Der Zeit auf den Zahn gefühlt haben die Organisatorinnen Gabriele Brandstetter und Nanako Nakajima mit der internationalen Tagung „Aging Body in Dance. Zur Ästhetik und Politik des Körpers im Vergleich von europäisch-amerikanischen und japanischen Tanzkulturen“ Ende Juni in den Uferstudios Berlin.
Gabriele Brandstetter (Zentrum für Bewegungsforschung, FU Berlin) und Nanako Nakajima (Japan Society for the Promotion of Science, Saitama) ist es gelungen, auf einem prominent besetzten Podium Vertreter von Wissenschaft und Kunst zusammenzubringen, die in unterschiedlichen Ansätzen die Frage der politischen, sozialen und künstlerischen Verortung eines nicht perfekten Körpers aus der Perspektive des Tanzes diskutierten.
In vier Sektionen – „Aging Body in the Context of Postmodern Dance“, „Alternative Dancability: Dis/Ability & Performance“, „Aging & Body Politics in Contemporary Dance“ und „Intercultural Perspectives“ – referierten Theoretiker und Praktiker aus den USA und Europa über historische und künstlerische Aspekte des Tagungsthemas. Die Beiträge der japanischen Vortragenden thematisierten kulturvergleichend die ästhetischen Komponenten des alternden Künstlerkörpers in der japanischen Gesellschaft sowie in den klassischen Bühnenkünsten Noh und Kabuki.
Besonders hervorzuheben sind die Darbietungen mit anschließenden Künstlergesprächen an den Abenden der Tagung von Jess Curtis (Berlin) „Jess Meets Angus – Dances for Non/Fictional Bodies“ und des Theaters Thikwa (Kobe, Berlin „Thikwa Plus Junkan Projekt“, das einen Ausschnitt aus seiner neuesten Produktion in Kooperation mit danceBox Kobe präsentierte, wo das Stück am 5. Juli 2012 Premiere hatte. Das Thikwa Plus Junkan Projekt stellt seit drei Jahren ihres Bestehens „Japanisch“ und „Deutsch“, „Nichtbehinderung“ und „Behinderung“, unterschiedliche (Tanz)Kulturen – Körper, Begegnung, Dialog und Bewegung – ins Zentrum seiner Arbeit. Die Präsentationsorte erstrecken sich von Japan bis nach Berlin.
Einen Höhepunkt der Veranstaltung bildete Yoshito Ohnos Butoh-Meisterklasse unter dem Titel „Figures of Life“, die interessierten Teilnehmerinnen die Möglichkeit gab, Gesagtes mit dem eigenen Körper auf der Bühne zu erfahren.
Ohno unterstrich in seiner Lektion die Bedeutung des Kontexts des Körpers, der nicht allein im Raum stehe, sondern in enger Verbindung mit Mutter, Vater und anderen gesellschaftlichen Erscheinungen. Dieses Thema wurde im Zusammenhang mit den Ereignissen in Fuskushima im März 2011 auch von den Künstlern des Thikwa-Theaters in der abschließenden Podiumsdiskussion erneut aufgegriffen.
„Now we can go on with our questions – nun können wir mit den aufgeworfenen Fragen weiterarbeiten“, resümierte Gabriele Brandstetter in ihrem Schlusswort. In der Tat bedarf ein Aufeinandertreffen dieser Art zunächst einmal der Klärung von Begrifflichkeiten, mit denen in den unterschiedlichen Disziplinen, Sprachen und Kulturen operiert wird. Dies betrifft den Körperbegriff (Körper, Leib, Body) ebenso wie die Benennung von Behinderung (disabled, differently abled etc.) und nicht zuletzt das Verständnis von Kunst im Allgemeinen. So wird im japanischen Noh und Kabuki nicht unterschieden zwischen Schauspieler und Tänzer, da diese Kunstformen keine Trennung von gesprochenem und gesungenem Wort und tänzerischer Bewegung im westlichen Sinne vorsehen. Dass im traditionellen japanischen Theater weibliche Rollen von männlichen Schauspielern verkörpert werden, wurde im Rahmen der Vorträge beeindruckend dargestellt, so beeindruckend, dass auch die Frage nach der Rolle der tanzenden Frauenkörper als noch zu bearbeitende offen blieb. In diesem Sinne ist es den Veranstalterinnen gelungen, einen Impuls für eine Diskussion über den Körper in einer krisengeschüttelten Gesellschaft zu setzen, die nicht nur für die Kunstwissenschaften relevant ist und zweifelsohne erst ihren Anfang erfahren hat. Es ist geplant, alle Vorträge in einem Tagungsband zu veröffentlichen.
Tagung „Aging Body in Dance“ in den Uferstudios Berlin, von 28. Bis 30. Juni 2012