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MarinaVom Seelenschmerz zur Turbodynamik. Aus zwei mach eins! Seit 2012 gelingt es Yuki Mori, die Regensburger für Tanz zu begeistern. Dass er dank Engagement anderer Kollegen nicht nur die zehnköpfige Kompanie durch verschiedene Bewegungssprachen fordert, sondern bei der Planung der Zweiteiler auch ein Händchen für den großen Gesamtbogen einer Aufführung hat, stellte die Premiere von „Bolero“ am 12. Februar im Opernhaus unter Beweis.

„Zeit.Raum!“ übertitelte Yuki Mori seinen ersten Abend, und Stephan Thoss (sein ehemaliger Chef in Hannover und Wiesbaden) steuerte einen Teil des Programms bei. Ein Konzept, das der 38-jährige Japaner seither konsequent zum Markenzeichen seines Ensembles ausbaut – neben eigenen abendfüllenden Produktionen wie „Ich, Wagner. Sehnsucht!“, „Don Quijote“ oder zuletzt dem Tanzkrimi „The House“.

Moris Gast für den Abend „Bolero“ war der in Zürich lebende Londoner Ihsan Rustem. Hierzulande ein weniger bekannter Name – außer für jene, die unter Philip Taylor das Ballett Theater München am Staatstheater am Gärtnerplatz miterlebt haben. 2005 bedeutete der Intendantenwechsel das Aus für die mit kreativen Persönlichkeiten bestückte Truppe. Zugleich motivierte die Auflösung viele, neue Karrierewege einzuschlagen. Wie Cayetano Soto, Annett Göhre oder David Middendorp – um nur einige zu nennen – gelang Rustem der Seitenwechsel zur Choreografie. 2015 wurde er vom Northwest Dance Project in Portland zum ersten Resident Choreographer für drei Jahre ernannt. Die Bekanntschaft mit dem Leiter von Theater Regensburg Tanz machte er, bei einem Wettbewerb, schon früher.

„Marina“ heißt sein Uraufführungsbeitrag und der beginnt mit einem Knall. Ein Schlag und die Tür des Eisernen Vorhangs entreißt dem gerade angekommenen Zuschauer das pittoreske Bild einer sich mit nacktem Rücken und blutrot wallendem Rock zart verbiegenden Frau. Die Inspirationsquelle hinter der Idee: Marina Abramović in ihrer Performance „The Artist is Present“ (MoMA, 2010), in der sie (filmisch festgehalten) nach Jahren ihren Ex-Lebenspartner Ulay wiedersieht. Die stumme Kommunikation ihrer Gedanken hat Rustem nun verschachtelt-tiefenscharf in Tanz übersetzt.

Mit feinen Glockentönen setzt das Philharmonische Orchester Regensburg zu Arvo Pärts „Cantus in memory of Benjamin Britten“ an, während sich der Blick auf eine Staffelung heruntergekommener Zimmerwände voll leerer Gemälderahmen öffnet: Räume trister Erinnerung, in denen Paare bewegungsintensiv dem Verbleib ihrer Beziehung nachgehen, sich tänzerisch griffig dem Problem verlorener Liebe und Trennung stellen. Obwohl es den Duetten nicht an Geschwindigkeit mangelt, wirkt der 25-Minüter in seiner Gesamtheit wie ein gigantisches, nach innen gekehrtes Adagio. Je tiefer die Tänzer sich ins Thema hineinarbeiten, desto weiter und versatzstückfreier lässt Ausstatterin Dorit Lievenbrück ihren Aktionsradius werden. Bis fünf Frauen und fünf Männer sich, kaum mehr bekleidet, auf fast leergeräumter Bühne in die Intimität verbindender Zweisamkeit finden, ehe der Fokus choreografisch wieder zurück auf ein Paar und zuletzt die stimmungsangebende Frau vom Anfang gezoomt wird. Originell. Verhalten. Poetisch!

In rhythmische Extreme und körperliche Extrovertiertheit treibt im Anschluss Hausherr Mori sein in zeitgenössischem Duktus beachtlich fittes Ensemble. Nach Strawinskys „Sacre“ hat er sich mit Ravels „Bolero“ erneut ein von starken Vorbildern (v.a. Béjart) geprägtes Stück ausgewählt. Um wieder alles anders zu machen! Hexenhaft breitbeinig dürfen seine Interpreten mit weit gebauschten Hosen und langen Jacken zu John Adams minimalistischen „Chairman Dances“ starten. Schwarze Schmutzbrocken und zwei riesige Kehrschaufeln begleiten ihr kreisseliges Treiben. Später zerschneiden kurzzeitig Neonröhren den Raum. Die Vorbereitung zu einem sakral-dynamischen Ritual.Bolero

Dann schlichten sich alle in Schneidersitze und klopfen und wippen sich (ein genial perkussiv gestalteter Übergang!) in Ravels legendär anschwellenden Melodierausch hinein. Was folgt ist Tanz pur. Er pulsiert durch jeden der Körper und bricht sich in immer neuen Konstellationen Bahn. Mal prescht die Gruppe, dann wieder der Einzelne voran. Geometrie konterkariert Chaos und jongleurhaft herumgewirbelte Hüte akzentuieren ebenso wie aus der Dunkelheit leuchtende Hände den musikalischen Sog. Zum Schluss fliegen Jacken und Bowler in die Luft, die Tänzer zu Boden. Jubel! Moris Choreografie reißt mit. Mehr noch: Sie lässt den „Bolero“ ungewohnt anders klingen.

Theater Regensburg Tanz: "Bolero" Premiere am 12. Februar 2016 im Theater Regensburg. Weitere Vorstellungen: 30. März, 3., 29. April, 1., 13. Mai und 9. Juli 2016