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EipeldauerGemäß dem gesellschaftlichen Stand, dem sie angehörten, waren den „Praterblüten“ verschiedenste Formen zu eigen. Gestalt und Gehabe konnten einfach, vulgär, süß, bürgerlich oder vornehm sein. Gemeinsam war ihnen der Tanz. Selbst ausgeführt oder als Zuschauer genossen, war es der Tanz – in unterschiedlichsten Manifestationen –, der die Besucher des Praters miteinander verband. In einer Betrachtung der vor 250 Jahren erfolgten Öffnung des Wiener Praters vom aristokratischen zum öffentlichen Raum gebührt ihm also ein erster Platz.

Im Zwielicht von Vergnügungsetablissements

In den Rezeptionsschüben, die dem „alten Wien“ im Allgemeinen und dem Prater im Besonderen bislang wiederfuhren, kam dem Tanz kaum eine besondere Rolle zu. Dies verwundert umso mehr, als der Prater über die Jahrhunderte hinweg immer auch bevorzugter Ort der Begegnung der Geschlechter war. Der Tatsache zum Trotz, dass der Tanz integraler Bestandteil von Begegnungsritualen ist, konzentrierte man sich in den Praterbetrachtungen früherer Jahre auf Anderes. Auf eine lang andauernde Phase der Verklärung der „Wienerstadt“ samt Prater, folgte eine Art „Entlarvungsdrang“, die Dinge „richtig“ zu sehen. Heute wiederum glaubt man, sich selbst als kühlen Betrachter auffassend, nüchtern und ohne Vorurteile rückwärts blicken zu können. Dass dabei wiederum, je nach Profession des Beschauers, ganz bestimmte Interessen im Vordergrund stehen, versteht sich von selbst.5kreuzertanz

Freilich stellt die Frage nach dem Stellenwert des Tanzes im Prater die mannigfachsten Aufgaben, wobei am wichtigsten zu klären ist, ob das Tanzgeschehen – dessen Bandbreite an sich schon eine Herausforderung ist, umfasst sie doch Volkstanz, der hier wohl nahtlos in den Gesellschaftstanz übergeht, sowie Bühnentanz! – als Extension jener diesbezüglichen Vielfalt des 2. Bezirks, dem der Prater ja angehört, gesehen werden kann. Oder aber, war der Prater gleichsam exterritorialer Raum, in dem sich Eigenständiges entwickelte? Anders formuliert: War der Prater nur Vorort einer unverwechselbaren, theaterbesessenen Vorstadt, an dem sich, der Einrichtung eines Sommertheaters ähnlich, Bekanntes bündelte, oder schuf er Eigenes? Vielleicht auch dadurch, dass er sich ins Hinterland öffnete, um auf die Tanzkulturen Böhmens und Mährens und weiter die Ungarns und Polens zu blicken? War die nahe Donau Grenze oder gelangten andere Tanzkulturen von drüben herüber? Wenn ja – und bei der „Polkamania“ um 1840 war dies der Fall gewesen –, welche Tänze waren das und auf welche Genres hatten sie Einfluss? Was tanzten die Praterblüten und welchem Tanz sahen sie im Prater zu? Und: wie veränderte sich all dies über die Jahrhunderte?

NederFuenfkreuzertanzDas Praterlüfterl weht „Klänge vom Fünfkreuzertanz“ herüber

In welchem Maße Schriftsteller verlässliche Zeitzeugen auch für eine Geschichte des Tanzes sein können, demonstrieren Felix Salten und Arthur Schnitzler für die Jahre um 1900. Mit ihrem „neuen“ Blick auf alte gewachsene Geschehnisse geben sie auf manche der gestellten Fragen Antworten. In Saltens „Wurstelprater“ (1911) findet sich sogar ein eigenes Kapitel: „Fünf-Kreuzertanz“. (Der Tanz bezog seinen Namen aus der Forderung eines Lokals an die Tanzenden, fünf Kreuzer zu entrichten.) Nicht ohne Genuss beschreibt Salten die trostlose Armseligkeit der „Einfachen“ und „Niedrigen“, aus der Provinz stammenden, die, von niemand hergeholt und fremd geblieben waren. Dienstmädchen und Soldaten hätten im „rauchig-dunstigen Saal ein Stück Heimat“ gefunden, spezifische Tänze hätten dabei geholfen. Neben dem Ländler, der sich „wie um sich selbst dreht“, nennt Salten Tänze aus der Steiermark, Salzburg oder Tirol, „irgendein Alpenland, das seine Kinder empfängt“. Dann gibt er ganz konkret weitere Tänze an: die Kreuzpolka und beschwört damit Böhmen, Mähren und die Hanna, dazu den Csárdás, dessen Tänzerinnen so beschrieben werden: „Eine merkwürdige, beinahe andächtige Nachdenklichkeit ist in ihren Mienen, wenn sie an die Brust des Tänzers geschmiegt vorübergleiten. In ihrer Umarmung ist Erwartung und zugleich Vorwissen.“

