Nach fünfjähriger Wanderschaft zu und an öffentlichen Plätzen der Grazer Innenstadt konnte die zu Sommerbeginn traditionelle Veranstaltung des zeitgenössischen Tanzes heuer mit seinen Performances wieder an einen besonders gut geeigneten Ort zurückkehren: vor und in das nunmehr renovierter Theater im Palais (TiP) der Kunstuniversität Graz.
Bei bester Atmosphäre standen Tanzinteressierten an sechs Abenden insgesamt fünf unterschiedliche Programme zur Auswahl: Durchwegs gut besucht, insbesondere auch von den Workshop-TeilnehmerInnen, die sich tagsüber in zum Großteil altbewährten Werkstätten zwischen African Dance und Hip Hop, über Ballett Basics, Contemporary-Ballett, -Technique und -Choreografie so wie Contact Impro bis Axis Syllabus und Parkour erproben bzw. ebendort perfektionieren konnten. Neu war heuer das Angebot „Health & Dance“ mit Fokus auf ganzheitliche Körpererfahrung, Gyrokinesis sowie Shiatsu and Dance. Allesamt vorgestellt am Eröffnungs-Sonntag, wobei sowohl Organisation als auch Informationswert dieses Teils des Abends nicht durchgehend befriedigend ausfielen; auch übereinander gelagerte Szenen aus der tags darauf uraufgeführten „Ansichtssache“ begeisterten wenig, ließen sie doch auch nichts von der Notwendigkeit des dabei präsentierten „Pavillons“ erkennen.
Der auf der TiP-Bühne gezeigte, von Elio Gervasi choreographierte Programmpunkt machte all dies allerdings mit dem Solo "Exit Two-Four-One", präsentiert von Leonie Wahl, umgehend wett: Mit Bühnenpräsenz vom ersten, langsam-behutsam gesetzten Schritt an fasziniert sie in dieser durchdachten, durchkomponierten Bewegungsabfolge mit konzentrierter und sich gleichermaßen viel Zeit nehmender Feinheit ihres Tanzes: Zurückhaltend angelegt zwischen Bewegungen eines hochsensiblen, intellektuellen Wesens voll Emotionalität und Hingabe kontrastierend zu denen eines kraftvollen, zielstrebigen „Raubtieres“. Der überraschende Schluss setzt noch einen dramaturgischen Tupfen auf das tänzerische I, das sich vorsichtig seinen Raum gesucht hat.
Ein roter Faden spannte sich dieses Jahr zwischen zwei der Programm-Abenden Der vom Architekturkollektiv KV Fönfrisur kreierte „Pavillon“, eine Architekturintervention für den Tanz im öffentlichen Raum in Kooperation mit der Internationalen Bühnenwerkstatt, das heißt ein auf dem Vorplatz des TiP aufgestellter, von durchscheinenden Stoffbahnen unterteilter Kubus, fungierte als impulsgebender Ort der Auseinandersetzung mit Raum an zwei Abenden bzw. in drei Produktionen.
In „Ansichtssache “, einem zeitgenössischen Tanzstück nach Idee und Konzept von Ursula Gigler-Gausterer, bot das Thema der Interaktion von Raum und Bewegung aus unterschiedlichen Perspektiven und mit individuellen Ansätzen in seiner tänzerischen Interpretation durch vier KünstlerInnen ein interessant variiertes und überzeugendes Ganzes. Zur Klangkomposition von Bernd Klug boten die zwei „Paare“ sehr anregend Gegensätzliches: Sonja Felber hielt sich durchaus passabel neben dem versierten Profi Xianghui Zeng (bestechend u.a. in seinen ungewöhnlichen Mimik-Soli); nicht so sehr im Nebeneinander, aber doch im „unterstützten“ Miteinander des Zueinanderfindens. Tomas Danielis offerierte in der Beengtheit seines Raumes beeindruckend nachvollziehbar seinen wiederholten Kampf gegen das andere/die anderen, während – ohne Interesse an ihrem „Nachbartänzer“ – Annececilie Chane-Tune in ihrem fremdartig-eigenwilligen „Inneren Monolog“ einen optisch umso reizvolleren Gegenpart zu Danielis kreiert und zum Teil in nahezu grafisch ausgeklügelter Kontrastierung nachhaltige Bilder (im Zuseher) entstehen ließ. Diese nicht als Choreografie, sondern als „Bewegungsdesign“, bezeichneten Arbeit ist in erster Linie optisch ansprechend und/aber auch „funktionell“ in ihrem zumeist stimmigen Zusammenspiel mit den Raumgegebenheiten.
Frey Faust ist wie immer ein Kategorie für sich, ein feinstoffliches Vergnügen der individuellen Art. „Reject Assembly“ nennt er seine, speziell für den Architekturraum „Pavillon“ geschaffene Performance; ein ebenso verspielt- anspruchsvoll eigenwilliges wie seine Umgebung wertschätzendes, liegendes, drehendes, schwebendes Bewegungskonglomerat.
Tomas Danielis‘ „Let me have my Dreams“ wurde zwar laut Programmzettel ebenfalls speziell für diesen Raum kreiert, doch fällt es schwer, diese thematisch-formalen Vorgaben nachzuvollziehen: Einserseits, weil ein wesentlicher Teil seiner Performance rund um den Kubus und auch hinter diesem erfolgt, andererseits, weil symbolische Requisiten – eine sein Gesicht über lange Phasen verdeckende Perücke, ein Tablett, Stäbe, ein Spiegel und schließlich das von ihm „entdeckte“ und entfachte, lang bewunderte Feuer - immer wieder dominant eingesetzt werden und insgesamt (sowie im Gegensatz zum Programmzettel-Text) vor allem den Prozess der Menschwerdung assoziieren lassen. Authentisches Wollen und Können ist spür- und sichtbar, allein es fehlt (und nach dem zurückhaltenden Applaus zu schließen, nicht nur der Schreibenden) die stimmige Umsetzung.
Offensichtlich vielen ein willkommener Gast: Helene Weinzierls Cie. Laroque aus Salzburg am letzten Abend und mit einem Tanztheaterstück der besonders schillernden Ausprägung: von tänzerischer und darstellerischer Qualität, originell (einschließlich der Interaktionen mit dem Publikum), humorvoll, gesellschaftskritisch, einfallsreich – die Rede ist von „Democrazy – How to Peel an Onion Without Crying “ und damit von einer unterhaltsamen, bewegungs- und körperkünstlerisch hochwertigen Auseinandersetzung mit Kompetenzen und Illusionen, Wünschen und Lügen, Macht- und Freiheitsklischees; besonders lang anhaltender Applaus
Auch wenn das projektierte “Experimental Dance Film Festival in 360° Fulldome”, die “competition” und die fulldome workshops“ im Rahmen eines „Shortcuts 2015“ und in Fortsetzung derartiger (nicht wirklich überzeugender) Versuche in den letzten 2 Jahren also nicht stattgefunden haben: Die Veranstaltung war wiederum ein wichtiger und heuer auch besonders geglückter Beitrag zum (selten zu erlebenden) Tanzgeschehen in Graz – das ab der kommenden Saison durch Darrel Toulons Abgang als Ballettdirektor des Grazer Opernhauses bekanntlich um eine zeitgenössische Facette ärmer, hingegen durch die Facette von Ballett reicher sein wird.
24. Internationale Bühnenwerkstatt und Tanzfestival in Graz von 12. bis 19.Juli 2015