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growth1Tänzerin, Choreografin, Kulturmanagerin und Kulturpolitikerin – Gloria Benedikt hat sich ein weites Betätigungsfeld eröffnet. Mit ihrem gesellschaftspolitischen Engagement bezeichnet sie sich als „aktivistische Künstlerin“. Das Thema ihres nächsten Stückes, das sie zusammen mit Mimmo Miccolis am 22. Juli 2014 im Kennedy Center in Washington DC zur Uraufführung bringt, lautet: „Growth“.

In der österreichischen Tanzszene, kennt man Gloria Benedikt kaum. Denn die gebürtige Grazerin, die ihre Ausbildung an der Ballettschule der Wiener Staatsoper und an der English National Ballet School absolviert hat, arbeitet seither ausschließlich im Ausland. Während ihrer  Zeit als Tänzerin beim Jose Mateo Ballet Theater in Boston in den USA hat sie auch an der  Harvard University studiert und die Schwerpunktthemen Kulturpolitik und Non-Profit Management belegt.

Fünf Jahre lang habe sie immer von acht Uhr früh bis Mitternacht durchgearbeitet, sagt sie. „Aber ich habe die Dinge gemacht, die mich wirklich interessieren. Wenn man die Dinge macht, die einem am Herzen liegen und die einem wichtig sind, dann kann man schon die ganze Zeit arbeiten. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, dass man nicht immer das Gleiche macht. Wenn man nur im Studio steht, oder immer nur am Computer hockt, ist das nicht möglich, aber wenn man verschiedene Dinge macht, die dann doch wieder zusammen hängen, dann geht das.“

An ihrem Zeitplan hat sich für Gloria Benedikt bis heute nichts geändert. 2012 übersiedelte sie in die Niederlande, arbeitete dort als freischaffende Tänzerin (unter anderem bei einem Filmprojekt mit dem Choreografen Toer van Schayk) und schrieb gleichzeitig an ihrer Forschungsarbeit über die Zukunft der darstellenden Kunstförderung angesichts der ökonomischen Krise.

Heute ist sie Produzentin ihrer eigenen Arbeiten, und auch dabei ist die engagierte Tänzerin äußerst erfolgreich: Für ihre neue Arbeit „Growth“, die gerade zusammen mit dem italienisch-britischen Choreografen und Tänzer Mimmo Miccolis entsteht, hat sie es geschafft, das nationale Performancezentrum der USA, das Kennedy Center in Washington DC zu überzeugen, eine Premiere zu programmieren. Zwar ist die „Millenium Stage“ im Kennedy Center offen für neue Künstler, aber „sie machen eigentlich keine Premieren, weil das Risiko zu groß ist. Denn jede Aufführung kommt auf einen Live-Stream und bleibt im Archiv, wo man es jederzeit anschauen kann.“Growth2

Eine Welt. „Growth“ thematisiert die Abhängigkeit voneinander in einer vernetzten Welt und untersucht die Bedeutung des Wachstum-Begriffes, der zur Zeit nur nach wirtschaftlichen Kriterien beurteilt wird. Mit diesem Stück wollen die beiden Künstler dem Zuschauer eine neue Perspektive bieten – nicht dogmatisch, sondern als körperliche Erfahrung der Welt von heute, die aber in ihrer Komplexität noch nicht ins Bewusstsein aller vorgedrungen ist.  Um das Vernetzungsphänomen zu erforschen haben die beiden beispielsweise ein Duett choreografiert, bei dem sie in irgendeiner Weise ständig miteinander verbunden sind. „Wir haben uns gefragt: was kann man damit machen? Wir haben erfahren, dass es zwar mühsam ist, wenn man einander nie loslassen kann, aber auch, dass man mit dieser Idee sehr interessante Bewegungssequenzen choreografieren kann. Aber es braucht einen ganz anderen Ansatz, es braucht viel mehr Konzentration, mehr Trust, mehr Bewusstsein für den anderen und es ist ein ziemliches Risiko. Es ist wirklich schwer, aber es kommt dann etwas sehr Schönes dabei heraus. Und das ist auch unsere positive Message.“

Europäisch vernetzt. Langsam, meint Benedikt, gäbe es auch auf politischer Ebene ein Umdenken. So wurde auch beim letzten European Cultural Forum „eine neue Art der Messung von Wachstum präsentiert,  wo Wellness der entscheidende Faktor für positives Wachstum ist und nicht das Bruttoinlandsprodukt.“

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Bei diesem wichtigsten Ereignis der europäischen Kulturförderung, das alle zwei Jahre in Brüssel stattfindet, hielt sie selbst ein Referat über die Rolle des Künstlers im 21. Jahrhundert, ein Plädoyer für die Sensibilisierung der Bürger und die Entwicklung von gesellschaftlichen Werten, bei der sie Kunst und Kultur eine Schlüsselrolle zuschreibt.

