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Passage2Geburt und Tod, die Eingrenzungen unseres Lebens, wie wir es gemeinhin begreifen, erfuhr Daphna Horenczyk innerhalb weniger Monate. Dem Schmerz ihrer Geburtswehen folgte ein halbes Jahr später der über den Tod ihres Vaters. Das bewusste Erleben dieser zwei „Passagen“ war ihr Anlass für eine spirituelle Auseinandersetzung insbesondere auch mit dem weitgehend verdrängten Sterben.

Die in Israel geborene und derzeit in Wien beheimatete Choreografin und Tänzerin lud in Vorbereitung dieser knapp einstündigen Performance jede(n) der beteiligten TänzerInnen zu einer dreitägigen Session ein, in deren Rahmen sich jeder Einzelne den drei Stadien Geburt, Leben und Sterben/Tod sensorisch-emotional, spirituell und letztlich tänzerisch nähern sollte. Die Überwindung des Gedankens der Endgültigkeit der zwei das Leben limitierenden Ereignisse und die Erreichung eines besonderen, diese „Durchgänge“ begleitenden Bewusstseins-Zustandes waren zentrale Momente dieser kontemplativ-physikalischen Klausur.

Die dabei gemachten Erfahrungen verwoben die fünf TänzerInnen Evandro Pedroni, Martina de Dominicis, Alina Bertha, Jolyane Langlois und Alberto Cissello sowie der live den Sound produzierende Musiker und Sound-Designer NADUVE (Nadav Reboh) zu einer Reise durch ungewohnte, unbekannte und unbewusste Areale, die jede(r) auf ganz individuelle Weise erlebte, gestaltete und erlebbar machte.Passage1

Ob es die meditative Versenkung in das Spüren, Erfahren und bewusste Erleben war oder die Hingabe an den Schmerz und die Angst, das Wahrnehmen der Einsamkeit oder die Suche nach Trost, die fünf auf der Bühne dringen tief in sich ein. Und in die Zusehenden. Durch die Platzierung des Publikums, es sitzt auf beiden Seiten der rechteckigen Bühne, wird dieses Teil des Geschehens, das in seiner Mitte passiert. Der von der öffentlichen Wahrnehmung fast vollständig abgeschlossene Prozess des Sterbens wird so wieder integriert.

Die fünf erzeugen parallele Handlungsstränge und Befindlichkeits-Stati. Einer steht versunken, einer liegt allein (gelassen) am Rand, eine andere schreit kniend lautlos ihren Schmerz in die Welt, zwei spielen mehrfach mit ihrem In-, Durch- und Aus-Einanderkriechen den physisch-psychischen Gewaltakt des Geboren-Werdens und die Sehnsucht nach der Rückkehr ins Paradies, das zu verlassen es jetzt oder irgendwann einmal galt.

Die Zärtlichkeit, mit der einem Sterbenden Beistand und Trost gespendet wird, die Freude, mit der der aktuelle Zustand wahrgenommen, genossen und der kommende begrüßt wird, auch das beängstigende Ausgeliefertsein an ein unbekanntes Geschehen, auf verschiedene Weisen gehen die fünf in das Fühlen eines, ihres Zustandes im Prozess der Transformation. Ob in der stillen Pose allein oder in eingefrorener Bewegung der ganzen Gruppe, ob in verzweifelter, kämpferischer Zweisamkeit oder erschöpft am Boden liegend, die Ergänzung des Titels der Arbeit „rehearsal for birthing and dying“ wird zum sicht- und spürbaren Inhalt des Stückes.

Passage3Der Sound von NADUVE begleitet mit elektronischen Fetzen, bearbeiteten klanglichen Einwürfen, choralartigen Passagen bis zu Dance Music organisch das meditativ-transformatorische Bühnengeschehen. Das Lichtdesign (Bruno Pocheron) gibt mit warm ineinander fließenden Deckenlicht-Variationen und dem zwischen den seitlichen Säulen des Saales, zwischen denen auch der Musiker seinen Platz gefunden hat, angeordneten, an Kabel-Lianen herab hängenden und auf den Boden fließenden Glühbirnen-Biotop atmosphärische Unterstützung.

Der Tanz entsteht aus Emotionen und richtet sich an diese. In wunderschönen, poetischen Bildern entfalten sich vielfältige Identitäten, werden Wege jenseits von vertrauten Pfaden in eine das Unbewusste erschließende und integrierende Welt beschritten. Die tänzerische Qualität der Kompanie und die darüber hinaus geleistete darstellerische Arbeit beeindrucken. 

Das Stück berührt. Es fasst uns dort an, wo wir nur ungern hinschauen. Darin liegt seine Leistung. Also die der Choreografin im Kollektiv mit TänzerInnen und Musiker. Die kritische Distanz der Daphna Horenczyk zu unserer Kultur, ihre Zuwanderung, ihre Offenheit, ihre Sensibilität und ihre lebensbejahende Menschlichkeit, die das Lebensfeindliche am Verdrängen des Sterbens aus dem Leben ganz nebenher in diesem Stück beklagt, machen's möglich. Ihre Überzeugung von der Ähnlichkeit der Prozesse Geburt und Sterben vor allem in deren spiritueller Bedeutung für unser Leben bildet die geistig-spirituell-emotionale Basis dieses Stückes. Als Beigabe zeigt sie, dass Schmerz zum Leben gehört. Und was ihn unterscheidet vom Leid. Die Akzeptanz.Passage4

Aus dem Er-Leben des Lebens in seiner Gesamtheit und ausdrücklich auch spirituellen Dimension in die Feier desselben entwickelt sich dieses großartige Stück. Das freudvolle Akzeptieren und Integrieren von allem, was das Leben ausmacht, was dazu gehört, wird ausgelassen, lustvoll zelebriert. Bevor sich jede(r) langsam löst aus der Gemeinschaft, um seinen/ihren (vorläufig) letzten Weg anzutreten. Allein, in Stille, Gefasstheit und sich seiner selbst in jedem Moment völlig bewusst.

Daphna Horenczyk mit „Passage - rehearsal for birthing and dying“ am 15. Februar 2023 im WUK Wien.

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