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Nussknacker1Dass zur Weihnachtszeit die Offenheit für Märchen- und für Zauberhaftes besonders gegeben ist, war im zahlreich gekommenen Uraufführungs-Publikum zu spüren. Dass zur kalten Winterszeit dies auch für die Bereitschaft zu Träumen und reflexiver  Innenschau zutrifft,  mag ebenso gelten. Dass die Verbindung von beidem in einem Kunstwerk gelingen kann, das dachte sich offensichtlich der Grazer Ballettdirektor und Choreograph Jörg Weinöhl in Zusammenarbeit mit seiner Kostüm- und Bühnenbildnerin Saskia Rettig.

Und so ist nach intensiver Auseinandersetzung mit E.T.A. Hoffmanns Urtext so wie der Musik von Peter Iljitsch Tschaikowski – ergänzt durch andere seiner Werke wie aus der Symphonie Nr. 4, f-Moll – eine Bearbeitung mit diesem Ziel entstanden.Nussknacker2

Einen gelungenen Hinweis auf den einen Fokus, auf die verborgenen Gefühle, Wünsche und Ängste Claras, erhält man bereits beim Betreten des Zuschauerraumes durch die von Beginn an offenen Bühne, wo gutbewacht von Unbekannt (von Droßelmeier, wie später klar wird) in den „Tiefen“ einer großen Kiste Geheimnisvolles versteckt ist und also auf seine Enthüllung wartet. Clara wird es sein, die neugierig und mutig genug ist, das Geheimnis von Verstecktem (in ihrem Inneren) dieser Kiste, die diskret von Droßelmeier an den Rand geschoben wurde, zu lüften. So wenig sie mit ihrem Geschenk, dem Nussknacker, vorerst anzufangen weiß, so unmittelbar beschäftigt sie sich - bei aller Verwunderung über den entdeckten Inhalt der Kiste, über die Mausefallen - doch interessiert mit diesen: Wenngleich zweckentfremdet, aber umso fantasievoller baut sie mit ihnen ein kleines Haus. So weit so interessant diese Szene vor der des weihnachtlich-chaotisch-feierlichen Familien-Hintergrunds. Insgesamt allerdings atmosphärisch weder wirklich packend noch bezaubernd, was nicht so sehr am „fehlenden“ Weihnachtsbaum liegt. Vielmehr springt kein zündender Funke von den Tänzern über: Sie können zwar ein wenig von erwartungsvoller Hektik vermitteln, aber letztlich fehlt dem Tanz formal und in seiner Umsetzung durch seine Verhaltenheit und mangelnde Spannungsbögen die Überzeugungskraft. Eine relative Ausnahme ist Simon Van Heddegem, der die - allerdings von vornherein dankbare - Rolle des Großvaters verkörpert: Exaktheit und Ausdrucksstärke in der Bewegung ist auch immer wieder bei Droßelmeier (William John Banks) und dem Nussknacker (João Pedro de Paula) ein erfreulicher und während der gesamten Choreographie geltender Faktor. Clara (Clara Pascual Marti) hingegen, die man in Graz schon als bühnenpräsente, gute Tänzerin erlebt hat, lässt (vor allem im ersten Akt) jegliche kindlich freudvolle Offenheit und tänzerische Bewegungsstärke vermissen. Auch wenn hier inszenatorische Absicht im Sinne von „Wohlerzogenheit“ eine „dämpfende“ Rolle gespielt haben mag und auch ihr unvorteilhaftes Kleidchen in dieser Art zu begründen wäre: So erreicht sie niemanden jenseits der Rampe. Und damit auch nicht mit dem, was als Unterstreichung ihrer inneren Vorgänge, Ängste und Unsicherheiten deutlich gemacht werden soll. Etwa in Form von mehrmaligem kurzen Stillstand der Tänzer während ihrer, Claras , Denk- und Empfindungsvorgänge. Sehr wohl auch gut unterstützt vom insgesamt zurückhaltenden, aber exakt- wirkungsvoll eingesetzten Licht (Bernd Burkrabek).

Nussknacker3Dargestellte, traditionelle Weihnachtsrealität (immer wieder recht gut, aber dann doch eher gestisch-mimisch und nicht so sehr markant tänzerisch umgesetzt) und zeitgenössisches, analytisches bzw. abstraktes Denken erreichen also nicht die angestrebte Verbindung, lassen vielmehr hier wie dort Überzeugungskraft oder Tiefgang vermissen. Beispielhaft dafür die Szene, als Clara, die zuvor einen Zugang zu ihrem Nussknacker suchte, ihre zu Bett gehenden Eltern beobachtet: Sie ist tänzerisch gelungen als zärtlich-langsame Bewegungs-Sequenz, aber nicht mehr.

Als ein wenig griffiger erweist sich der zweite Akt, der in Weinöhls Choreographie einen Alptraum Claras zum Inhalt hat. Allein, das Vermittelte bleibt weitgehend auch hier auf einer Ebene, auf der des bösen Traumes (verortet im nun großen Mausefallenhaus, das bekanntlich selbst in Klein gebaut wurde – was ja wieder ein guter Denkansatz wäre, aber keine weitere Umsetzung erfährt) , dringt also, bis auf Ansätze in Szenen zwischen Clara und Nussknacker, kaum in ihr Inneres.Nussknacker4

Im dritten Akt „Der Traum geht weiter“ wandelt sich die Mäuse-Bedrohung in ein Divertissement des Schönen und (auch für Clara) Beglückenden. Nun zeigt sich ein wenig von Clara Pascual Martis Können sowohl solistisch als auch im Duo mit dem Nussknacker, aber an Packend-Aussagekräftigem, tiefer Berührendem, Tiefsinnigem mangelt es immer noch. Die Tänzer tummeln sich hier vielmehr vor allem in abwechselnder Konstellation und Anzahl sehr lang in einem weihnachtlichen Wald, umgeben von blumengeschmückten Mäusefallen zwischen Schneeflocken- und Finalwalzer in Spanischem, Chinesischem und Russischem Tanz sowie anderen mehr. Man genießt die Musik, engagiert interpretiert vom Grazer Philharmonischen Orchester und feinfühlig geleitet von Robin Engelen. Die Augen wünschen sich etwa bei den Schneeflocken (und zusätzlich zu einer Idee wie der von in Röcken tanzenden Männern) allerdings mehr an getanzter Formenvielfalt.

Von zeitgemäßer Offenheit zeugt die Mitwirkung der Singschul‘ der Oper Graz, die in einer humorvollen, kleinen Szene versteckte Kritik einzubringen vermag, sowie der Einsatz der Kinder der Opernballettschule: Im 2.Akt beispielsweise nett eingesetzt gemeinsam mit dem Mausekönig (Frederico Oliveira) und also gleich dankbar beklatscht.

"Nussknacker und Mäusetraum", Uraufführung am 3.Dez. 2016, Opernhaus Graz. Weitere Vorstellungen am 7., 9., 11., 14., 18., 23., 26. Dezember 2016, 14. und 19. Jänner 2017

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