Hauptkategorie: Kritiken

workshopDrei Programme von Veza Fernandez, Christina Lederhaas, The Loose Collective und Emese Horti sowie ein Tanzfilm-Festival (siehe tanz.at-Kritik) setzten im November ein markantes Lebens-Zeichen für den zeitgenössischen Tanz in Graz. Und außerdem dafür, dass ihnen und einigen anderen Tänzern aus der Region an Kommunikation untereinander sowie an Zusammenarbeit gelegen ist. So wurde schon 2018 von einer Gruppe Tanzaffiner tanzNetz Graz gegründet.

Ein Verein, der künstlerische Interessen im zeitgenössischen Tanz- und Performancebereich unterstützen und stärken sowie nach außen vertreten will. Die Initiative von Aktiven und Tanzinteressierten basiert auf Vernetzung, Information und Austausch wie auch konkreter Kooperation.

Ein regelmäßig erscheinender Newsletter informiert über relevante Termine und Inhalte aus diesem performativen Bereich in Graz, der Steiermark und darüber hinaus. Anfang Oktober wurde zu „Reden und Tanzen #1“ geladen, einer Veranstaltung, die zweistündige Workshops zu tanz-relevanten Themen anbietet bevor in zwei weitere Stunden gemeinsam getanzt wird. Die Reihe startete überaus erfolgreich mit Fragen und Tipps rund um Förderansuchen, geleitet von zwei erfahrenen Kulturmanagerinnen aus Graz. Anfang Dezember wird in diesem Rahmen Marta Navaridas über Fakten und Gedanken zur Kunst der Choreografie sprechen.

Anfang Juli 19 wurde vom tanzNetz Graz zur Kick-off Pressekonferenz geladen. Anfang November auf Initiative von Fernandez und Navaridas anlässlich der November Produktionen bereits zur zweiten. Alle Veranstaltungen fanden daraufhin mediale Beachtung, was für die freie Szene in Graz bislang nur von vereinzelten gesagt werden kann.

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Die Projekte von Veza Fernandez und Christina Lederhaas, die seit 2013 zusammenarbeiten, sind nach Arbeiten mit der Sprache, dem Körper und dem Raum immer abstrakter geworden. In der nun von ihnen konzipierten und performten „viszeralen Choreografie“ sind es nahezu ausschließlich ihre nackten Körper, die für den Menschen und für seine kommunikativen Potentiale stehen. Für solche, die durch eine größtmögliche Nähe zueinander und einem ebensolchen Miteinander in der Bewegung definiert, aber damit letztlich sehr eingeschränkt sind. So wird man mit einem sich in Variationen umschlingenden, rollenden, liegenden, sich erhebenden und senkenden Zwei-Körper-Gebilde konfrontiert. Die körperliche Sehnsucht nach dem anderen scheint in der gewünschten Intensität unerfüllbar zu bleiben, bleiben zu müssen, die mentale oder metaphorische denkbare ebenso. Dies berührt in gewisser Weise, lässt aber in der Monotonie des zu Erkennenden und Begreifenden doch immer wieder und immer mehr den Spannungsbogen sinken. Denn auch wenn sich die Rhythmik der Bewegungen und ihr Tempo ändert, an Dynamik zunimmt, bleibt der Kern konstant. hunger1

Auch dann, wenn eine dritte Person (Musikerin Margarethe Maierhofer-Lischka) mit gleichen Mitteln, wenn auch als Art beruhigender Faktor sich integriert, integriert wird. Die Ernsthaftigkeit im suchenden Engagement der Performerinnen ist ausnahmslos spürbar, die Wirkung bleibt aber wohl eher in ihrem eigenen engen Kreis.

On Earth1On Earth. Part III

Ernste, tiefe Blicke, ein wenig schräg, aber vor allem kuschelig eingebettet: So präsentiert sich das, was vom „Loose Collective“ als „posthumanistische Performance in einer Retro Bar der Zukunft“ auf einem attraktiven Folder angekündigt wird. Inszenatorisch aufbereitet von der (den Grazern nicht unbekannten) schwedischen Künstlerin Gunilla Heilborn – also erstmals eine Arbeit Marta Navaridas‘ und Alexander Deutingers mit einer Regisseurin.

Das „Loose Collective“ besteht dieses Mal zusätzlich zu ihnen, die Garanten für Professionalität sind, unter anderen auch aus Frans Poelstra, der es, ein erfahrener Performance-Profi, ebenfalls ist, und überdies einer, der Understatement am ironisch-gelangweilten Silberteller präsentiert. Jeder einzelne der sechs Performer ist allen anderen ein guter, ein irgendwie und letztlich uninteressierter, weil unsicher durch die Zeit vor sich hin stolpernder Partner. In einer Bar, die sich Heaven nennt Und da „nothing ever heavens in Heaven“ unterhält sich jeder selbst, in seiner Art, irgendwie – und derart auch irgendwie sein Publikum.On Earth2

Dass das Nebeneinander von Performance, Live Music, Tanz und Text die eine und andere kurze, starke Szene, ein einprägsames, ein Nachdenken anregendes Bild bietet, hält derart eine gewisse Aufmerksamkeit aufrecht. Die Präsentationsweise hat neben Selbstironie und derart gekonnt zur Schau gestellter Hilflosigkeit, die gleichzeitig Anprangerung der sozialen Ordnungen ist, zweifellos System. Aber letztlich wird mit dem Thema wenig kreativ oder provokant, sondern eher ‚irgendwie‘ umgegangen.

Third Culture Kid

Emese Horti katapultiert sich mit viel engagiertem Elan in das, was sie als „Ein Tanztheater“ ankündigt und was eines der biographischen wie allgemein gültigen Art grundsätzlich auch ist. Unterstützt von Eric Giulian versucht sie mutig, dieses aktuelle und komplexe Thema auf die Bühne zu hieven. So manch schöne Szene gelingt ihr dabei: Die der feinen Eingangsszene im Zusammenspiel mit Giulian etwa. Oder aber auch die ihrem gymnastischen Können geschuldeten, dem Contacten nicht fernen Pas de deux. Überzeugend die audio-visuelle Konfrontation des Publikums mit all dem an Unterschiedlichkeiten, was kulturelle Identität ausmachen kann. Berührend ihr eingespielter Text mit Assoziationen zur Großmutter. Tiefsinnig ihr „Walzer“, in den sich „einzuschunkeln“ vorerst einfach erscheint, der aber letztendlich all die Härte der kulturellen Integrationsanforderungen aufblitzen und anhand des mit Krücken getanzten Teils beinhart begreifen lässt.

Einige andere Szenen laufen allerdings ins Leere. Und insgesamt fehlt es an konsequenter und tiefgreifender Verfolgung der angeschnittenen Thematik. Insbesondere auch dann, wenn diese sich tänzerisch artikulieren will: Ein choreografisches Second-Eye und ein ebensolches griffigeres in der Regie wäre wünschenswert und könnte dann ein stimmigeres, anspruchsvolleres Ganzes für die junge Künstlerin bewirken.

Veza Fernandez und Christina Lederhaas: “Hunger” am 19. November 2019 im Volkshaus Graz; The Loose Collective: „On Earth. Part III” am 22. November 2019 im Kristallwerk Graz; Emese Horti: „Third Culture Kid“ am 26.11.2019 im Theater am Lend.