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Gala Foto1Als Feier für den scheidenden Stuttgarter Ballettintendanten Reid Anderson gestaltete dessen Nachfolger Tamas Detrich die Internationale Ballettgala zum Saisonabschluss. Gewürdigt wurde Anderson für seine 19 Jahre als Tänzer und 22 Jahre als Ballettintendant in Stuttgart. Aus diesem Anlass gab es zuvor eine ganze Festwoche mit zehn Ballettaufführungen sowie der „Romeo und Julia“-Kinopremiere, und der finale Höhepunkt war eine großartige Schau der Superlative.

Optimal aufeinander abgestimmte Ausschnitte aus Werken aus jedem Jahr seiner Intendanz wurden gezeigt, präsentiert von einem glänzend tanzenden Stuttgarter Ensemble mit seinen brillierenden Solisten. Unzählige Rollendebuts, speziell für diesen Abend einstudiert, boten zusätzliche Attraktivität. Die Stärke der Stuttgarter Compagnie liegt in der Homogenität; ein Großteil wird aus der eigenen Nachwuchsschmiede, der John Cranko Schule, engagiert. Das Stuttgarter Ballett selbst ist gleichzeitig Kaderschmiede für viele Tänzer von Weltrang und international bedeutenden Choreografen. Zahlreiche ehemalige Mitglieder sind nun als Ballettdirektoren weltweit tätig. Diese immense Kraft ist es auch, die es ermöglicht, dass diese hochkarätige Truppe alle gestellten Anforderungen bestens erfüllen kann und das „deutsche Ballettwunder“ auch 45 Jahre nach dem Tod seines Gründers John Cranko eine Ausnahmecompagnie ist. Verstärkung wird da selten gebraucht, auch für die XXL-Gala waren lediglich zwei Gasttänzerinnen eingeladen: Polina Semionova sowie Anna Laudere vom Hamburg Ballett.Gala Foto21

Ein erfreuliches Wiedersehen gab es aber auch mit zwei ehemaligen Ersten Solisten und Publikumslieblingen, die zwar auf eigenen Wunsch die Compagnie verlassen hatten, aber aus diesem Anlass zurückkehrten: Daniel Camargo und Marijn Rademaker.

Viele ehemalige Tänzer der Compagnie waren auch im Zuschauerraum zugegen, die Gala war selbstredend ausverkauft und wurde im Rahmen von „Ballett im Park“ auch über eine Videowall vor dem Staatstheater im Freien übertragen, wo trotz des zu Beginn regnerischen Wetters viele bis zum Schluss in der Kühle der langen Galanacht ausharrten. Sie alle wollten dabei sein, um Reid Anderson für seine jahrelange Tätigkeit für das Stuttgarter Ballett zu danken.

Gala Foto41Nach den sauber präsentierten „Etüden“ (Choreografie: Tadeusz Matacz) der Schülerinnen und Schüler der John Cranko Ballettschule (von den ganz Kleinen bis zu den Abschlussklassen waren alle vertreten) sowie dem Defilee aller Compagniemitglieder markierten zwei der bedeutendsten Werke John Crankos die Meilensteine der Vorstellung: „Romeo und Julia“ als Einstieg – hier tanzten Jason Reilly und Hyo-Jung Kang in inniger Verbundenheit den Balkon-Pas de deux – den dramatischen Schlusspunkt setzten Alicia Amatriain und Friedemann Vogel mit dem letzten Pas de deux aus „Onegin“, einem Stück, das über die Jahre stets Fixpunkt im Repertoire war.Gala Foto27

Die Wieder-Vereinigung des Stuttgarter Tänzertraumpaares für diesen Abend machten deren gemeinsame Auftritte zu wahren Publikumsreißern: die beiden von Elisa Badenes und Daniel Camargo getanzten Pas de deux schlossen sowohl den ersten wie den zweiten Teil fulminant ab. Camargo, der sich vor einiger Zeit entschieden hatte, sich anderweitig tänzerischen Aufgaben zu widmen, kehrte für diese Gala als Gast zurück und reüssierte mit Bravour sowohl in „Don Quijote“ in der Choreografie von Maximiliano Guerra ebenso wie in „Der Widerspenstigen Zähmung“ von John Cranko. Elisa Badenes war ebenso grandios in der Technik wie im Ausdruck und gefiel vor allem als widerborstiges Käthchen außerordentlich. Die beiden sind ein wunderbar aufeinander eingespieltes, unglaublich harmonisches Paar – schade, dass es durch Camargos Weggang aus Stuttgart nur noch selten Auftritte miteinander gibt.

Marijn Rademaker ist der andere Rückkehrer, der für diesen Anlass nach Stuttgart kam. Er präsentierte sich mit Miriam Kaverova im Pas de deux aus „I Fratelli“ von Mauro Bigonzetti – in aussichtsloser Liebe verzweifelnd. Im typischen Kampf zwischen Mann und Frau gefiel er mit Anna Osadcenko in „Two Pieces for HET“ von Hans van Manen.

Einen kurzen Ausflug in die Romantik boten eine seelenvoll verinnerlichte Miriam Kacerova als Giselle mit David Moore als Albrecht mit dem Pas de deux aus dem 2. Akt in der Inszenierung von Reid Anderson und Valentina Savina in der Choreografie nach Marius Petipa.

Gala Foto5Als edles poetisches Kleinod erwies sich der Pas de trois aus „Suite“ von Uwe Scholz mit Alicia Amatrian, Roman Novitzky und Marti Fernández Paixà.

