Hauptkategorie: Kritiken

Liebeslieder1In seiner jüngsten Premiere präsentierte das Hamburg Ballett zwei Balanchine-Stücke zur Musik von Johannes Brahms. Schon seit einigen Wochen waren in der Stadt Plakate zur Aufführung zu sehen, die neugierig machten. Eine spannende Schwarz-Weiß-Aufnahme von Kiran West, Fotograf und bis 2015 Solist in John Neumeiers Ensemble. Aus ungewöhnlicher Perspektive lässt sich ein sich drehendes, kreiselndes Tanzpaar betrachten. Konturen, die verschwimmen und Bewegung, die zu rauschen scheint.

Der Ballettabend „Brahms/Balanchine“ ist dann vielleicht nicht ganz so auffallend geworden wie sein fotografischer Vorbote, erwies sich aber dennoch als sehr sehenswert. Er besteht aus zwei Stücken: „Liebeslieder Walzer“ (1960) und „Brahms-Schoenberg Quartet“ (1966). Es sind die einzigen Werke des Komponisten, die Balanchine verwendet hat. Denn eigentlich hielt Balanchine Brahms` Musik für nicht besonders choreografierbar: „Was Brahms anbetrifft, so kann man nicht zu sehr viel Musik von ihm tanzen. Die meiste ist geschrieben worden, damit man ihr zuhört oder sie aufführt.“Liebeslieder4

Dramaturgisch funktionieren die beiden Ballette absolut unterschiedlich, wodurch die feinen Schattierungen im Oeuvre des Neoklassizisten Balanchine hervorgehoben werden. Einem Kammerspiel gleich zeigt „Liebeslieder Walzer“ im ersten Teil des Abends vier Paare, die sich zunächst im Habitus großbürgerlicher Tanzkultur des 19. Jahrhunderts umeinander drehen, die sich positionieren, Handküsse verteilen und wallende Röcke raffen. Dann eine Pause. Hinter den Scheiben des Ballsaals ist es Nacht geworden, die Sterne leuchten. Die acht Tänzer treten erneut auf, die Frauen nun auf Spitze und im knielangen Tutu, die Männer haben ihre weißen Handschuhe ausgezogen. Schichten eines feinen Beziehungsgeflechts werden sichtbar, Emotionen, wenn auch formal durchstrukturiert, offengelegt. Schnelligkeit und artifizielle Arm- und Handbewegungen kennzeichnen Balanchines disziplinierte Formensprache.

Liebeslieder5Tänzerisch sind alle vier Paare perfekt aufeinander eingespielt. Silvia Azzoni und Alexandre Riabko, Anna Laudere und Edvin Revazov, Patricia Friza und Carsten Jung sowie die gerade vom Bundesjugendballett in Neumeiers Ensemble gewechselte Sara Ezzell an der Seite von Matias Oberlin. Im Schlussbild der Choreografie finden die acht Tänzer wieder zusammen. In ihrer ursprünglichen Ballgarderobe platzieren sie sich zu einem ordentlichen Gruppen-Porträt. Höflich und geräuschlos applaudieren sie der kleinen Musikergruppe am Rand der Bühne: Johanna Winkel (Sopran), Sophie Harmsen (Alt), Sebastian Kohlhepp (Tenor)und Benjamin Appl (Bariton). Sowie am Klavier Mariana Popova und Burkhard Kehring.Schoenberg1

Im zweiten Teil des Abends geht es tänzerisch weit ausgelassener und variationsreicher zu. Denn Balanchines Choreografie zu Arnold Schönbergs Orchesterfassung von Brahms g-Moll-Klavierquartett ist nicht als Einheit konzipiert, es besteht vielmehr aus vier voneinander unabhängigen Teilen. Entstanden im Anschluss an den Wechsel von Balanchines Compagnie vom City Center ins weiteraus größere New York State Theater verläuft „Brahms-Schoenberg Quartet“ letztlich wie eine Gala, in der Solisten und Ensemble den Raum erkunden und sich in unterschiedlichen Kontexten präsentieren. Von zart und zurückhaltend (in einem wunderbaren Andante-Pas de deux von Hélène Bouchet und Alexandr Trusch) bis zu ebenso exakt wie schwungvoll in den ungarischen Tänzen zum Ausklang (Madoka Sugai und Karen Azatyan).

Schoenberg2Wie bei allen Aufführungen von Choreografien des New York City Ballet-Gründers wurden Einstudierung und Interpretation seiner Stücke auch in Hamburg durch den George Balanchine Trust angeleitet. Dafür dass Balanchines Werk unverfälscht bleibt, sorgten die ehemaligen New York City Ballet-Tänzer Nilas Martins (erster Teil) sowie Maria Calegari und Bart Cook (zweiter Teil). John Neumeier betonte, wie wichtig es für eine anspruchsvolle Compagnie sei, Balanchine im Repertoire zu haben. Den Fokus auf die beiden Brahms-Ballette Balanchines zu setzen, bedeute, so Neumeier, die Geburtsstadt des Komponisten mit einer langen Tradition von Balanchine-Aufführungen an der Hamburgischen Staatsoper zu verknüpfen.

So ist ein Ballettabend entstanden, der auf Bewährtes setzt. Und dieses gekonnt, präzise und mit viel Elan zu zeigen versteht.

Hamburg Ballett: „Brahms/Balanchine“, Premiere am 9. Dezember 2018 in der Hamburgischen Staatsoper, weitere Vorstellungen: 16., 18. Dezember sowie 16., 17. Jänner und 29. Juni 2019