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yusimiEine geglückte Verbindung von Tanz und Literatur fand im Rahmen von „Points of Passage“ im Gartenpavillon des Stiftes Melk statt. Zur Zeit des Barock wurde hier auf den Wänden des Pavillons ein idyllischer Sehnsuchtsort voll exotischer Tiere und wundersam gekleideter Menschen heraufbeschworen. Nun inspirierten die bezaubernden Fresken des kaiserlichen Hofmalers Johann Bergl die kubanische Tänzerin Yusimi Moya Rodriguez zu einer zeitgenössischen Interpretation kolonialer Sehnsüchte.

Das Konzept von Erwin Uhrmann und Moussa Kone, die für „Points of Passage“ verantwortlich zeichnen, knüpft an die Legende des Heiligen Koloman an, dessen Gebeine seit 1000 Jahren im Stift Melk aufbewahrt werden. Er, den es als Pilger in die Gegend an der Donau verschlug, fiel hier einem Gewaltakt zum Opfer. „Sowohl der Rückgriff auf historische Fakten und Legenden als auch der Blick auf identitätsstiftende Momente in der Gegenwart bilden den Ausgangspunkt für die künstlerischen Interventionen. Im Vordergrund stehen die Themen Migration, Fremdsein, Anderssein, Difference und gesellschaftliche Ausgrenzung.“

Die Wahl der Tänzerin Yusimi Moya Rodriguez war in zweierlei Hinsicht die richtige. Sie studierte Tanz an der Kunsthochschule in Havanna und kommt aus der Tradition Kubas, das afrikanische kulturelle Erbe aus der Kolonialzeit zu pflegen. Tanz wurde dort seit der Revolution auch politisch instrumentalisiert. Genau dies konnte die junge Kubanerin nun in das Konzept von „Points of Passage“ einbringen. Gleichzeitig verkörperte sie für ihre ZuschauerInnen im Gartenpavillon über dem Donaustrom im wahrsten Sinne des Wortes jene Fantasien, die seit der Entdeckung Amerikas (oder eigentlich Kubas) in Europa weitergegeben wurden. Zwar hat sich das Bild der „edlen Wilden“ gehörig gewandelt, aber die Faszination des Fremden ist geblieben.

Mit dieser Faszination spielte Yusimi Moya Rodriguez sozusagen „hautnah“. Das Publikum, das nur wenige Meter vor ihren Darbietungen verharrte, verfolgte hingerissen die Beweglichkeit der Tänzerin. Und wie seit jeher entzündete sich die Fantasie an der Exotik, prallte jedoch schroff mit der allzu lieblichen Darstellung auf den Fresken im Hintergrund zusammen und hinterließ ein Verwirrspiel von lebendiger und erstarrter Kunst. Zur einfachen aber effektvollen musikalischen Begleitung von Christian Martinek gelang es Yusimi Moya Rodriguez ihre Beschauer ebenso zu locken wie zu distanzieren. Eine notwendige Distanz, denn schmerzlich mussten ihre Vorfahren die Ausbeutung ihrer Länder erfahren. Schmerzlich ist die Erfahrung auch heute, dass die Distanz beinahe unüberbrückbar ist. Ein echter Austausch auf gleicher Augenhöhe scheint kaum möglich. Die Sehnsüchte, mit denen wir Europäer das ferne Afrika oder Südamerika vorwiegend als Urlaubsort betrachten, haben sich von der materiellen zur emotionalen Ausbeutung verlagert. Verflüchtigt sind alle positiven Eindrücke sobald wir Gastgeber für dieselben Menschen, die Zuflucht bei uns als Arbeitssuchende oder politisch Verfolgte suchen, sein sollen.

Selbstbewusst inszenierte sich die junge Tänzerin in bodenlangem, schlicht schwarzem Kleid, das raffiniert seitlich geschlitzt genügend Beinfreiheit für expressive Bewegungen erlaubte. Die starke Anziehungskraft ihrer fulminanten Performance stand in starker Diskrepanz zum erstarrten Schlussbild der auf dem kalten Stein Kauernden. Wie von unseren Augen in die Enge getrieben brachte sie damit den Höhenflug der Fantasie wieder auf den Boden der Realität. Angekommen und ausgeliefert sind die Fremden, die wir mit Neugierde betrachten. Zumindest für den Augenblick schuf der begeisterte Applaus der Gäste eine Brücke zwischen Kunst und Mensch.

Im Anschluss an die Performance lasen die geladenen AutorInnen Gabriele Petricek und Alexander Peer – beide aus Wien - eigens für diese Veranstaltung verfasste Texte. Sie konnten auf Einladung der Patres die Geschichte des Heiligen Koloman erforschen, was besonders Gabriele Petricek zu einem Sprachkunstwerk auf höchstem Niveau inspirierte. In voller Konzentration lauschte das Publikum dem spannenden fiktiven Dialog zwischen dem unsterblichen Koloman und einer Reisenden unserer Zeit. Alexander Peer ergriff die Gelegenheit, die Gäste mit meditativen Betrachtungen über die Zeit wieder zu entspannen.

Das Stift Melk, das auf einem Felsen über der Donau am Eingang zur Wachau liegt, ist seit 1000 Jahren ein „Point of Passage“, ein Ort des Übergangs. Es ist sehr erfreulich, dass die Patres des Stifts 2014 neun Künstler einluden, dieses geistige und kulturelle Zentrum zu erkunden. Eine Fortführung des Projektes im Sinne eines intensivierten Brückenschlags zwischen eigener und fremder Gedankenwelt wäre höchst wünschenswert!

Tanzperformance von Yusimi Moya Rodriguez im Rahmen von „Points of Passage“ am 18. Juni im Gartenpavillon des Stiftes Melk

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