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PrometheanFire FMcGee EnsembleDass Martin Schläpfer vom American Modern Dance kreativ beeinflusst, ja tänzerisch sozialisiert wurde, schlägt sich auch in seinem Programm als Chef des Wiener Staatsballetts nieder. Zwischen Arbeiten von Paul Taylor und Mark Morris bettet er zwei ästhetisch angepasste Etüden ein. Taylors Choreografie "Promethean Fire" gibt dem tanzhistorisch durchaus spannenden Abend seinen Namen.

Als Zeitgenosse von Martha Graham, José Limon oder Merce Cunningham ist Paul Taylor (1930-2018) einer der Pioniere des Modern Dance, der sich seit den 1940er Jahren in New York als Gegenposition zum klassischen Ballett entwickelt hat. Noch während Taylor in der Compagnie von Martha Graham tanzte, gründete er sein eigenes Ensemble, für das er an die 150 Werke schaffen wird. Und doch unterschied er sich wesentlich von seinen ikonoklastischen Kolleg*innen: Er schuf seine Werke bevorzugt zu klassischer Musik und baute sein Bewegungsmaterial aus einer Fusion von klassischem Tanz mit genrefremden Einschüben auf. Im Gegensatz zu seinen Kolleg*innen hat er keine eigene Technik formuliert. PrometheanFire FMcGee EPeci

Vielmehr verhandelt Taylor seine Suche nach Alternativen zur danse d’école mit dieser Mischung aus einer eigenen Musikalität, klassischen Schritten und speziellen Gesten, Hebungen und Körperhaltungen. Die Arbeit „Promethian Fire“ aus dem Jahr 2002 beleuchtet diese Suche trefflich. Da sind einerseits die Ensemblesequenzen, angelehnt an Exercices aus dem Ballettsaal, andererseits werden Linien gebrochen, indem sich etwa Hände nach außen biegen und damit die Bewegung vor dem Ausklingen unterbrechen. Oder andererseits der Pas de deux, der im Zentrum der Choreografie steht, bei dem sich das Paar in einer Position verschwurbelt sieht, in der kein eleganter Übergang mehr möglich ist. Ja, mitunter wirkt diese Suche nach einer originellen Bewegungssprache beinahe etwas „patschert“. 

PrometheanFire Ensemble2Taylor ging es, wie in den meisten seiner Werke nicht um eine Geschichte. Das reflektiert auch die Kleidung der Tänzer*innen: schlichte schwarze Ganzkörpertrikots mit weiß geschwungenen Linien, die der Bewegung dezent zusätzliches Momentum verleihen (Ausstattung: Santo Loquasto). In der Choreografie die Prometheus-Sage zu entdecken, bleibt der persönlichen Fantasie der Zuschauerin überlassen. Referenzen zu den Terrorattentaten von 9/11 – angeblich wurde damals das Werk kreiert, Taylor hat jedoch später einen Zusammenhang dementiert – kann man vielleicht in jener Szene entdecken, in der sich die Tänzer*innen aufbäumen, bevor sie aufeinander fallen und einen Körperhaufen bilden. Damit endet die in der Orchestrierung von Leopold Stokowski dramatisch klingende Toccata und Fuge d-Moll von Johann Sebastian Bach. Daraus erhebt sich das Solopaar (Eno Peci und Fiona McGee) wie Phönix aus der Asche und beginnt ein neues Kapitel, in dem gegen Ende noch einmal das Ensemble dazu kommt. Aus einer scheinbar ungeordneten Welt finden sie letztlich zu militärisch Anordnungen zusammen. Lontano Ensemble

Lontano KPapava AVandervelde MKimotoDie Suche nach neuen Klangformen und -feldern prägt auch die Musik des 20. Jahrhunderts. György Ligeti steht diesbezüglich im Spannungsfeld von Dissonanz und Harmonie, dem Martin Schläpfer in „Lontano“ streng geometrische Formen entgegenstellt. Die beiden Pas de trois, in denen je zwei Tänzer eine Ballerina manipulieren, evoziert die Präzision von ineinander greifenden Zahnrädern. Dieser Eindruck wird durch die einheitlichen Ganzkörpertrikots von Keso Dekker verstärkt. Einerseits evozieren diese ebenfalls die Zeit der schlichten Abstraktion, in der Trikots den Fokus ganz auf die Bewegung lenkten. Doch im Gegensatz zum barfüßigen Modern-Dance-Duktus, setzt Schläpfer auf ein Relikt des romantischen Balletts, den Spitzenschuh, der hier als dezidiertes Statement der Tänzerin verstanden wird.Ramifications SDvorak

Der Arbeit, die 2009 im Het Nationale Ballet uraufgeführt wurde, stellt Schläpfer an diesem Abend das Solo „Ramifications“ aus dem Jahr 2005 gegenüber. Sonia Dvořák verkörpert ausdrucksstark körperliche Reaktion auf die musikalischen Reize von Ligetis Streichquartett.

Morris JNakamuraDer 1956 geborene Mark Morris gehört zur zweiten Generation der US-amerikanischen Modern Dance Makers, der sich am klassischen Bewegungsmaterial orientiert. Mit einer heiteren Note brechen seine „Beaux“ die vorangeggangene eindringliche Stimmung. Das spritzige Ballett zeigt Männer – zuweilen durchaus verschmitzt und ironisch – von ihrer besten Seite. Die neun Tänzer agieren sichtlich animiert in ihren bunten Leotards vor einem ebenso bunten Wandgemälde, das im Laufe des Stückes mehrmals seine Farben wechselt (Ausstattung: Izaak Mizrahi). Morris, im „Nebenberuf“ Dirigent, leitet hier die Tänzer mit musikalischer Verve durch die inspirierend schwungvollen Kompositionen für Cembalo von Bohuslav Martinů. Felix Lemke wird dabei vom Orchester der Volksoper Wien unter der Leitung von Jean-Michaël Lavoie begleitet, das an diesem Abend die vielgestaltigen musikalischen Welten vollendet zum Klingen brachte.Beaux DVizcayo JCarroll DTariello

Wiener Staatsballett: „Promethean Fire“, Premiere am 11. Februar 2023 in der Volksoper Wien. Weitere Vorstellungen am 17., 21., 25. Februar; 12., 20. März