Christian Spuck war gleich dreimal mit Ausschnitten aus seinem Œuvre vertreten. Anna Osadcenko zeigte sich als präsenter Akzent in fließend-dynamischer Bewegung mit wechselnden sieben Partnern in „Das siebte Blau“. Gala Foto8

Österreichs Beitrag zu dieser festlichen Aufführung war Flemming Puthernpurayil, der von der Wiener Staatsopernballettschule nach Stuttgart gewechselt hatte um dort seine Ausbildung abzuschließen und jetzt im Corps de ballet in Stuttgart engagiert ist. Elisa Badenes gab sich ganz als verführerische Lulu in der Szene mit dem Maler und wurde von zahlreichen Verehrern zu Schostakowitsch´s Walzer (bekannt aus dem Film „Eyes Wide Shut“) umschwärmt. Nicht fehlen durfte auch die amüsante Auseinandersetzung mit dem klassischen Ballett in „Le Grand Pas de deux“ mit liegender Kuh – köstlich dargeboten von Jason Reilly und Elisa Badenes.

Gala Foto37Aus der jungen Garde der Choreografen, die aus dem Haus hervorgegangen sind, war natürlich auch Marco Goecke vertreten: Friedemann Vogel spiegelte die flirrende Vibration der Musik von Philip Glass, übertragen in Goeckes nervös-elektrisierender Bewegungssprache, im Solo aus „Orlando“ überzeugend wider. Aus Demis Volpis Erfolgsstück „Krabat“ demonstrierte David Moore in seinem sehr eindrucksvollen Solo seinen innere Kampf darum, die Macht – symbolisiert durch den Mantel des Meisters – anzunehmen, sie aber letztlich doch zurückzuweisen.Gala Foto28

Sehr stimmig dann ebenfalls David Moore mit Anna Osadcenko im Pas de deux aus „Rückkehr ins fremde Land“ von Jiři Kylián. Auch Beiträge aus dem Schaffen von John Neumeier charakterisierten epochale Glanzlichter im Spielplan der Stuttgarter. Im Pas de deux aus „Othello“ berührten Jason Reilly und Anna Laudere (als Gast vom Hamburg Ballett) in ihrem Pas de deux durch die zärtliche liebevolle Annäherung in gefühlvoller Zartheit zwischen Othello und Desdemona.

Gala Foto35Aus Neumeiers Paradestück „Die Kameliendame“ wurde der Pas de deux gezeigt, den Neumeier 1978 für Reid Anderson und Marcia Haydée kreiert hatte. Roman Novitzky strahlte hier würdevolle Entschlossenheit aus, Alicia Amatriain war im emotionalen Pathos gefangen.  Gala Foto26

Polina Semionova als Gast tanzte mit Friedemann Vogel einen Ausschnitt aus William Forsythes „Herman Schmermann“ in gekonnter Balance aus legerer Lässigkeit und präziser Pointiertheit. Alicia Amatriain und Roman Novitzky stellten im Pas de deux aus „Edward II.“ von David Bintley obsessive Besessenheit unter Beweis. Hyo-Jung Kang und Marti Fernández Paixà leuchteten mit innerer Strahlkraft im Sanctus-Pas de deux aus „Requiem“, den Kenneth MacMillan 1976 für Marcia Haydèe und Reid Anderson geschaffen hat.

Gala Foto2Nach dem offiziellen Programm war auch noch das Finale reich an Überraschungen. Zur mitreißenden Musik aus dem Musical Chorusline tanzten und sangen alle Mitglieder der Compagnie den Hit „Singular Sensation – he is the one“ – und erwiesen damit noch einmal ihrem Chef ihre Referenz. Danach wurde Reid Anderson auf offener Bühne von Wegbegleitern – Tänzern wie Mitarbeitern – je eine rote Rose überreicht; Konfettiregen, Glitzervorhang, Luftballons und das auf die Bühnenrückwand projizierte „Danke, Reid“ in allen Sprachen der in der Truppe vertretenen Nationalitäten vervollständigten den Dankesreigen.Gala Foto43

Auch die hohe Politik ließ es sich nicht nehmen, diese Feier entsprechend zu verbrämen. Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann kam in seiner launigen Ansprache auf die vielen Verdienste von Reid Anderson zu sprechen und hob vor allem die geglückte Wahrung des Erbes von John Cranko hervor, indem es gelungen war, Freiräume zu schaffen – statt ein Ballettmuseum zu verwalten. Aber Andersons wichtigster Erfolg ist wohl der durch seine Hartnäckigkeit durchgesetzte Neubau der John Cranko Ballettschule. Für sein unermüdliches Wirken für das Stuttgarter Ballett wurde Reid Anderson die große Stauffermedaille in Gold verliehen. Auch Oberbürgermeister Fritz Kuhn würdigte in seiner prägnanten Rede die Verdienste Andersons. Zuletzt sprach Marcia Haydée – Bühnenpartnerin und Vorgängerin als Ballettchefin in ihrer Laudatio über die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit Reid Anderson und gab einige Anekdoten aus ihrem gemeinsamen Bühnenleben zum besten.

In Stuttgart weiß man besondere Anlässe besonders zu feiern – das Publikum bejubelte die Tänzer und bedankte sich bei Reid Anderson mit langanhaltendem Applaus, Standing Ovations sowie hochgehaltenen Papierplakaten mit roten Herzen und der Aufschrift Danke, Reid.

„A Reid Anderson Celebration – Gala des Stuttgarter Balletts“ am 27. Juli 2018 im Stuttgarter Opernhaus