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FerlinNicht nur Sprachenvielfalt, sondern auch außergewöhnliche Sprachenkompetenz zeichnet die „Übersetzungsarbeit“ des kroatischen Choreographen und Tänzers Matija Ferlin aus, wenn er Texte des slowenischen Avantgarde-Autors Srečko Kosovel (1904-1926) mit seinem Körper auf die Bühne und tief in die Köpfe seiner Zuseher schreibt: mit dem Griffel gleichermaßen wie mit feinster Feder.

1982 in Pula (Kroatien) geboren, ausgebildet in der „School for New Dance Development“ in Amsterdam arbeitete Matija Ferlin bereits mit zahlreichen international agierenden Choreographen und Visual Artists und trat europaweit sowie in den USA auf. Nach dem Croatian Teatar.hr. Audience Award wurde er 2012 auch von der Contemporary Dance Association Slovenia mit dem Preis für den besten Choreographen ausgezeichnet; 2013 erhielt er beim Infant Festival in Novi Sad den Preis für „exceptional expressivity“ im Zusammenahng mit seiner Performance „Sad Sam Lucky“, die nunmehr ihre Österreich-Premiere feierte: als 10. und letzte Aufführung im Rahmen der von Ingrid Türk-Chlapek verantworteten Tanz Reihe in der theaterHalle 11 in Klagenfurt.

Die Ausdrucksvielfalt des Künstlers ist angesiedelt zwischen differenziertem Vortrag des literarischen Textes, exzessivem Weinen, Schreien und beredtem Schweigen, zwischen mimischer Feinarbeit sowie intensivem Blickkontakt zum Publikum und einer breiten Palette von dem, was zwischen nonverbalem Körpertheater und zeitgenössischen Tanzmitteln angesiedelt ist. Die nahezu unerbittliche dramaturgische Konsequenz im Aufbau der einzelnen Szenen sowie die schonungslos den eigenen Körper einsetzende Intensität seiner Präsentation hämmert sich ein wie die einzelnen und im Blocksatz gesetzten Wörter des Textes im aufgelegten Programmbüchlein in das lesende Auge tief eindringen.
Es ist das Changieren zwischen Phasen extremer Ruhe, nahezu schmerzender Langsamkeit und getriebenem Dahinjagen, Stolpern, Ankämpfen, Toben; zwischen mechanischem Rezitieren und Brüllen der Sätze, was diesen Text, seinen Ausdruck von Verzweiflung, Einsamkeit, Sehnsucht und Aggression so plastisch werden und mit vielen kleinen Stichen unter die Haut eindringen lässt.Ferlin2

Und es ist die Bandbreite der eingesetzten feinen kleinen Sinnesreize – im akustischen Bereich etwas das Knarren des Bodens unter den Schritten, das Knirschen des in Zeitlupe über die Bühne gezogenen Tisches, das auf den Tisch Tackern einzelner Textblätter. „Zusätzlich“ zu dem, was er an akrobatischem und tänzerischem Können einzusetzen hat: Sein scheinbar unsicheres Fingerspiel oder der Fluss seiner Armbewegungen im Kontrast zu hektisch überzeichneten Bewegungen des Alltags öffnet beispielsweise einen von zahllosen Assoziationsräume und ergibt in Summe eine visuelle Aufbereitung, Umsetzung und Transformation all dessen, was verbal nur zwischen den Zeilen vorhanden ist.

Matija Ferlins „Sad Sam Lucky“ am 20. November 2015 in der theaterHalle11 in Klagenfurt