„Ich möchte etwas machen, was einen Impakt hinterlässt, eine Wirkung hat, aber gleichzeitig künstlerische Innovation vorantreiben. Ich glaube, das ist das Profil eines Künstlers im 21. Jahrhundert, oder zumindest für die nächsten zehn Jahre, wo ich sehr viel Potential sehe“, lautet ihr Credo. Vorbilder sind Künstler wie Daniel Barenboim mit seinem Diwan-Orchester, in dem Israeli und Palästinenser miteinander musizieren, oder Yo Yo Mas „Silk Road Project“.

„In der heutigen Zeit können wir es uns weder leisten, dass Künstler im Elfenbeinturm agieren noch als Unterhalter. Ich glaube die Gesellschaft braucht Künstler in einer viel aktiveren Rolle als in den letzten Jahrzehnten. Wenn wir in einer halbwegs gesunden Demokratie leben wollen, brauchen wir die Kunst dringend, um die Bürger zum kritischen Denken anzuregen. Und um die globalen Probleme lösen zu können, bauchen wir Kunst und Kultur weil sie eine Charaktereigenschaft fördert, die wir viel stärker brauchen werden: die Empathie“, sagt Benedikt.

Daher hat das engagierte Multitalent auch ein EU-Projekt eingereicht, den „Citizens artist incubator“, das Künstlern mit einem aktivistischen Ansatz helfen soll, ihre Projekte zu realisieren. Die Vorarbeit dazu hat sie ja bereist mit ihrem Blog, dem Performing Arts Funding Center geleistet. Von Seiten der Abteilung EU-Kulturpolitik im Bundesministerium für Unterricht und Kunst sieht man die Chancen jedenfalls positiv, dass dieses Projekt auch in Brüssel Gefallen finden wird. 

Kulturpolitisch hat sich Gloria Benedikt in Österreich bereits ein Standbein geschaffen – nicht nur mit dieser Einreichung, sondern auch als Kulturberaterin der NEOS. Nun sucht sie nach Möglichkeiten ihre künstlerische Arbeit hierzulande zu zeigen.

Egon Schiele und das Fin de Siècle. Sehr gerne würde sie ihr choreografisches Projekt „ego ego ego - Egon Schiele and our time“, das sie mit dem ungarischen Tänzer/Choreografien Krisztian Gergeye realisiert hat, nach Wien bringen. Es wurde im September 2013 im Museum für schöne Künste in Budapest uraufgeführt, nachdem Benedikt bereits zuvor die Rolle von Edith Schiele in dem Film „EGON“ von Michiel van Jaarsfeld verkörpert hatte. „Wir streben an, es im Leopold Museum aufzuführen und hoffen, dass das Tanzquartier eine Koproduktion mit dem Museum machen wird. Mir liegt das Stück sehr am Herzen und ich würde es gerne nach Hause bringen.“

Das Schiele-Stück sei der erste Teil einer Trilogie, bei der sich das Team Benedikt / Gergeye außerdem mit Oskar Kokoschka und Alma Mahler sowie mit Richard Gerstl und Arnold Schönberg auseinandersetzen will. Denn die Künstler des Fin de Sièle hätten bereits „die nahende Katastrophe verarbeitet, während das Establishment die Augen zugemacht hat, bis es zu spät war“, sagt sie. „Und ich fürchte die Welt in der wir heute Leben ist gar nicht so anders. Damals befand man sich in mitten der industriellen Revolution, heute sind wir in mitten einer digitalen Revolution deren Auswirkungen noch nicht abschätzbar sind. Damals gab es den Versuch verschieden Kulturen und Nationalitäten unter einem Schirm zu vereinen, heute haben wir einen vielversprechenderen Versuch, aber der neu keimende Nationalismus quer durch Europa ist auch heute nicht zu unterschätzen. Und dann haben wir anders als noch vor 100 Jahren, zum ersten mal globale Probleme die wir nur als Menschheit gemeinsam lösen können.“

Gloria Benedikt & Mimmo Miccolis: „An Evening for Humanity“ Double Bill: „Growth“ (UA) und „Rights(?)“ von Mimmo Miccolis mit Tänzern des Washington Ballet, am 22. Juli im Kennedy Center, Washington DC, und als Live-Stream (danach im Archiv der Millenium Stage abrufbar)