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shakespeareFulminante Eröffnung der Hamburger Ballett-Tage mit Variationen zu Shakespeare. Das Hamburg Ballett hat derzeit viel zu feiern. Die Eröffnung der 39. Ballett-Tage, die Premiere von „Shakespeare-Dances“, das vierzigjährige Bestehen der Compagnie. John Neumeier, Ballettchef und viel beschäftigter Mann, konnte da nur flugs von einem Termin zum anderen eilen. Senatsempfang im Rathaus, Preview in der Staatsoper, Applaus von überall. Er hat ihn sich verdient! Auch für seinen neuesten Ballettabend.

Shakespeare also. Sein Werk war Neumeier schon immer wichtig. Shakespeare sei für ihn „der humanste von allen Dichtern“. Doch sich mit ihm zu beschäftigen sei auch „ein wenig so wie im Ardenner Wald zu stehen.“ Unendlich viele Sichtweisen, Perspektiven, Motive, Dramenformen. Auszüge aus dreien seiner Shakespeare-Arbeiten hat Neumeier nun zusammengesetzt und geschickt miteinander verbunden. Szenen aus „Mozart und Themen aus ‚Wie es Euch gefällt’“(1985), „Hamlet“ (1997) und „VIVALDI. Was ihr wollt“ (1996). Es ist beeindruckend, wie einheitlich und stimmungsvoll diese Collage funktioniert.

In weißem T-Shirt und Jeans führt Carsten Jung als charmanter Erzähler durch die drei Stücke, fährt mit dem Fahrrad ein paar Runden über die Bühne, erläutert Zusammenhänge und fügt sich ab und zu ins tänzerische Geschehen ein. Er übernimmt die Rolle des Jaques aus „Wie es Euch gefällt“, doch er bleibt, den dramaturgischen Faden haltend, in allen drei Stücken präsent. Zu zwei Mozart-Sinfonien werden zunächst die unterschiedlichsten Spielarten der Liebe erprobt. Komisch und poetisch, wild und zart. Mariana Zanotto und Silvia Azzoni als Celia und Rosalind geben ein harmonisches Freundinnen-Paar ab. So nett wie sie zueinander sind, so innig wütend und sprungkräftig kämpfen Alexandre Riabko als Orlando und Silvano Ballone als Oliver um das väterliche Erbe. Wunderbar lyrisch schließlich der Pas de deux von Orlando und Rosalind. Silvia Azzoni und Alexandre Riabko erweisen sich, wieder einmal, als perfekt aufeinander eingespielt. Konstantin Tselikov und Kiran West zeigen als Touchstone und Diener Adam ihre Gabe fürs Komische. Fein nuanciert, niemals plump. Den Part des liebestollen Bauernmädchens Audrey hat Patricia Tichy übernommen und sie meistert ihn mit Bravour. Ihre ausgelassenen Tänze, die rasanten, gebrochenen Bewegungsfolgen sind höchst anspruchsvoll.

Dem zweiten Teil des Abends, einem Auszug aus „Hamlet“, ist eine Art Prolog vorangestellt. Als junger Student, in aufgeregter Erwartung und zum Reisen bereit, verabschiedet sich Hamlet von Ophelia. Es ist ein zärtliches, beidseitiges Werben, doch das Drama, das folgen wird, klingt schon leise durch. In bestechendem Kontrast zur fröhlichen Beschwingtheit des ersten Teils nimmt das Drama des Dänenprinzen mit Beginn des zweiten Teils düstere Kontur an. Wenn Edvin Revazov als Hamlet auf die Bühne zurückkehrt, ist es immer noch Shakespeare. Und doch hat sich die gesamte Atmosphäre verändert. Michael Tippetts moderne Komposition spiegelt sich in einem streng reglementierten Bewegungsgestus wider. Ophelia knickt die Füße merkwürdig zur Seite, Hamlet hält die Hände vor den Mund, sein Schreien bleibt stumm. Anna Laudere und Edvin Revazov gestalten das Drama ihrer Liebe mit großer Intensität und Leidenschaft. Und auch Leslie Heylmann verleiht ihrer Geruth den verhaltenen Gestus dramatischer Einsamkeit.

Mit „VIVALDI oder Was ihr wollt“ bekommt der Abend im dritten Teil wieder eine hellere Note. Nicht allein ein komödiantisches Verwirrspiel ist es hier, nicht ein Blick auf die Burleske, nun herrscht die heitere Melancholie einer magischen Traumwelt. Thiago Bordin als Herzog Orsino, Hélène Bouchet als Gräfin Olivia, Carolina Agüero und Lloyd Riggins als die Zwillinge Viola und Sebastian bilden ein großartiges Liebesquartett. In einer besonders schönen Szene bummeln die vier schlendernd umeinander herum, ein vorsichtiges Ausprobieren, wer zu wem passt. Die Verliebten verlieren und finden sich, Verzweiflung wandelt sich in Verzückung. Vivaldis Klänge und durch die Luft gewirbelte Tücher lassen ein Meer entstehen, Schiffbruch, Trennung der Geschwister. Das Motiv von Sein und Schein. Wer kennt sich hier noch aus? Es klärt sich alles. Wie gut.
Unterstützt von den hervorragenden Hamburger Philharmonikern (Leitung Simon Hewett) zeigen die Tänzer des Hamburg Balletts in diesen drei so unterschiedlichen Choreographien die ganze Bandbreite ihres Könnens. Das macht große Freude anzusehen. Und im Finale treten dann tatsächlich alle Figuren noch einmal auf, und alle haben sie eine rote Clownsnase im Gesicht. Verkleidung und Täuschung, Spiel und Theater. Carsten Jung als Jaques hat es ja gleich zu Beginn des Abends aus seinem Shakespeare-Band vorgelesen: „Die ganze Welt ist Bühne.“

Hamburg Ballett: „Shakespeare Dances“ am 9. Juni 2013 in der Hamburgische Staatsoper
Weitere Vorstellungen: 28. Juni 2013 sowie in der Spielzeit 2013/14 (8. Mai, 12. Und 14. Juni, 2. Juli 2014)
Hamburger Ballett-Tage noch bis zum 30. Juni 2013