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iptkentridge-masiloDie multimedia Oper „Refuse The Hour“ hat der südafrikanische Künstler William Kentridge aus seiner in Kassel 13 gezeigten Installation „The Refusal of Time / Die Ablehnung der Zeit“ entwickelt. Umgeben von einem vielfältigen südafrikanischen Ensemble erzählen Kentridge und die zierliche südafrikanische Startänzerin Dada Masilo von der Zeit und dem Versuch ihr zu entkommen.

William Kentridge, 1955 in Johannesburg geboren und (wieder) dort lebend, ist ein Multitalent. Sein umfassendes Werk reicht von der Zeichnung über Skulpturen und Klanginstallationen bis zu Film und Medienkunst. Als ihm 2010 der als Nobelpreis für Kunst bezeichnete Kyoto-Preis für sein Gesamtwerk (Kategorie „Kunst und Philosophie“) verliehen wurde, würdigte die Jury auch sein soziales und politisches Engagement. Schon 1993 zeigte Kentridge seine Animationsfilme, die aus ungezählten von Hand mit Kohle oder Pastellfarben gezeichneten Einzelbildern entstehen, erstmals bei der Biennale in Venedig.

Witz und Esprit. So ein Animationsfilm, voller Witz und Esprit, kleinen Geschichten und Anspielungen, bildet auch den effektvollen Bühnenhintergrund des multimedialen Spektakels. Auf der Bühne agieren neben den Tänzern, Musikern und Sängerinnen auch zahlreiche bewegliche Objekte und seltsame Musikinstrumente, die Kentridge teilweise in Altwarenläden gefunden und neu hergerichtet hat. Auch am Bühnenhimmel hängen Teile von Schlaginstrumenten, die als Ouvertüre wie von Geisterhand in Gang gesetzt werden und den Rhythmus der verrinnenden Zeit schlagen. Der Zeit, die es nur gibt, weil wir sie messen. „Wir“, damit meint Kentridge die westliche Welt, für die Zeit ein Synonym für Geld und Gier ist.

Riesige Metronome bauen sich auf, ticken keineswegs im Einklang, die Holzskulpturen summen und drohen mit beweglichen Gliedmaßen. Klein erscheinen die Menschlein auf der Bühne, am kleinsten ist die zartgliedrige Dada Masilo, die als Perpetuum Mobile den Pulsschlag der Zeit, immer schneller und schneller, sichtbar macht.iptkentridge

Die Live gespielte (und erzeugte) Musik stammt von Südafrikaner Philip Miller, der neben eigenen Soundinstallationen auch mit Kentridge immer wieder zusammen arbeitet. Millers Komposition ist teilweise so witzig wie Kentridges Vortrag, und klingt durch Zitate aus dem europäischen Musikarchiven einschmeichelnd und melodienreich. Das Konzept für den integralen Bestandteil des Gesamtkunstwerks, den Videofilm, hat Kentridge gemeinsam mit der Filmerin Catherine Meyburgh erstellt. Dieser dadaistische Film allein wäre einen Abend wert. Die mit ihm verbrachte Zeit, kann nicht Opfer genannt werden, im Gegenteil, ist ein Geschenk.

Genuss und Erkenntnis. Im Zentrum des bunten Geschehens bleibt William Kentridge als inspirierter Erzähler, der vom Diktat der Zeit berichtet und vom Versuch, diesem zu entkommen, die griechische Mythologie bemüht und Erinnerungen aus der Kindheit hervorkramt. Ich höre ihm gerne zu, ein freundlicher Lehrer, der das Schwierige als Selbstverständlichkeit präsentiert. Obwohl Kentridge in klaren Sätzen ohne jeglichen Obskurantismus fast im Märchenton erzählt, bleibt mir manche seiner Erklärungen fremd. Schließlich hat er sich für die Dramaturgie und wissenschaftliche Beratung einen Professor aus Harvard geholt. Peter Galison lehrt dort Physik und Wissenschaftsgeschichte und hat den Bogen von den alten Griechen bis zu Einsteins Theorien hoch gespannt.

Sei’s drum, man muss nicht alles verstehen, darf das fulminante Kunstwerk auch schlicht genießen. Doch die im 19. Jahrhundert geborene Vorstellung, der Kosmos sei ein unendliches Archiv von Bildern, die alles irdisches Geschehen, von Perseus und seinem Großvater Akrisios, die ihrem Schicksal durch keinerlei Tricks entkommen konnten, bis zum gerade ablaufenden atemberaubenden Bühnengeschehen enthalten, lässt mich nicht mehr los. Sie ist zu schön, zu schrecklich auch. Doch gegen die Gesetze der Entropie ist noch kein Kraut gewachsen. Auch die Bilder aller Zeiten, die gesamte Historie, sind dem Verfall anheim gegeben, sie werden ins schwarze Loch gesaugt werden. Die Menschen in Afrika erhalten „ihre Sonne“ zurück, das Diktat der Zeit ist beendet.

Die Zeit mit William Kentridge und seinem Ensemble ist keine verlorene, auch wenn sie im Flug vergangen ist. Ein kaum zu übertreffendes Ereignis, das so gefangen nimmt, dass Zeit und Raum außer Kraft gesetzt werden.

William Kentridge, Philip Miller, Dada Masilo, Catherine Meyburgh: „Refuse The Hour“, 1. August 2013, Volkstheater, im Rahmen von ImPulsTanz. Weitere Vorstellungen am 3. und 4. August.

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