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oft_ghosttrackSeit einem Vierteljahrhundert veranstaltet die Familie Crepaz das Osterfestival Tirol. Das Jubiläumsfestival findet heuer Ende März statt und hat nicht nur Musik aus Gegenwart und Vergangenheit, sondern auch ein besonders reichhaltiges Tanzprogramm zu bieten. Das immer mit Liebe und Weitblick ausgewählte Motto lautet diesmal „massiv.ich“. Jede(r) will Star sein und dennoch in der Masse mitschwimmen. Die Balance zu finden, ist nicht einfach.

Das Programm des heurigen Festivals ist wie alljährlich reichhaltig und abwechslungsreich. Filme, Gespräche, Einstudierungen mit Schülern, die Reihe „Daneben“, in der Gerhard Crepaz zehn Mal zum Nachdenken anregt und schließlich die traditionellen „Inseln des Innehaltens“ an 21 Orten, wie die Feier der Osternacht mit Tanz, Theater, Musik und Text ergänzen das Konzert- und Tanzprogramm.

J. S. Bachs Matthäuspassion, die zur Eröffnung des 14täglichen Festivals aufgeführt wird, ist nicht die einzige Passionsmusik im Jubiläumsjahr. In einer Rekonstruktion von Rudolf Leopold ist in der Marienkirche Wattens, die relativ unbekannte Markuspassion (BWV 247) zu hören und der weltberühmte Bachinterpret Frans Brüggen dirigiert Bachs Messe in F und das 1725 entstandenes Osteroratorium (BWV 249).

Wie gewohnt schließt das Osterfestival Tirol am Ostersonntag mit einem Tanzereignis. In „tanz GHOST TRACK“ treffen Europa und Indonesien in der unterschiedlichen Auslegung von „Tanz“ aufeinander (Choreografie Andrea Leine und Harijono Roebana). Gegensätze brechen auf und Gemeinsames wird sichtbar, die TänzerInnen beeinflussen einander bis ein einheitliches Ganzes entsteht. Bemerkenswert ist, dass die indonesischen TänzerInnen die westliche Tanzsprache als relativ „alt“ empfanden, während die EuropäerInnen die indonesische Tanztradition als „sehr modern“ beschrieben.

Gegensätze begegnen einander auch in Malou Airaudos Choreografie „Irgendwo", die Breakdancer und zeitgenössische Tänzer auf die Bühne bringt. Gemeinsam entdecken die jungen Tänzer die Welt der anderen, bauen Hindernisse auf und überwinden sie, erklimmen Höhen und finden neue Wege in den Räumen, die sie erschaffen. Das Markenzeichen der deutschen Compagnie Renegade ist die gleichberechtigte Kombination verschiedener Tanzstile. Renegade (im vergangenen Sommer bei Bolzano Danza bejubelt) bietet jungen Tänzern, ob sie eine klassische Ausbildung oder ihre Fähigkeiten selbstständig entwickelt haben, eine Möglichkeit, künstlerisch neue Wege zu gehen.

oft_kambodscha1Sensations-Gastspiel. Dass die Tradition der lediglich mündlich überlieferten Tanzsprache der Khmer wenigstens teilweise wieder belebt werden konnte, verdankt das Königliche Ballett aus Kambodscha zwei Überlebenden. Zu Erinnerung: Mitte der 1970er Jahre wurden unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer zwei Millionen Menschen umgebracht, KünstlerInen, Intellektuell und Kulturschaffende standen ganz oben auf den Listen der Mörder. Zwei Tänzerinnen des Königlichen Balletts, Prinzessin Norodom Buppha und Em Theay, haben das Morden überlebt und rekonstruierten mit jungen Tänzerinnen einen Teil der über tausend verschiedenen Handbewegungen und Gesten. Die uralten Mythen um die Entstehung Kambodschas sind Teil der Identität des Landes. Ein Erlebnis – neben der außergewöhnlich grazilen und detaillierten Körpersprache, der Präzision der Bewegungen und der Musik – ist auch die Vorbereitung: Jeder Tänzerin wird vor der Aufführung ihr Kleid angenäht. Das Gastspiel des Königlichen Balletts Kambodscha in Innsbruck ist das einzige im deutschsprachigen Raum. Nur Frankreich und die Niederlande haben Gelegenheit die unnachahmliche Grazie und Sinnlichkeit der Tänzerinnen zu erleben.

Die belgische Choreografin Lisbeth Gruwez übersetzt in ihrer Choreografie „It’s going to get worse and worse and worse my friend“ einen der manipulierenden Vorträge eines TV-Predigers, in Körpersprache. Es geht dabei nicht um den Inhalt der Tirade sondern um den Rhythmus der sich stetig steigernden Philippika gegen Alkohol- und Drogenmissbrauch. Wie in Trance vertanzt Gruwez den Redestrom, der von freundlicher Mahnung bis zur Androhung des Höllenfeuers immer hysterischer wabert. Gemäßigter ist das Solo von Lutz Förster (seit den 1979er Jahren Mitglied des Tanztheaters Wuppertal), der sein Leben tanzt. Im Mittelpunkt stehen die Begegnungen mit bedeutenden ChoreografInnen und Regisseuren, vor allem natürlich mit der 2009 verstorbenen Gründerin Pina Bausch. Auch eine Begegnung mit der Choreografin Pina Bausch ermöglicht das Osterfestival Tirol. Im Salzlager Hall sind zwei ihrer frühen Choreografien auf der Filmleinwand zu sehen: „Das Frühlingsopfer“ und „Café Müller“ sind längst Klassiker des Tanztheaters. Warum gerade Pina Bausch, gerade in diesem  Jahr? Spontan antwortet die künstlerische Leiterin, Hannah Crepaz: „Als Ich lebte sie mit ihrer Tanzcompagnie ein massives Wir.“ Das Motto ist mehr als Dekoration, „massiv.ich“ wird mit Substanz gefüllt.

Osterfestival Tirol, 15. bis 31. März, Innsbruck, Hall i.T., Wattens.