Bertram Müller. Leiter des Tanzhaus NRW in Düsseldorf wird heuer mit dem Deutschen Tanzpreis geehrt. Der Tanzpreis Zukunft wird Demis Volpi, seit März 2013 Hauschoreograf beim Stuttgart Ballet. Der Anerkennungspreis geht an die Leiterin des webzines tanznetz.de Nina Hümpel. Die Verleihung der renommierten Preise findet am 8. März im Aalto-Theater Essen statt.
Mit dem Kulturverein „Die Werkstatt e.V.“ begann Bertram Müllers Engagement für den Tanz. Was als Künstler- und Bürgerinitiative in einer Industriebrache begann, entwickelte sich unter seiner Leitung zunächst zu einem Zentrum für die kulturelle Vielfalt des Tanzes; seit den 1990er Jahren wurde das Tanzhaus NRW zu einem internationalen Modell der Vermittlung von Tanz als Bühnenkunst und Lebensform.
Der 1946 in Süddeutschland als achter Sohn eines protestantischen Pfarrers geborene Kulturmanager wuchs auf dem Gelände der Evangelischen Akademie in Bad Boll, einem Ort internationaler Begegnungen auf. Der Umgang mit Personen und Lebensstilen aus vollkommen unterschiedlichen Kulturen wurde für ihn zum Selbstverständlichen und spiegelt sich heute in seinem breiten Verständnis von Tanzkultur nieder.
Das grundlegende Credo von Bertram Müller ist, dass die Kreativität des Lebens keine andere ist als die der Kunst. Die Kunst bedient sich einer entwickelten Sprache, aber die Kreativität ist auch im Sozialen vorhanden. Als Theologe, Psychologe und Kulturmanager, als Kurator und Therapeut (er war einer der ersten Gestalt-Therapeuten Deutschlands) konnte er sich nie auf einen dogmatischen Kunstbegriff, auf eine Ästhetik festlegen, wie das viele Intendanten oder Kuratoren in Deutschland und Europa getan haben.
Mit dem “tanzhaus nrw” hat Bertram Müller eine einzigartige neue Struktur für den Tanz in Europa geschaffen, die in gewisser Weise nicht von der Persönlichkeit zu trennen ist. Die für den Außenstehenden verwirrende Vielfalt im Angebot und Programm des Tanzhauses ist nicht hierarchisch organisiert. Für ihn war eine Gruppe orientalischer Tänzerinnen ebenso wichtig wie die Jugendlichen in gesellschaftlichen Brennpunkten, die freien Choreographen in Nordrhein-Westfalen oder die Stars der internationalen Szene. Die Workshops und Schulprojekte waren ihm ebenso wichtig wie die Gastspiele international renommierter Künstler.
35 Jahre leitete Bertram Müller als Intendant das Tanzhaus NRW, im Sommer 2013 übergab er sein Lebenswerk an Nachfolgerin Bettina Masuch.
Demis Volpi wurde nach der erfolgreiche Uraufführung von “Krabat” im Württembergischen Staatstheater (am 22. März 2013) zum Haus-Choreographen des Stuttgarter Balletts ernannt. Im Werkverzeichnis des jungen Künstlers ist “Krabat” allerdings schon Nummer 19. Sein Erstlingswerk “on and on and on” kreierte er 2006 im Rahmen der “Junge Choreografen”-Vorstellungen für die Noverre Gesellschaft. Inzwischen schuf der 28-jährige Demis Volpi nicht nur Stücke für das Stuttgarter Ballett, sondern auch für das Ballett des Badischen Theaters Karlsruhe, das Ballett Dortmund, das American Ballet Theatre und das Ballet de Santiago de Chile.
Demis Volpi kam 1985 in Buenos Aires zur Welt, mit erstem Tanzunterricht begann er im Alter von vier Jahren. Ab 1999 besuchte er die Escuela de Danza del Instituto Superior de Arte del Teatro Colón, später wechselte er zur National Ballet School of Canada in Toronto. Die Begegnung mit Reid Anderson führte 2002 zum Wechsel an die John Cranko Schule, wo Volpi seine Ausbildung im Jahr 2004 abschloss. In der darauf folgenden Spielzeit 2004/05 wurde er Eleve im Stuttgarter Ballett, ein Jahr später gehörte er zum Corps de ballet der Compagnie. Als Tänzer fühlte er sich nach eigener Aussage nicht genügend gefordert, und so begann er während des Engagements mit eigenen Choreographien.
Volpis choreographische Handschrift durchzieht einen frischen, innovativen Umgang mit dem klassischen Tanzvokabular. Den traditionellen Spitzenschuh beispielsweise setzt er wie ein musikalisches Instrument ein, das ungewohnte Klänge erzeugt oder den Tänzerinnen gänzlich neue Bewegungen abverlangt.
Zu einer Zeit, als die Vokabel “Internet” noch zweifelndes Stirnrunzeln verursachte, wagte Nina Hümpel eine Pioniertat: Sie schuf die Website tanznetz.de, einen virtuellen Treffpunkt für Tanzinteressierte. Das war im Jahr 1996, dem Gründungsjahr des Portals, das inzwischen in Bezug auf Tagesaktualität und Umfang einzigartig in Europa ist. Das tanznetz-Team umfasst vier Redakteure, eine Kunden- und Userbetreuerin, drei Moderatoren, 25 Korrespondenten, sechs Fotografen und zwei Programmierer. Stars der Szene wie Horst Koegler, Jochen Schmidt und Gert Weigelt publizierten intensiv und eröffneten zum Teil eigene Kolumnen wie das “koeglerjournal” und das “weigelt web”.
1965 in Lübeck geboren, entdeckte Nina Hümoel im Alter von vier Jahren ihre Liebe zum Tanz und nahm viele Jahre täglich Unterricht in einer privaten Ballettschule. Sie studierte Theaterwissenschaft mit Schwerpunkt Tanzgeschichte und Bewegungsanalyse sowie Literatur und Philosophie an der Ludwig-Maximilian-Universität in München, ab 1993 arbeitete sie als Assistentin und Dozentin im Studiengang Kulturpädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt und gab Seminare zu Tanz- und Theatergeschichte. Diese Tätigkeit musste sie nach der Geburt von Zwillingen im Jahr 1994 aufgeben. In jener Zeit entstand die Idee zu einer Tanzzeitschrift im Internet, die zwei Jahre später realisiert wurde.
Nina Hümpel war Mitglied der Tanzjury des Kulturreferats der Stadt München. 2012 bildete sie zusammen mit Dieter Buroch das neue Leitungsteam für DANCE, dem internationalen Festival für zeitgenössischen Tanz in München; die für das Jahr 2015 geplante Ausgabe des Festivals wird Nina Hümpel allein kuratieren. Seit Herbst dieses Jahres ist sie außerdem in der Jury beim Fonds für Darstellende Künste in Berlin.
Am 8. März werden die drei Ausgezeichneten in einer Gala im Aalto-Theater Essen geehrt. Tanzen werden das Bayerische Staatsballett II, das Stuttgarter Ballett, die Ensembles der Bühnen in Dortmund, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Krefeld-Mönchengladbach und andere.