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GlassPieces PolakovaLazikMit unterschiedlichen Besetzungen stand der Wiener Staatsballett-Juni ganz im Zeichen der amerikanischen Neoklassik. Am 7. Juni war in diesem Programm Nina Poláková zum letzten Mal zu sehen, die in der nächsten Saison als Ballettchefin ans Slowakische Nationaltheater in Bratislava wechselt. 16 Jahre war sie Mitglied des Wiener Staatsballett, 2011 avancierte sie zur Ersten Solistin. Nina Poláková verstand es vor allem ihren Interpretationen in modernen Balletten einen ganz eigenen Stempel aufzudrücken, so auch in Jerome Robbins‘ „Glass Pieces“.

Im Duett im 2. Satz gibt es praktisch keinen Blickkontakt. In perfekter Harmonie agieren die Tänzerin und der Tänzer miteinander und doch in „splendid isolation“. Poláková gestaltet diese Partie ganz cool und pragmatisch und erinnert dabei auch an den Einfluss der Moderne auf das Ballett: abrupte, häufige Richtungswechsel, alltägliche Bewegungen wie gehen, aber auch ungewöhnliches Partnering finden in der Klassik Eingang. (Einen interessanten Vergleich wird es in der nächsten Saison mit einer Premiere von Merce Cunninghams „Duets“ geben.) Freilich – und hier unterscheiden sich die beiden Richtungen ganz klar voneinander – hat Robbins ebenso wie Balanchine seine Werke für das New York City Ballet ganz an der Musik ausgerichtet, während Cunningham die Bewegung weitgehend unabhängig von der Musik kreierte. So steigert sich in „Glass Pieces“ die Dynamik im Einklang mit der Komposition von Philip Glass. Der erste Satz könnte eine belebte New Yorker Straße sein, voller Menschen, die sich auf unbekannte Orte zubewegen, hin und wieder vor einander ausweichen müssen, aber nichts miteinander gemeinsam haben. Ihnen sind drei Pas de deux gegenübergestellt, die TänzerInnen in pastellfarbigen Leotards, die Damen auf Spitzenschuhen, in perfekter klassischer Attitüde. Die Soloparts wurden in allen Vorstellungen souverän von Ioanna Avraam und Calogero Failla, Alice Firenze und Arne Vandervelde sowie von Fiona McGee und Lourenço Ferreira getanzt. Im zweiten lyrischen Satz bewegt sich das Solopaar vor eine Linie von TänzerInnen, die im Schattenriss vor dem Hintergrundprospekt auftreten.GlassPieces SchochMenha

Während Poláková und Roman Lazik die Choreografie als beziehungslose Abstraktion interpretieren, wird bei Claudine Schoch und Marcos Menha (4. Juni) eine Verbindung zumindest angedeutet, in dem sich die Tänzerin in die Hebungen des Partners anschmiegt und darin ein klein wenig länger zu verharren scheint.

GlassPieces HerrenFührt eine Deutung das Geschehen des ersten Satzes weiter, so leitet die zweite Version in den dritten Satz über, in dem zuerst das Männerensemble mit großzügigen, raumgreifenden Schritten zu Gleichklang findet, in den sich später auch die Frauen einfinden. Es ist den TänzerInnen anzusehen, dass sie Spaß am sich steigernden Tempo haben.DuoConcertant DatoHashimoto

Auch die Beziehung des Paares in Balanchines „Duo Concertant“ entwickelt sich bei den unterschiedlichen InterpretInnen jeweils anders. Die Komplizenschaft, die das Premierenpaar Liudmila Konovalova und Masaysu Kimoto übermittelte (tanz.at berichtete), ist auch bei Kiyoka Hashimoto und Davide Dato (4. Juni) zu spüren. Anders Sonia Dvořák und Lourenço Ferreira, die weitaus zurückhaltender agieren, und damit bereits das Ende vorwegnehmen – ein Abschied, bei dem der Tänzer mit den Musikern auf der Bühne zurückbleibt. Nur im 3. Satz der Musik von Igor Strawinski finden die beiden zu einer unbeschwerten Heiterkeit.

ASuiteOfDances EnoPeciIn jedem Fall ist dieses Stück ein Gespräch zwischen MusikerInnen und TänzerInnen, ebenso wie „A Suite of Dances“. Gegenüber der Cellistin Ditta Rohman scheint der Tänzer Eno Peci den Ton anzugeben, wenn er über die Bühne tobt. Davide Dato hingegen lädt sich mit der Musik auf, folgt ihr und kapituliert schließlich spielerisch vor ihr. In jedem Fall sind beide charismatischen Tänzer eine wunderbare Besetzung für dieses intime Kammerstück.TheConcert

Komödie ist Timing und das beherrschen in „The Concert“ am 4. Juni auch Maria Yakovleva (Ballerina), Andrey Teterin (Ehemann) und Gala Jovanovic (Ehefrau). Mit dem Ensemble kreieren sie einen vergnüglichen Abschluss dieser Zeitreise mit Gustostückerln aus fünf Jahrzehnten Ballettliteratur des 20. Jahrhunderts.

Wiener Staatsballett: "A Suite of Dances" am 4. und 7. Juni 2021 in der Wiener Staatsoper. Letzte Vorstellung: 11. Juni