Hauptkategorie: Wiener Tanzgeschichten

2 KovacsIconNach 75 Jahren ist die vor fünf Jahren in Budapest verstorbene ungarische „Bewegungskünstlerin“ Eva E. Kovács (1922–2017) im Körper von Boglárka Börcsök in sechs ImPulsTanz-Vorstellungen im mumok nach Wien zurückgekehrt. Zusammen mit ihren ebenfalls schon verstorbenen Kolleginnen Irén Preisich (1915–2017) und Ágnes Roboz (1926–2021) hat sie in der Performance „Figuring Age“ von Börcsök Besitz ergriffen, gemeinsam machen sie die an der Linzer Anton-Bruckner-Privatuniversität und bei P.A.R.T.S. in Brüssel Ausgebildete zu einer von drei guten Geistern Besessenen. 

Was die drei verstorbenen ungarischen Tänzerinnen verbindet, ist, zu den letzten Vertreterinnen der im Zuge der Machtübernahme durch die Kommunisten 1949 in Ungarn verbotenen modernen Bewegungskunst zu gehören. Die in der Stückbeschreibung durch ImPulsTanz verwendete Bezeichnung „Pionierinnen“ trifft nicht zu. Richtiger wäre es, sie als gezwungenermaßen zu Vollenderinnen Gewordene einer Bewegung des Tanzes zu sehen, als Schülerinnen der (tatsächlichen) ungarischen Pionierinnen Alice Madzsar (die Lehrerin von Preisich), Valéria Dienes (wichtigste Lehrerin von E. Kovács) und Olga Szentpál (Lehrerin von Roboz). Zu erwähnen, dass Madzsar durch die gebürtige Amerikanerin Bess M. Mensendieck ausgebildet wurde, Dienes durch Raymond Duncan, den Bruder Isadoras, und Szentpál in Hellerau in der Methode des gebürtigen Wieners Émile Jaques-Dalcroze, hätte wohl den Rahmen gesprengt, sei aber an dieser Stelle gestattet. 3 Kovacs

Nach 1949 waren die modernen ungarischen TänzerInnen gezwungen, sich anderen – erlaubten beziehungsweise geförderten – Bereichen des Tanzes zuzuwenden. So wurde Roboz zu einer führenden Expertin für ungarischen Volkstanz, den sie auch außerhalb von Ungarn lehrte, unter anderem 14 Sommer lang bei der Kölner Tanzakademie (Kurt Peters sah sie als Entwicklerin der exakten schulischen Grundlagen des ungarischen Tanzes), in den Niederlanden, an der Royal Ballet School und an der Palucca-Schule; Preisich wandte sich, gemäß ihrer Abstammung von Mensendieck, der Physiotherapie zu (eine Tätigkeit, die sie lange ohne Entgelt ausüben musste, da es im kommunistischen Ungarn offiziell diesen Beruf nicht gab); E. Kovács ließ ihren Erfahrungsschatz aus dem modernen Tanz in Bereiche des Sports und der Ausbildung von SchauspielerInnen einfließen. 

4 KovacsWas aber E. Kovács von ihren beiden Kolleginnen Preisich und Roboz unterscheidet, ist ihre während ihrer Zeit als moderne Tänzerin gepflegte enge Bindung an Wien und die hiesigen Exponentinnen der Wiener Tanzmoderne, Grete Wiesenthal, Rosalia Chladek und insbesondere Hanna Berger. Berger übertrug E. Kovács ihren Solotanz „Kampfruf“, E. Kovács veröffentlichte in Ungarn Artikel über Bergers Wirken (siehe dazu: Andrea Amort, „Hanna Berger. Spuren einer Tänzerin im Widerstand“, Wien 2010). Dazu kam ein sich über mehrere Jahre erstreckender Privatunterricht bei Harald Kreutzberg. In Wien trat E. Kovács 1947 gemeinsam mit Chladek, Kreutzberg und der Tanzgruppe Grete Wiesenthal im „Fest des Tanzes“ im Konzerthaus auf und gab einen eigenen Tanzabend in der Urania, der von Hanna Berger conferiert wurde. Des Weiteren teilte sie sich im Konzerthaus einen Abend mit den Wiesenthal-Tänzerinnen Grete Sellier und Margit Sasma sowie der Tanzgruppe der Geschwister Erwin und Poldy Pokorny. 

Kovács᾽ Auftritte 1947 in Wien läuteten schon das Ende der Tanzkarriere der damals erst 25-Jährigen ein. Als „bürgerliche“ und individuell gestaltete Kunstausübung eingestuft, hatte die moderne Bewegungskunst keinen Platz im kulturellen Geschehen eines kommunistischen Staates. (In der Sowjetunion war der moderne Tanz bereits Ende der Zwanzigerjahre liquidiert worden, in den Ostblockstaaten war dies Ende der Vierzigerjahre der Fall. Allein in der DDR gelang es Gret Palucca auf wundersame Weise, dieser Art des Tanzes eine Nische zu sichern.) 5 Kovacs

Die Kritiken, die E. Kovács in Wien zuteil wurden, werden wohl zu den letzten gezählt haben, derer sie sich erfreuen durfte. Die „Weltpresse“ berichtet von dem „schönen Erfolg“, den Kovar (so die Schreibweise ihres Namens bei den Wiener Auftritten) mit „Erde“ und „Feuer“ nach Bartók und Prokofjew beim „Fest des Tanzes“ errang; das Blatt lobt ihren Urania-Abend zu Musik von Debussy, Bartók, Brahms, Grieg und Prokofjew ob seines reichhaltigen, klug zusammengestellten Programms, „das der temperamentvollen Ungarin die Möglichkeit gab, die Vielseitigkeit ihres Talents zu zeigen“, und ist schließlich bei ihrem zweiten Konzerthaus-Abend von der starken tänzerischen Begabung überzeugt, „die neue persönliche Wege sucht und findet“. Unter ihren Schöpfungen sind jene „mit gedanklichem Vorwurf, wie ‚An den Gott der Freiheitʻ oder ‚Requiemʻ, den rein tänzerischen vorzuziehen“. Am besten gefiel das zu Musik von Bartók getanzte „Tochter der Hunnen“ „durch drastische, absolut originelle Ausschöpfung des musikalischen Gehalts“. 

6 KovacsBoglárka Börcsök und dem Filmemacher Andreas Bolm sei Dank, mit ihrer ebenso bewegenden wie berührenden, fesselnden wie bezaubernden Performance dem Vermächtnis der drei durch widrige Zeitläufte aus der Bahn geworfenen ungarischen Tanzkünstlerinnen in Wien eine Plattform gegeben zu haben! Der Weiß in Weiß gehaltene Ausstellungsraum im mumok war ein idealer Schauplatz für diese Geisterbeschwörung…

PS

Im Zuge der nach 1989 erfolgten Rehabilitierung des (historischen) modernen Tanzes in Ungarn, verfasste E. Kovács 1995 das zweibändige Lehrbuch „Mozgás és müvészet“ („Bewegung und Kunst“). Es trägt den Untertitel „Ebenen und Richtungen / von Positionen zu Rotationen / Studiennotizen und Illustrationen“. Das Werk zeigt Möglichkeiten der räumlichen Gestaltung von Bewegungsharmonien unter Beachtung anatomischer und ästhetischer Aspekte auf.

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