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Forsythe1Eine Hommage an den Meister des kreativen Wahnsinns: Das Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz erkundet den Kosmos des Choreografen William Forsythe. Mit Antony Rizzi, Georg Reischl, Christopher Roman, Michael Schumacher und Allison Brown konnte Ballettchef Karl Alfred Schreiner gleich fünf Ex-Forsythe-Interpreten für seine Idee gewinnen, Erlebtes und Erfahrenes aus ihrer Zeit mit William Forsythe in Tanz zu übersetzen. Wirklich Persönliches bleibt am Ende jedoch außen vor. Dieser gemeinsamen Uraufführung gelingt es (lediglich), das choreografische Universum des legendären Frankfurter Ballettchefs der Jahre 1984 bis 2004 wieder in Erinnerung zu rufen. Immerhin.

Licht aus. Musik an. Im Hintergrund reißen zwei Tänzer die Türe einer verschiebbaren Studiowand auf und preschen an die Rampe. Einer showmastert ins Mikrofon. Damit nimmt am 20. November die Auftaktpremiere zur neuen Spielzeit des Gärtnerplatztheater-Balletts ihren Lauf – mit einem verbalen Exkurs über das Nichts. Wie schon der Titel „Frankfurt Diaries“ („Frankfurter Tagebücher“) andeutet, ist in Münchens Reithalle, dem Hauptexilort des noch renovierungsbedingt vagabundierenden Tanzensembles, rigoroser Tapetenwechsel angesagt.
Rizzi

Die impulsive Sprechattacke zu Beginn will den Kontakt zum Publikum – intellektuell und provokant-humorvoll zielgerichtet. Dabei wird dem Ich des Moderators mehr und mehr die Rolle des Avantgarde-Choreografen übergestülpt, während der verbal eingeschlagene Weg vom englischen Begriff „Nothing“ über „no thing“ und „Something“ mitten hinein in eine Probensituation bzw. Lecture demonstration rund um den körperlich-schöpferischen Prozess führt. Ab da ist jeder weitere Tanzduktus klar: exaltiert verbogen, stylisch pointiert, verzwackt-verwinkelt, geometrisch verdreht, permanent aus der Achse gekippt oder exaltiert verbogen.

Schreiners Ballett goes Forsythe! Ein sehr anschaulicher Einstieg von Anthony Rizzi, der mit originalen Audio- und Videoeinspielungen auch einige schöne visuelle Momente heraufbeschwört, wenn historische Bilder und reale Bewegung überlappen. Insgesamt 18 Jahre hat er als Tänzer und Assistent an der Seite des kreativen Bewegungsanalytikers Forsythe verbracht. Nur schlüssig, dass ihm seine vier Kollegen den Part überließen, die Einzelstücke zu einer Einheit mit fließenden Übergängen zu verbinden.

ReischlHerausgekommen ist ein bunter Adrenalinrausch, der das Ensemble meist in versprengter Anordnung, seltener in raumwirksamer Gruppendynamik aus der Reserve lockt. Der optisch pfiffigste Ausreißer ist Georg Reischls Zweifarben-Tableau. Hinten weiß, vorne pink, vereinnahmen seine Akteure den Raum sportlich-beschwingt-leger. Sind solistische Verrücktheiten, explodierende Moves oder bizarre Dialoge in Mini-Formation im typischen Bewegungskanon weit aus dem Becken geschraubter Schritte mit plötzlichen Richtungswechseln gefragt, geben die Tänzer alles.

Und doch stoßen sie – besonders im letzten, von Allison Brown choreografierten Teil – an die eigenen technischen Grenzen. Hier fehlt der große Rucksack an Erfahrung und die souveräne Selbstsicherheit zum risikobereiten Thrill auf Spitze, mit dem Forsythe die Grenzen des Machbaren unwiderruflich verschob. Sei’s drum. Wird es atmosphärisch zäh, knallen Tische zu Boden oder Auftritte münden in abstruse Monologe. Gewitzt gelingt es Rizzi, mit bisweilen lautem Randgeschehen, Längenhänger aufzufangen und die Energie konzentrierter Momente quer durch die Hallentiefe immer wieder neu zu bündeln.Brown

Der finale Kick bleibt freilich dem Meister selbst überlassen: mit Forsythes 17-minütigem Mega-Abracker-Stück „One Flat Thing, reloaded“. Über Bord geworfen sind alle Bedenken, die 14 Ensemblemitglieder dank Christopher Roman perfekt auf die multiplen Cues/Absprachen untereinander getrimmt. So brettern sie akrobatisch-kontrolliert auf, unter und über 20 Tischen herum. Wie ein gemeingefährlicher Tsunami, den elektroakustisch (Musik: Thom Willems) ein ICE durchschneidet. Ein Schatz für Kenner. Für alle anderen gilt: unbedingt durchhalten!

Ballett am Staatstheater am Gärtnerplatz: "Frankfurt Diaries", Uraufführung am 20. November, letzte Vorstellungen am 27. (Benefizvorstellung zugunsten der Münchner Aids-Hilfe e.V.) und 28. November in der Reithalle

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