Direkt daran schließt Schnitzler an und wählt schon für den Titel seiner Endlosschleife männlicher Lebensvorstellungen eine Tanzform, den „Reigen“. In dem Stück schildert er den Vorgang der Entblätterung auch von Praterblüten, denn die ersten beiden Episoden des „Reigen“ spielen in der Nähe des Praters (Dirne/Soldat), bzw. im Prater selbst (Soldat/Stubenmädchen). Schon die Luft dieser Schauplätze ist von Tanz erfüllt. „Klänge vom Fünfkreuzertanz, eine ordinäre Polka“ klingen da vom „Swoboda“ (einem Gasthaus und Tanzlokal) in die dunkle Allee. Schnell geht man „nachher“ wieder zum Tanzen. Desgleichen tut die gesellschaftlich nächst höhere Schicht, die wiederum mit den ihnen entsprechenden Begegnungsritualen, den Bällen, geschildert wird. Bei der Quadrille legt man Weiteres fest. Schnitzler, so soll nachgetragen werden, erholte sich von seinem – auch im „Reigen“ vorhandenen – frauenverstehenden Schreiben, indem er in die Vorstadt ging und dort auftankte. Praterblüten gehörten dabei nicht in sein Beuteschema, die ließ er nur durch sein Schreiben blühen.

Hundert Jahre davor wurden im Prater noch andere Tanzformen gepflegt. Von einem Wienreisenden nach 1800 erfährt man, dass „Männer und Frauen einander gegenüberstehend Menuett tanzen“. Darauf aber drehte man sich fast eine Stunde im „leidenschaftlichen Tanz“ des Walzers. Diese Zeit schildert auch – im Wiener Dialekt – der „Eipeldauer“, ein stadtbekannter Schreiber, der seine Kritik am öffentlichen Wiener Leben in Form von Briefen an seinen Vetter in „Kakran“ äußerte. Leider gibt er aber nicht darüber Auskunft, ob diese Tänze gleichsam „Bewegungsdialekte“, das heißt also Pratervarianten existierender Tänze gewesen sind. Was für ein Tanz ist beispielsweise der „Schieber“, den Johann Michael Neder auf seinem Bild 1829 festhält? Leitet sich der Titel von einer bestimmten Ausführungsart ab – vorwärtsstrebend, was bei charakteristischer Armfassung zu einer Schräglage des Paares führt – oder ist es ein eigener Tanz?

FaschingAuf der Suche nach einem Wiener Volkstanz

Diese in der Literatur oder auf bildlichen Darstellungen festgehaltenen Tanzformen, sowie die mit ihnen verbundenen Gepflogenheiten, lassen vermuten, es hätte – in Analogie zu Wiener Volksmusik und Wienerlied – so etwas wie einen Wiener Volkstanz gegeben. Daraus könnte geschlossen werden, dass es verschiedene Vorstadt-Fassungen bestimmter Tänze gab. Hatte etwa der Walzer im Prater, in der Josefstadt oder in Hernals ein und dieselbe Erscheinungsform? Werden heute diese und andere „Wiener Tänze“ irgendwo getanzt?
Betritt man auf der Suche nach einer Antwort das Gebäude der Wiener Urania, die seit ihrer Gründung 1897 von enormer volksbildnerischer Bedeutung ist, sieht man, nach links schauend, den oberen Bogen des Riesenrades. Ebendieser ziert das Logo der „Arbeitsgemeinschaft Volkstanz Wien“, wobei bald festzustellen ist, dass es hier und auch in anderen Institutionen nicht um „Wiener“ Volkstanz, als vielmehr um „Volkstanz in Wien“ geht, also um Pflege von Tänzen auswärtiger Regionen.

