Zum zweiten Mal hat Silke Grabinger ChoreografInnen ausgewählt, um ihnen als „Versuchsperson“ zu dienen. Silke Grabinger ist Vamp, intellektuelle Performerin und schwarze Kreatur, die verzweifelt darum kämpft, sich erheben zu können. Zu erleben ist ein Abend mit einer faszinierenden, wandlungsfähigen Tänzerin voll Spannung, Überraschung, Isolation und Traurigkeit.
Wer ist Silke Grabinger? Ob sie es selber weiß? Antworten bekommt jedenfalls das Publikum und auch die Künstlerin selbst von den Choreografinnen und Choreografen, die Silke Grabinger als „Versuchsperson“ einsetzen dürfen. Eine kühne Idee! Der Prozess wird umgekehrt. Nicht die Choreografinnen suchen ihre Tänzerinnen aus, sondern die Tänzerin holt sich die Inszenatorinnen ihrer Bühnenpersönlichkeiten.
„Versuchsperson Silke Grabinger“ (das von Grabinger schließlich vollendete Stück, nicht die Person) ist zwei Jahre nach dem ersten Versuch gereifter und klarer geworden. Haben sich 2011 nahezu alle VersuchschoreografInnen (Ausnahme: Anne Juren) an die Biografie der ehemaligen Breaktänzerin geklammert, so gehen die Ausgewählten diesmal wesentlich freier damit um. Was Grabinger immer wieder betont, ist die Tastsache, dass sie keineswegs nur benutztes Objekt ist. Im Gegenteil, die Fertigstellung des Abends, durch das Zusammenfügen der einzelnen Choreografien, das Schaffen der Übergänge obliegen ihr als Produktionsleiterin. So leicht lässt sich Silke Grabinger das Heft nicht aus der Hand nehmen, das ist in einigen Szenen deutlich zu sehen, da ist Silke nicht Vamp und nicht Starlet, nicht Akrobatin und auch nicht Partyschlange sondern schlicht Silke Grabinger, eine Frau die weiß was sie will.
Schönes Schlusswort! Doch die einzelnen Kurzchoreografien verdienen schon auch erwähnt zu werden. Benoit Lachambre hat mit seiner Versuchsperson die Ouvertüre erarbeitet. Lässt sie sanfte, weiche Bewegungen hinter, vor, über, auf einer metallenen Leiter ausführen, langsam den Publikumskreis entlangschreiten, vorsichtig die Leiter besteigen, mit sanften Schwimmbewegungen die Balance halten. „Being there“ nennt Lachambre die als Vorprogramm laufende Performance. „Being here“, das ungeduldige Publikum durfte endlich in den Saal des Odeon strömen, ist dann nur kurz. Eine schöne Frau umschreitet die Bühne, scheint nachzudenken, blickt verträumt und wieder selbstbewusst. Silke Grabinger ist da.
Und geht nahtlos zu Trajal Harrells Beitrag „It is Thus From A Strange New Perspective That We Look Back on the Modernist Origin and Watch It Splintering Into Endless Replication.“ Bis dieser Titel (der letzte Satz einer Rezension) entziffert ist, ist auch die Sequenz aus einem frühen Solo Harrells schon wieder zu Ende. Vier Minuten nur. Wer nicht hinschaut, hat nichts gesehen.
Einsam im Glitzerkleid. Beunruhigend sind die drei anderen Stücke. Astrid Endruweit / Michael Laub porträtieren ihre Versuchsperson als Nixe oder Schlange im glitzernden Futteral, mit gierig rollenden Augen und etwas dümmlichem Grinsen. Hin und wieder während der 10 Minuten huscht ein Schatten über das Gesicht, die Augen blicken traurig. Die verführerische Person ist einsam. Ob es Bedingung oder Zufall ist, dass die Versuchsperson allein bleiben muss, niemand ihr eine Partnerin / einen Partner beigesellt hat, ist nicht bekannt.
Für den in Wien lebenden Filmemacher Arash T. Riahi muss Grabinger sich mit einer Burka total verhüllen lassen. Vergeblich kämpft sie um ihre Befreiung, die Stoffbahnen werden zum Gefängnis. Und in diesem Gefängnis wird auch gefoltert: Das Bündel Stoff, ein Mensch, eine Frau, ist nicht sichtbar, hängt mit den Gliedmaßen an Seilen, schwebt unter dem Plafond. Was Grabinger einst beim Cirque de soleil zur Freude des Publikums exerzierte, wird nun zum grausigen Ritual. Am Ende bleibt nur der Tod. Leblos klatscht das Bündel zu Boden. Erlösung! Der Abspann des Films zeigt die Darstellerin als quicklebendige Person beim Ablegen des Stoffgefängnisses.
Noch ein tödliches Ende. Auch Dave St-Pierre, den Grabinger von der gemeinsamen Arbeit in Las Vegas beim Cirque kennt, taucht tief in Schmerz und Leid ein, um zu zeigen, dass die Glanz- und Glitzerwelt auch eine schwarze Rückseite hat, die das Publikum nie zu sehen bekommt. Doch die Versuchsperson Silke Grabinger ist neugierig, engagiert und überaus geduldig. Auf offener Bühne wird mit Hilfe schwarzer Farbe aus der blonden weißhäutigen Silke ein ekelhaftes, bis in die Haarspitzen schwarzes Wesen, das sich windet und wälzt und kaum auf die Beine kommt. Mitleid mit der sich vergeblich mühenden Gestalt kommt auf, Traurigkeit und auch Angst. Ganz allein kämpft dieses lebende Wesen, gibt nicht auf und verliert doch. Mit einem dumpfen Krach fällt die Kreatur in die totale Finsternis.
Erst mit dem Aufflammen der Bühnenbeleuchtung brandet auch der Applaus auf. Man hat verstanden, man ist begeistert.
Silk Cie. / Trajal Harrell / Benoit Lachambre / Astrid Endruweit & Michael Laub / Arash T. Riahi / Dave St-Pierre: „Versuchsperson Silke Grabinger 2.0“, 3. August 2013, Odeon im Rahmen von ImPulsTanz