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tertiaryKönnen Zuneigung und Liebe auch physisch bewegen? Kann physische Berührung, bevor sie entsteht, emotional berühren? Stimmt es, dass Beobachten gleichbedeutend mit Fühlen ist. Diese Fragen stellt sich der Tänzer, Choreograf und Pädagoge Michael O’Connor. Gemeinsam mit Karin Pauer und Raul Maia versucht er im Raum 33 (jungen Choreografen zur Verfügung gestellt von Elio Gervasi ) die Probe aufs Exempel zu machen. Eine ästhetisch ansprechende Performance, die alle Antworten schuldig bleiben musste.

O’Connors Interesse gilt den Neurowissenschaften.  Ausgehend von einer These der GehirnforscherInnen Thomas Fuchs und Hanne De Jaegher, hat er mit Maia und Pauer eine knapp einstündige Performance erarbeitet. Fuchs und De Jaegher meinen in einem 2009 publizierten Aufsatz, dass die / der andere nicht nur verstanden, indem sein Verhalten beobachtet und durch Simulation und Projektion im eigenen Gehirn verarbeitet wird, sondern auch durch teilnehmende Interaktion und Koordination oder auch durch gegenseitige Einbindung, indem die Körper der Partnerinnen sich zueinander erweitern und einen gemeinsamen Körper bilden. „Dann gibt es keine aufeinander wirkenden Gehirne oder Gedanken, sondern interagierende Körper oder Personen.“ Das Gehirn also als Beziehungsorgan.

Da wir, die ZuschauerInnen, aber nicht sehen können, was im Gehirn der PerformerInnen vorgeht, ist es schwierig, diese Erkenntnisse auf der Bühne zu zeigen und im Zuschauerraum nachzuvollziehen. Wir sehen also den phänomenalen Raul Maia wie er lautloses Karaoke mimend „Over the Rainbow“ singt. Zu Herzen gehend und amüsant. Was er fühlt ist jedoch sicher nicht das, was ich fühle. Er ist Darsteller, ich bin Zuschauerin. Michael O’Connor hechelt, schwänzelt und bellt. Schließlich hat er mit der Company „a waiting dog“ 2006 das Solo „waiting dog“ produziert. Dann kommen offensichtlich die Spiegelneuronen ins Spiel. Ziemlich grausam: Pauer holt eine Melone aus dem Kübel, hält sie ziemlich lange mimik- und bewegungslos ins Publikum. Die beiden Männer lehnen während dessen an der blendend weißen Wand des Studios. Doch dann beginnt die Performerin mit dem Kürbiskopf zu spielen, ihn auf den Armen zu balancieren, zu heben und zu senken. Da wird auch Maias Kopf zum Kürbis, herumgezerrt, aufgehoben, niedergedrückt. Die Bilder gleichen sich: Hier das empfindungslose Gemüse, dort der möglicherweise leidende menschliche Kopf.

Endlich treten alle drei miteinander in Kontakt, aber noch lange nicht tatsächlich eng. Das zärtliche Trio, das nun beieinander steht und Streicheleinheiten austauscht, berührt einander nämlich nur scheinbar. Möglich, dass sich die Arm- und Nackenhaare aufstellen, wenn eine fremde Hand in Mikrometer-Abstand über der nackten Haut schwebt. Ich habe es nicht erfahren. Im Raum ist es mucksmäuschenstill und warm (trotz der winterlichen Witterung draußen), wer sollte es mir da verdenken, wenn sich die Lider immer wieder senken!

Doch endlich brandet wieder Musik auf (das ganze Stück wird von einer Mixtur aus alter Filmmusik, Schubert und Listz und eben der Stille begleitet) und das Scheinbare wird zum Anscheinenden, das Trio zum Knäuel. Was sich jetzt, mehr hitzig als zärtlich, eher aggressiv als erotisch, leidenschaftlich jedenfalls, tut, ist einen Ringeln und Rangeln, Verwickeln und Verschlingen von drei Körpern zu einem einzigen. Mir scheint, ein Machtkampf ist ausgebrochen und jede(r) will Sieger-in sein. Keine(r) wird es. Wie Laokoon mit seinen Söhnen stehen sie umschlungen da, als ein Körper. Nur die todbringenden Schlangen fehlen. Das Gerangel hat die Körper beansprucht, Schnaufen und Keuchen ist nun die Begleitmusik. Dann lösen sich die Körper, jedes Gehirn ist wieder allein, jeder Körper bewegt sich nach dem eigenen Rhythmus. Der imaginäre Vorhang fällt.

Drei hervorragende TänzerInnen, denen ich gerne zusehe, bewegen sich anfangs für sich, vereinen sich für eine Weile zum Trio, um sich am Ende wieder zu trennen. O’Connor versucht wohl sein Anliegen in verschiedenen (durch die Musikbegleitung deutlich getrennten) Szenen klar zu machen. Eine Weile ist das interessant, auch amüsant, doch, wie so oft, verlängert das Bemühen um Deutlichkeit die Show bis an die Grenze zur Langeweile und ich kann in der Praxis die Theorie nicht erkennen. Doch wie Elio Gervasi sagt, stellt er sein Studio jungen TänzerInnen und ChoreografInnen zur Verfügung, damit sie im intimen eines  „Spazio di Ricerca /Rechercheraums“ etwas ausprobieren dürfen und Risiken eingehen können. Mit „Tertiary“ haben Michael O’Connor und sein Team (Musikcollage und Licht: Alexander Kasses, Kostüme: Esther Steinkogler) diese Chance jedenfalls mit Engagement genützt.

„Tertiary“, Michael O’Connor, Raul Maia, Karin Pauer , 30. Mai 2013, Raum 33.

Weitere Vorstellungen: 31. Mai, 1. Juni 2013.

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