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grupocorpo1Grupo Corpo steht für gute Tanzunterhaltung – und das ist keineswegs abwertend gemeint. Diese Visitenkarte hat die Compagnie bei ihrem Gastspiel 2014 mit einem authentisch brasilianischen Programm hinterlassen und sie hat damit überzeugt. Nicht mehr und nicht weniger erwartete man sich auch vom  40-jährigen Jubiläumsprogramm, mit dem die Compagnie ins Festspielhbaus St. Pölten zurück kehrte. Doch die Rechnung ging diesmal nicht (ganz) auf.

Der Name „Grupo Corpo“ – „Körpergruppe“ – kann auf individueller sowie auf kollektiver Ebene interpretiert werden. Die Compagnie besteht aus wohlgeformten Frauen sowie muskulösen, starken Männern; als Ensemble bewegen sie sich wie aus einem Guss. Es sind bestens trainierte TänzerInnen, denen man gerne zusieht. Ihren einzigartigen Bewegungsstil erreicht die Gruppe um die Pederneiras-Brüder durch eine jazzige Note auf neoklassischer Basis mit südamerikanischem Tempo und brasilianischem Flair. Die Bewegungen kommen aus der Körpermitte, das Becken spielt eine Hauptrolle. Wen wundert’s, dass sie auch diesmal das Publikum begeisterten!grupocorpo4

Ihr Jubiläumsprogramm (der runde Geburtstag war übrigens 2015) besteht aus zwei Choreografien: „Suite Branca“ von Cassi Abranches, ehemalige Tänzerin der Truppe und „Dança Sinfónica“ von dessen Chefchoreografen Rodrigo Pedeneiras. Beide gehen ähnliche Wege: Das Bühnenbild ist ein Hintergrundprospekt – ein weiße, dreidimensionale Fläche, die immer mehr die Formen von Felswänden annahm, oder ein abstrakt wirkendes Muster bei Pedeneiras, das sich erst beim Schlussapplaus als Collage von Fotos und Memorabilien entpuppt (Bühnenbildner und Lichtdesigner Paulo Pedeneiras hat sie aus Momenten der 40-jährigen Compagniegeschichte zusammen gestellt). Dazu entwarf Freusa Zechmeister weiße Kostüme vor weißem Hintergrund (bei Abranches), rot-schwarze Trikots vor dunklem Hintergrund (bei Pederneiras). Choreografisch konzentrierten sich beide auf die die körperliche Ebene – Pas de deux, Soli und Gruppensequenzen, gewagte Hebungen, akrobatische Lifts, ungewöhnliche Sprünge, rasend schnelle Touren. Die unterschiedlichen Partner erweitern sozusagen die physischen Möglichkeiten eines Duos und kreieren dabei selten gesehene Positionen – fast möchte man meinen, die großen Männer könnten die kleinen zierlichen Frauen sozusagen in die Tasche stecken. grupocorpo3

Räumlich arbeiten die beiden Choreografen quasi auf einer Ebene. Auftritte und Abgänge von links nach rechts und umgekehrt, die Aktionen spielen sich meist auf einer Linie ab und das macht das Geschehen flach und eindimensional.

grupocorpo2Die Schwäche des Abends lag aber vor allem in der Musik. Seit 1988 arbeitet Grupo Corpo nur mit originalen Auftragskompositionen. Das musikalische Konzept dafür ist aber heute altmodisch.  Weder die (sehr laute) Musik noch der Bewegungsfluss kommen jemals zur Ruhe. Bald erscheinen Musik und Tanz wie ein Einheitsbrei, in der eine Szene nach der anderen abgespult wird. Samuel Rosas Score für die Choreografie von Cassi Abranches spielt mit einem dramatischen Pathos wie eine Filmmusik. Dabei ist aber der Tanz Bewegung pur ohne jeglichen Handlungsansatz oder dramatische Entwicklung. Für seine Choreografie engagierte Pedeneiras den Komponisten Marco António Guimarães. Dieser hat in seiner pseudoklassischen Collage zwar jede Menge Referenzen an die alten Meister verpackt, aber nie einen sinfonischen Bogen gespannt.

Im Gegensatz zum unmittelbaren brasilianischen Lebensgefühl, das das Gastspiel 2014 vermittelte, waren die wunderbaren TänzerInnen damit in ein Kunstkonstrukt gepresst, das ihre Ursprünge weitgehend außer Acht ließ. Dabei verliert Grupo Corpo viel von seinem attraktiven Lokalkolorit, das die Truppe aus dem Reigen der internationalen Repertoirecompagnien heraushebt.

Grupo Corpo am 11. März 2017 im Festspielhaus St. Pölten