Teil des Tanzabends „Im Aufschwung IV“, der vom 19. bis 23. November im Hamburger Ernst Deutsch Theater zu sehen war, zeigt das Ergebnis eines besonders ungewöhnlichen Spielortes. In der Justizvollzugsanstalt Rottenburg am Neckar erarbeiteten die Mitglieder des Bundesjugendballetts zusammen mit Inhaftierten das Stück „Rap auf Ballett“.  Zum ersten Mal war das Projekt nun in der Öffentlichkeit zu erleben. Auf der Bühne des Ernst Deutsch Theaters verwenden die Tänzer zu den hämmernden Beats und den ins Mikro geknallten Texten der drei Rapper, inzwischen aus der Haft entlassen, ihre eigene Sprache. Die Kluft zwischen den beiden künstlerischen Ausdrucksformen bleibt bewusst sichtbar, gleichzeitig aber wird eine deutliche Akzeptanz, ja Anerkennung des jeweils anderen Genres spürbar. Die Tänzer greifen das Tempo des Rap auf, setzen die Beats in Bewegung um, einzeln, zu zweit, in der Gruppe. Immer wieder wechseln sie gekonnt klassisches mit modernem Bewegungsvokabular, zeigen sich im Tutu ebenso wie im schlichten Trikot. Unterstützt von Kevin Haigen und Yohan Stegli, Ballettmeister beim Bundesjugendballett, haben die acht Tänzer die Choreographie gemeinsam erarbeitet.

Neben „Rap auf Ballett“ gehörte zum Programm dieses vielschichtigen Tanzabends auch die Aufführung von „Dressed up in Tissue Paper“, einem Stück, das die Choreographin und Tänzerin des Nederland Dans Theaters, Natalia Horecna, für das Bundesjugendballett geschaffen hat. Im Januar war es bereits beim ersten „Aufschwung-Abend“ in Hamburg zu sehen. Es ist eine temporeiche, mit vielen spannenden Brüchen versehene Choreographie, ein Potpourri aus Stilen, Bildern und Traditionen. Darstellerisch und tänzerisch sehr anspruchsvoll.

Zwischen diesen beiden Teilen wurden drei sehr unterschiedliche Pas de deux gezeigt. „Hide and Seek“ heißt das Stück von Marc Jubete, Gruppentänzer beim Hamburg Ballett. Konzipiert für zwei männliche Darsteller war das Stück, zumindest an einem der vier Abende, nun erstmals in rein weiblicher Besetzung zu erleben. Yukino Takaura und Gabriela Finardi gaben ihm eine leichte, lockere Note. Dank klarer Linie und sparsamer Gestaltung ist Jubete zur Musik von Imogen Heap ein kluges, gut durchdachtes Stück gelungen.  

Kevin Haigen hat sich Dvo?áks „Nocturne“ gewidmet.  Winnie Dias und Graeme Fuhrman präsentieren seinen neoklassischen, schönen Pas de deux auf eine angenehm zurückhaltende, technisch exzellente Weise. Drittes Beispiel eines tänzerischen Duetts ist der Pas de deux aus „La Sylphide“. Lloyd Riggins, erster Solist beim Hamburg Ballett, hat ihn mit Xue Lin und Aleix Martinez, auch sie Gäste vom Hamburg Ballett, einstudiert. Doch in den Kontext dieses Abends wollen sie so recht nicht passen. Was dem technischen Können der beiden Tänzer nicht anzulasten ist. Vielleicht gelingt es ihnen, noch etwas am Ausdruck zu feilen. Schließlich erhielten sie unlängst eine Einladung für den Erik-Bruhn-Wettbewerb, der in Kürze in Toronto stattfindet.

Apropos Wettbewerbe und Auszeichnungen: Dem Bundesjugendballett wurde gerade der Deutsche Tanzpreis Zukunft verliehen, der im nächsten Jahr zum zehnten Mal vergeben wird. In der Begründung der Jury heißt es, die acht Tänzerinnen und Tänzer des Bundesjugendballetts seien mit ihrer Tanzausbildung fertig, doch jeder von ihnen verspüre den Wunsch, noch besser zu werden, die Technik zu verbessern, um so der Kreativität den nötigen Raum zu geben.

Bundesjugendballett: „Im Aufschwung IV“ am 22. November 2012 im Ernst Deutsch Theater, Hamburg