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Blake WorksI3William Forsythe hat den klassischen Tanz wie kein anderer zu einer dynamischen Kunstform gemacht und Publikum wie Tänzer*innen viele Sternstunden beschert, ob als freier Choreograph, mit dem Ballett Frankfurt oder eigener Company in Hellerau. 

2016 kreierte er für das Ensemble der Pariser Oper „Blake Works I“, das seither in Boston, San Francisco und London zu erleben war. Während der Pandemie entstand „Blake Works II – The Barre Project“ als Video. Nun studierte er beide Teile mit dem Ensemble der Mailänder Scala ein schuf für dieses auch gleich noch einen „Prologue“. Die Musik dieses großartigen „Blake Works V“ genannten Abends stammt vom Album „The Colour in Anything“ des britischen Elektropop-Musiker James Blake. 

Gleich vorweg - es ist ein unerwartet pures Tanzerlebnis, das sich hier einstellt und es geht um nichts als hochästhetischen, technisch ausgefeilten Tanz, in dem alles verdichtet scheint, was Forsythe in seinen mehr als vier Jahrzehnten des Forschens, Erneuerns, Hinterfragens, Dekonstruierens und Experimentierens mit dem tanzenden Körper im Raum hervorgebracht hat. So etwas gelingt ausschließlich mit solch ausgezeichneten Tänzer*innen, wie sie die Scala momentan vorweisen kann, unterstützt von ihrem Direktor Manuel Legris. Er selbst kennt Forsythe seit langer Zeit und war einer der fabelhaften Erstaufführungstänzer von „In the Middle somewhat elevated“ 1987 an der Pariser Oper. BlakeWorksVPrologue group

Und so ist der „Prologue“ auch ein Geschenk Forsythes an Legris, der seinem Freund acht Tänzer*innen nach dessen Wahl zur Verfügung stellte. Als Soundtrack wählte er hier Blakes Song „Lindisfarne I“, einen kurzen Song mit vielen arhythmischen Pausen und verfremdeter Stimme gesungen, was an Laurie Anderson erinnert. Die vier Paare nehmen diese Struktur auf und ergänzen sie um eine Art überlagerte Ebene, in klaren und feinen, ebenso präzisen wie raschen Phrasen. Das ist ganz klar Forsythe-Stil, und doch entsteht kein Eindruck eines „typisch“, sondern eher, als ob dieses kunstvolle Gewebe aus Strukturen, Architekturen, Körpern, Klängen und Kunstwerken, Resultat eines Destillationsprozesses wäre aus all der Arbeit und den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte. Und noch mehr: Hier geht es nicht mehr um das Ausloten von körperlich-physikalischen Grenzen, sondern um die finale Affirmation der Utopie Ballett als zeitloses Modell.

BlakeWorksV ManniDer zweite Teil, „The Barre Project - Blake Works II“, entstand während der Pandemie als Zoom-Choreographie mit den phantastischen New York City Ballett-Tänzer*innen Tiler Peck, Lex Ishimoto, Roman Mejia und Brooklyn Mack und wurde dann als Video vom Sadler’s Wells in London 2021 gestreamed. Klassisches Ballett ist unweigerlich mit der Ballettstange assoziiert, die hier, abermals auf Basis von Blakes Dubstep-Songs, zum choreographischen Zentrum wird. In dem erstmals auf der Bühne der Scala getanzten Stück ergeben projizierte Ausschnitte des Videos, etwa mit Großaufnahmen von Händen und Live-Tanz, eine spannende und logische Synthese. Auch hier demonstrieren hervorragende Tänzer*innen und ein schöpferischer Choreograph mittels sich Biegens, Windens oder Verschiebens an der Stange und im freien Raum, dass Tanz eben nicht einfach Bewegung zur Musik bedeutet, sondern eine ganz eigenständige, kinästhetische Ebene erschließen kann. Forsythe und Blake scheinen einander in diesem gemeinsamen Verständnis gefunden zu haben, denn durch den Tanz erkennt man auch, wie komplex die vordergründig als E-Pop daherkommenden Klänge ausgebaut sind. Und auch diese Forstetzung von Blake Works I ist eine große Reverenz an die Danse d’ecole.Blake WorksI2

Und schließlich zeigen 21 Tänzer*innen das erste der Werke, „Blake Works I“, 2016 an der Pariser Oper uraufgeführt. Hier erlebt man Forsythe auch als Zelebrator der französischen Schule, mit klaren Reverenzen an andere Unikate der Tanzgeschichte, wie Georges Balanchine. Ihn hat Forsythe immer bewundert und oft als Ausgangspunkt seiner Recherchen genommen. Tanztechnisch gesehen meint man, gewisse Anklänge an die Periode um „In the Middle somewhat elevated“ zu erkennen, doch andererseits wirkt alles spielerischer und durch die Kompositionen Blakes geradezu groovy, leicht und sexy. Eigentlich ist der anfängliche, sechs Jahre später entstandene „Prologue“ künstlerisch fast noch interessanter, aber schon mit seinen ersten „Blake Works I“ hat Forsythe ein Statement gesetzt, um das es geht: Klassischer Tanz ist noch lange nicht am Ende. Seht, wie und was man damit tanzen kann und wie cool das aussieht!

BlakeWorksIDiese „Forsythe“-Serata als Summe aller bisherigen „Blake Works“ beweist auch, dass William Forsythe immer noch in einer eigenen Liga spielt. Auch mit 73 Jahren entwickelt er sich und sein Material weiter. Ein wunderbarer Abend, eine Tanz-Sonate voller höchsten kinästhetischen Genusses, der neugierig macht auf alles Weitere dieses großen Meisters.

Teatro alla Scala Milano: "Serata William Forsythe – Blake-Works V", Premiere am 10. Mai, weitere Vorstellung 23., 26., 30. Mai

 

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