Als der „Tanz der Finsternis“ – wie Butoh auch genannt wird, wiewohl dieser charakteristischer vielleicht als ‚Kunst schonungsloser Ehrlichkeit‘ bezeichnet werden könnte – in den späten 50er Jahren in Japan entstand und vorerst nur langsam über die Grenzen des Landes hinaus seinen Weg zu einer weltweiten Eroberung antrat, dauerte es nicht allzu lange, bis er in Graz „landete“ oder besser gesagt: ab 1994 mutig „vorgestellt“ wurde.
Durch eine bis heute anhaltende Initiative der steirischen Kulturinitiative, respektive ihres Programmgestalters Herbert Nichols-Schweiger, der in Form von Workshops zu Butoh - dieser schwer fassbaren und kaum definierbaren Körper-Kunst – einerseits und durch performative Präsentationen international anerkannter und agierender KünstlerInnen andererseits Interessierten einen Zugang anbot: in aktiver Form der tänzerischen Selbsterprobung und -Erkundung also sowie in rezeptiver Form einem Publikum, das offen genug war für zeitimmanente und -adäquate Versuche, in denen regionalen aber auch und vor allem weltweit gültigen Phänomenen der Gegenwart unerschrocken-vorbehaltslos künstlerischer Ausdruck und/oder künstlerisch Antwort verliehen wird.
Von den bislang angebotenen 30 Tanzlabors aus 22 Jahren lag schließlich eine Sammlung von Videoaufzeichnungen sowohl der Workshop-Präsentationen also auch der professionellen Butoh-Aufführungen vor: 40 Stunden Videomaterial, das nun unter der Regie von Norbert Prettenthaler (Produktionskoordination) und Peter Brandstätter (Schnitt- und Tonmischung) zu einem Film gefasst, gestaltet wurde, oder noch zutreffender: zu einem eigenständischen, filmischen Werk verzaubert wurde.
Die im Idealfall tiefe Emotionalität der hochindividuellen Bewegungen werden durch schnell aufeinanderfolgende Schnitte zu einer Art bewegter Installationen; zu Augen-Blicken, aus denen sich unser Leben, unsere Welt (immer nachdrücklicher) zusammensetzt. Dass sich der Zuseher (wie ja auch der real Erlebende) so manches Mal überfordert, ja überfahren fühlt, entspricht haarscharf dem Zeitimmanenten. Dass mit künstlerischer Feinfühligkeit diese herausfordernden Intensiv-Momente miteinander verbunden, zu einem Fluss der Bilder gemacht werden, die einzeln für sich bestehen bleiben, aber durch die sie ausmachende Gesamtbewegung ein Gesamtes ergeben - in den einzelnen Kapiteln wie auch im Gesamtwerk –, das ist nichts Alltägliches. Lässt vielmehr in gewisser Hinsicht etwas entspannen und ein wenig begreifen: nämlich das konkret Vorgeführte als Metapher des Seins und das, was Butoh sein kann, vielleicht sogar immer wieder einmal auch sein will.
Von den einzelnen Videoaufzeichnungen völlig unabhängig ist der Film in 7 Kapitel strukturiert, die mit verbalen, aphoristischen Denkanstößen japanischer Künstler - bestehend aus tiefgehend Informativem zur Kunst des Butoh - sowie mit Bildnerischem, mit ruhig-harmonisch zerfließenden Tropfen, eingeleitet werden. Der Film ist also kein Tsunami, vielmehr eine hochästhetische Bilderflut : eine eines wohltuend-tief eindringenden, nachwirkenden Sprühregens, aber auch eines solchen von Hagelkörnern, die anreißen und aufreißen: eine (erinnerte)Realität, die schmerzt oder, wie wir heute sagen, die den Zuseher die Komfortzone zu verlassen zwingt.
Und das ist, wie im Text von Gerlinde Schiestl einprägsam erläutert wird, neben der gesuchten Eigenerfahrung der Akteure (sich durch Bewegung aus dem Bewusstsein zu ziehen, um Formen des Transzendentalen zu erreichen) die andere Intention dieser Kunstform: …“ grotesk, zum Teil meditativ in die kognitive Empathie “ der Zuseher“ einzugreifen. Der hohen Qualität des Filmes ist es zu verdanken, dass diese Wirkung sich in Einzelfällen durch die stimmige Einbettung in ein vielfältiges Ganzes sich sogar eher oder intensiver einstellte als es in der Einzel-Performance der Fall war.
Norbert Prettenthaler spricht im Untertitel zu seinem äußerst lesenswerten „Making of“ im Booklet von einem „Film als Bildertanz durch die Intervalle von Zeit und Raum“. Wie wahr. Dass die Essays im Booklet zur DVD nicht nur den bislang über Butoh kaum Informierten, sondern auch für viele andere eine Bereicherung sein wird, ist einerseits dem sorgfältig aufgebauten, bei aller Kürze kompakt informativen Inhalten geschuldet (ganz besonders sei auf die Parallelen, die Nichols-Schweiger zwischen Butoh und Wiener Aktionismus zieht, hingewiesen; außerdem auf den gut recherchierten historischen Abriss zu Butoh von Gerline Schiestl); andererseits zu verdanken den so fein überlegten Exkursen wie etwa zur Etymologie des Wortes Butoh, zur Bedeutung von Mimik und zu der von Körperlichkeit und seiner ungeschützten Darstellung.
„BUTOH. Bewegte Körper. Metamorphose der Seele“, Film-Uraufführung und Buchpräsentation am 7.Juni 2017 im Rechbauerkino Graz
Die DVD ist über die Facebook-Page der Steirischen Kulturinitiative oder per e-mail zu bestellen.