Die Gründe für eine augenscheinliche Abwesenheit eines Wiener Volkstanzes – vielleicht blüht er irgendwo? – sind überaus komplex, sie sind vor allem in jenem Ideenpool zu finden, aus dem die Volkstanzbewegung im 19. Jahrhundert entstand. Integraler Teil der Lebensreformbestrebung etwa war es, die „Stadt“ gegen das „Land“ auszuspielen. Dem (so empfundenen) Schmutz, der Hektik, der Amoral, dem ungesunden Leben, dem „Nationengemisch“, dem intellektuellen Leben (von Juden?) der Stadt, wurde die (erdachte) „Reinheit“ des Lebens auf dem Lande, die „Geradlinigkeit“, die „Einfachheit“ seiner Bewohner gegenüber gestellt. Kein Wunder also, dass sich die Pioniere der Volkstanzidee, auch diejenigen der „Uraniabewegung“, auf der Suche nach Tänzen „des Volkes“, die zu pflegen wären, gar nicht erst dem naheliegenden Prater oder auch den der Urania nahegelegenen Odeonsgründen zuwandten, wo sich im 19. Jahrhundert immerhin Tausende tanzend vergnügten, sondern den „hohen“ und „reinen“ Gefilden der Alpenländer. Angesichts der Blüte von Tanzstilen und Tanzgenres, die gerade im 2. Bezirk, somit auch im Prater – der ebenfalls „Heimat“ war –, ausgeführt wurden, ist dies eine überaus bedauerliche Entwicklung.

WirtshaussaengerinnenAuf Tanzböden, Podiumstischen und Bühnenbrettern

Hatte sich (nicht nur) der Prater also bezüglich der Volks- und Gesellschaftstänze auch den Kronländern zugewandt, so war der gezeigte Bühnentanz klar in der Theaterkultur der Vorstadt und der Stadt verankert. Das ungemein facettenreiche Bühnentanzgeschehen im Prater wies aber auch eine ganz besondere performative Form auf, die ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer völlig eigenständige Ausprägung wuchs und als eine Art „Mundart der Wiener Theatermoderne“ bezeichnet werden könnte. Die Rede ist von den auf Tischen (oder Podien) in Gasthäusern dargebotenen Liedern, die die Ausführenden oft selbst körperlich kommentierend oder tanzend begleiteten. Dabei konnten Tanz, Lied und Musik auch von den Lokalbesuchern aufgenommen und weitergeführt werden. Diese schon ältere „Podiumskunst“ – die berühmteste Vertreterin war wohl die „Fiaker-Milli“ – wurde, aus ihrem (Prater-)Umraum herausgehoben und dialogisierend in das Milieu der Stadt transferiert, zum Nukleus einer Wiener Theater- und Tanzmoderne. Der Raum, der dafür geschaffen wurde, war das Wiener Werkstätte-Kabarett „Fledermaus“, die Tänzerin, die dort – aus der Wiener Vorstadtkultur – eine Tanzmoderne kreierte, war Grete Wiesenthal.Laeuferszene

Das theatralische Unterhaltungsangebot des Praters fußte (nicht erst) seit der Errichtung fester Theaterbauten auf zwei Säulen: Zum einen auf Schausteller-, Buden- und Zirkustraditionen, zum anderen auf Größe und Personal der vorhandenen (Arena-)Bühnen, sowie den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln. Der Tanz – wobei der Begriff „Tanz“ wohl zu dem des „Bewegungs-“ oder „Körpertheaters“ erweitert werde muss – war immer integraler Bestandteil. Extreme Pole eines solchen Theaters waren etwa die von Schaustellern gebotenen und überaus beliebten „Lebenden Bilder“ – das heutige „statue posing“ erinnert daran – eine Form, die in der Folge in Bewegung geriet und sich als „laufende Bilder“ zum Film entwickelte, sowie der vielbeachtete Wettlauf die Bedienten der Adeligen, der wiederum an den heutigen City-Marathon erinnert. Innerhalb dieser Bandbreite, war jener Bühnentanz zu sehen, der aus der Stadt und den Vorstädten kam. Es handelte sich dabei um dekorativ eingesetzte Formen, um Ballette, Divertissements, „belebte Bilder“, „Evolutionen“ (oft in Marschform gehaltene Umzüge) oder Schlussballette. Die Elektrizität ließ all diese theatralischen Formen in einem neuen Licht erstrahlen. (Fortsetzung folgt: Tanzende Praterblüten – II: „Volles Licht!“).

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