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Requiem05Ein Riesenchor, ein mächtiges Orchester und vor allem ein überwältigender Tänzerkörper: diese Interpretation von „Ein Deutsches Requiem“ von Johannes Brahms droht die Grenzen der Volksoper zu sprengen. Gleichwohl ist das Wiener Staatsballett bei der Neueinstudierung des Werkes im Idiom ihres Chefs Martin Schläpfer nachhaltig angekommen.

Das schlichte, beinahe klinisch saubere Bühnenbild von Florian Etti ist in eine vordere und eine hintere Ebene unterteilt und an den Seiten durch vertikal verschiebbare Lichtinstallationen begrenzt. Der Chor hat über dem Orchestergraben und in den seitlichen Logen Platz gefunden. Requiem06

Wie kann man der akustischen Power, die Johannes Brahms in dieses „Requiem“ gelegt hat, tänzerisch begegnen? Martin Schläpfer beantwortet diese Frage einerseits mit Raum füllenden Ensembleszenen, in die lediglich zwei Pas de deux die Macht der Gruppe (mit Tänzer*innen des Staatsballetts an der Staatsoper und der Volksoper) brechen. Andererseits bedient sich der Choreograf eines schier unerschöpflichen Bewegungsrepertoires, das sich weitgehend vom klassischen Ballett abkoppelt. Da tanzen die Tänzer und Tänzerinnen barfuß, gibt es nur einmal einen einzelnen Spitzenschuh, wenn Claudine Schoch im Duett mit Davide Dato, die delikate Balance auslotet, als ob sie den Abgrund zwischen Leben und Tod ertasten wollte, während die Sopranistin Athanasia Zöhrer „ich habe nur die Traurigkeit“ singt.

Requiem04Da werden die Leid Tragenden besungen, während Tänzerinnen von ihren Partnern wie Schaufensterpuppen über die Bühne getragen werden, und andere gleich darauf in verwegene Hüpfer ausbrechen. Da finden sich Ketevan Papava und Marcos Menha bei „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ zu einem wundersamen Pas de deux. Dieses Spiel mit dem Text und der Musik zieht sich durch das 75-minütige Werk, das Trauer und Freude, Todesnähe und Lebensmut unmittelbar nebeneinander stellt und so zu einer Hymne an das Leben wird. 

Stellenweise überwältigt das momumentale Werk die Zuschauerin mit einer überbordenden Bilderflut. Da heißt es, loslassen und in die akustisch-visuelle Spiritualität von Brahms und Schläpfer einzutauchen. Sie findet sich auch in den edlen schwarz-hautfarbenen Kostümen von Catherine Voeffray wieder, die die menschliche Natur nur teilweise verhüllen und die sich von stilistischen Eingriffen nicht verdecken lässt. Requiem03

Erst in den letzten beiden Sätzen kehrt Ruhe ein, wenn das Ensemble mit dem Rücken zum Publikum auf dem Boden sitzt. Langsam senken sich Seile auf die Gestalten auf dem Boden, an denen sich einige himmelwärts hanteln. Dazu führen der Chor und das Orchester der Volksoper unter der Leitung von Christoph Altstaedt Brahms Komposition noch einmal in akustische Höhen. 

Wiener Staatballett: „Ein deutsches Requiem“, Premiere am 30. September an der Volksoper Wien. Weitere Vorstellungen am 5., 10. und 15. Oktober

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