Wer von „Ich Zarah – oder das wilde Fleisch der letzten Diva“ eine Zarah-Leander-Revue erwartet, wird enttäuscht. Dieses Stück von Franzobel beleuchtet die Lebens- und Wirkungs-Geschichte der schwedischen Schauspielerin und Sängerin insbesondere in der Zeit Nazi-Deutschlands und stellt beklemmende aktuelle Bezüge her. Tamara Stern als Zarah Leander: einfach umwerfend!
In der Mitte der Bühne steht ein Podest vor einer Rückwand aus grauem Stoff. Zarah schiebt diesen zur Seite, betritt das Podest und beginnt mit dunkler, rauchiger Stimme zu singen: „Nur nicht aus Liebe weinen“. Die kastanienbraunen Haare, das lange schwarze Kleid, ellbogenlange Handschuhe und die große Sonnenbrille (Kostüm/Maske: Christoph Birkner) lassen keinen Zweifel am Selbstverständnis der Sängerin. Sehr bald stürzt der Regisseur (Ernst Kurt Weigel) hinzu: „Stop! Nein, so geht das nicht!“ Damit ist der Rahmen für die kommenden zwei Stunden gesetzt. Es ist eine Proben-Situation, in die wir hier hineingeraten sind.
Rechts spielen Piano und Kontrabass (mit viel Gefühl und musikalisch brillant begleiten Bernhard Krisper und Mathias Krispin Bucher), links stehen ein Regiestuhl und ein Bar-Wagen, in der Mitte ein Mikrofon, ein Scheinwerfer, der halbrunde Hintergrund ist grau. Vor diesem (Bühne von Devi Saha) entspinnt sich ein mit viel Humor gewürztes Spiel mit Rollen und Zeiten, mit Künstlerischem und Privatem, mit Denk-Mustern und Gefühlslagen, mit Moral und Gewissenlosigkeit. Einer der Schlüsselsätze, vom Regisseur voller Wut gerufen: „Es geht nicht um Schuld, es geht um Verantwortung!“ Tamara Stern verschränkt die Schauspielerinnen-Rolle, die der Zarah und die der Schwägerin, wechselt Timbre der Stimme und Dialekt der Sprache blitzartig, variiert ihren Habitus abrupt. Sie singt die Lieder der Leander (neun an der Zahl), sie spielt das Gesprochene mit so verschiedenem und so schnell wechselndem Duktus, dass man kaum nachkommt mit seinen Gefühlen. Selten habe ich mich so gefordert erlebt. Großartig! Und Ernst Kurt Weigel ist ihr ein adäquater Partner. Die beiden harmonieren prächtig.
Sie verschränken die Zeiten (1936, 1941, Nachkriegszeit, 2019), die Orte (Schweden, Wien, Berlin) und die Rollen und erzeugen so ein komplexes Verwirr- und Verwechselspiel, in dem der Regisseur (nie dessen Darsteller) zuweilen die Orientierung verliert. Brandaktuelles wird vom Regisseur eingestreut: „Der Kurz sagt, die Leute sollen früh aufstehen. Die sind müde!“ Sie tauchen ein in das Denken und Fühlen der Zarah Leander, in den Wechsel der Stimmungen und Befindlichkeiten, changieren zwischen Innen- und Außenschau, alles mit hoher Geschwindigkeit.
Zarah Leander sah sich stets als unpolitische Künstlerin („Die Liebe ist unpolitisch! Und ich singe doch nur über die Liebe!“), der man jedoch wegen ihrer kritiklosen Kollaboration mit den Nazis („Ich ging mit Goebbels essen. Und er war so charmant.“) und nie erfolgter Entschuldigung dafür oder Distanzierung davon eine Mitschuld an den Verbrechen der Nazis zuschreibt. Hat denn auch sie von nichts gewusst? Am Ende (der Regisseur ist zu ihrem aufdringlichen Gewissen mutiert) steht Zarah mit einer großen Vodka-Flasche in der Hand (ihre letzte Hauptrolle spielte die Leander in dem Musical „Wodka für die Königin“ 1968/69 am Wiener Raimundtheater) verloren und enttäuscht auf der Bühne und singt „Schatten der Vergangenheit“. Sie blickt in den Himmel, das Licht verlischt.
Für Ernst Kurt Weigel, den künstlerischen Leiter des Off-Theaters, Schauspieler im Bernhard-Ensemble und Autor, und die in Berlin geborene, in Jerusalem aufgewachsene und seit 2006 in Wien lebende Schauspielerin und Sängerin Tamara Stern, war die Anregung Alexander Kubelkas zu einer Bühnenbiographie über die Leander und zu der Zusammenarbeit hierfür mit Franzobel, einem ungemein produktiven österreichischen Schriftsteller, Dichter und Theater-Autoren, ein mehr als willkommener Anlass, die aktuelle gesellschaftspolitische Stimmungslage nicht nur in Österreich, sondern weltweit zu untersuchen und deren Parallelen zur Nazi-Zeit aufzuzeigen. Das Stück gerät so zu einer engagierten Anklage des Mitläufertums, der Anbiederung an die Macht um des eigenen kleinen Vorteiles willen, der zunehmenden Salonfähigkeit rechten Denkens, dieser „Ich habe doch nichts gewusst!“-Attitüde, der Unaufmerksamkeit, des Wegschauens und der Ignoranz, der Flucht ins Private, der Ausreden und Ausflüchte, dieses „Was kann ich denn schon bewirken?“. Genau das ist, wie E. K. Weigel als das „Gewissen“ formuliert, der selbe braune Ungeist, der das damals Folgende vorbereitet hatte, den Judenhass, die KZ und die Vergasungen.
Klar bezogene Haltung und große Schauspiel- und Sangeskunst machen den Wert dieses Abends aus!
Und wie passend zum Thema: Vor der Vorstellung verteilte am Eingang ein junger Mann Werbung für einen Abend in der Eden-Bar: „Deutschlands Diven – Eine musikalische Revue“ (Dietrich, Leander, Knef). „Anita Eberwein … interpretiert mit viel Humor, manchmal auch mit etwas Wehmut, deren Lieder.“ Das riecht nach einem anderen, eher unreflektierten Umgang mit Kultur und Geschichte. Und der Student? Flyert halt ...
„Ich Zarah“ am 18. Jänner 2019 im Off-Theater Wien. Weitere Vorstellung am 16. Februar.