Ein Hochzeitsgelage. Sekt fließt in Strömen, nicht nur in die Kehlen. Und Semmeln fliegen auch. „Ich will“ heißt die jüngste Kollektiv-Entwicklung des Wiener E3-Ensembles, die als Ko-Produktion mit dem Off-Theater Wien dort zu sehen ist. Die da wie schnulzenbeseelte Party-People daherkommen, offenbaren eine Menge an Tief- und Abgründigem.
„Was findest Du geil? Sag! Was findest Du geil?“ Sie (Isabella Jeschke) im weißen Hochzeitskleid fragt ihn (Gerald Walsberger) im goldfarbenen Anzug und mit halbglatzenkaschierender Langhaar-Frisur. „Übers Haar streichen. Ja! Und Zärtlichkeit mag ich auch.“, gibt er stammelnd zu. Ganz nah vor dem Publikum stehend geht es sofort ans Eingemachte.
Auf der hell erleuchteten weißen Bühne (wie die Musik von Sebastian Spielvogel) verspricht eine lange, mit viel Sekt und Bergen von Semmeln beladene Tafel ein gar rauschend Fest. Und rechts vorn ein Keyboard, ein Mikrofon und ein Notebook auf einem Tischchen. Getanzt werden darf also auch. Was das Paar auch tut, als die repetitiven Alleinunterhalter-Akkorde, gedrückt vom grinsenden Arrangeur selbst, ganz in weiß übrigens, einsetzen. Aber so, das es schmerzt. Jeder für sich, krampfig und neben dem Rhythmus.
Der weiße Kubus füllt sich mit fein gekleideten Menschen (Kostüme und Ausstattung von Pia Stross). May Garzon im Goldenen Kleinen, Michaela Schausberger in weißer Hose und schulterfreiem Top, Robert Slivovsky als glittergoldener Krawatten-Gigolo, der als singender Conférencier durch den Abend führen soll.
Was folgt, ist eine lange Reihe an ungemein dynamisch arrangierten wechselvollen Sequenzen sehr persönlicher Kurzgeschichten, die redend, singend, tanzend, als Solo oder Diskussion, lärmend und in Stille, mit ganz viel Witz und auch bewegender Eindringlichkeit präsentiert werden. Sie reden über aufgelöste Verlobungen, gescheiterte Kurz-Beziehungen, Kinderzuschüsse vor allem an Gut-Verdiener (denn christlich-sozial heißt ja „christlich minus sozial“), das Präkariat („Was ist denn so schlecht am Präkariat, wenn man davon leben kann?“), über die absurde Angst der wirklich Reichen vor Verarmung (und die im Überfluss Lebenden erfreuen sich an einer Semmel-Schlacht), sie pressen sich Geständnisse über ihre tatsächlichen Vermögensverhältnisse ab, die sich als höchst ungleich erweisen, diskutieren über das „Binnen-I“ und männliche Feministen („Männer, die Frauen mögen.“), sie fühlen dem männlichen Selbstverständnis und der umweltinduzierten Angst, wegen femininer Seiten für schwul gehalten zu werden, auf den Zahn, Gerald (sie reden sich mit ihren tatsächlichen Namen an) verliest alte Liebesbriefe, wozu die Anderen synchron mit imaginären Partnern, dann ohne diese tanzen, May schreit ein Liebeslied und stellt das Buch „Heirate dich selbst“ mit dem Gelübde, sich selbst zu lieben und bis in den Tod treu zu bleiben, vor, zwecks Vermeidung von Alleinsein im Alter wird vorgespielte Liebe empfohlen, die bemerkenswert polyglotte Michaela singt schließlich auf spanisch von ihrer Einsamkeit, Isabella berichtet in totaler Stille mit Tränen in den Augen vom Butterbrot mit Schnittlauch, das sie als Kind beim Heimkommen erhielt und sich frei fühlte (einer der ganz großen Momente!). Dann brennt Gerald die Sicherung durch: „Trink mer mal! Braut verzarrn! Braut ausziehn!“ singt und brüllt er randalierend und gewalttätig. Und dann, ganz ruhig, an uns gerichtet: „Schauts net so!“ Selten intensiv! Und all das wird gewürzt mit Sanges- und Wortbeiträgen von Slivi, der einen selbstgefälligen, gönnerhaften, schmierigen Macho mit wirklich guter Stimme gibt. Köstlich. Und am Ende, alle stehen vereinzelt da, geht langsam das Licht aus ...
Die Musik übrigens ist eine Herausforderung. Mit sicherem Gespür für das Schmalztriefendste, was an deutschsprachiger Schlager- und Alleinunterhalter-Kunst den Blutdruck einfachst strukturierter Zeitgenießender hebt, stellte Sebastian Spielvogel das wirklich Beste zusammen. Die intensive Beschäftigung damit ließ ihn dann auch unter der Dusche, beziehungsgefährdend, Julio Iglesias trällern (wie er mir hinterher erzählte). Alles für die Kunst.
Diese in zehn Wochen intensiver Gruppen-Arbeit entstandene zehnte Produktion des E3-Ensembles, die vierte als von allen Ensemble-Mitgliedern gemeinsam entwickelte, ist dicht, rasant und sehr persönlich, weil die Geschichten tatsächlich entweder direkt von den DarstellerInnen oder aus deren Umfeld stammen. „Ich will“ ist das Abbild einer Gesellschaft von atomisierten Individualisten ohne echte, gefühlsmäßige Bindung zueinander, die jedoch, wenn die Maske einmal fällt, eine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit offenbaren. Eine Bestandsaufnahme der heutigen Zeit, die durch die wiederkehrende Ansprache und Einbeziehung des Publikums klarmacht: Es geht nicht um Andere, es geht um uns.
Die Fülle an Themen, die Bandbreite der Emotionen, die schauspielerische Klasse und die Spielfreude der Darsteller, der umwerfende Humor und das runde Konzept machen dieses Stück zu einem Erlebnis. Sehr empfehlenswert!
„Ich will“ vom E3-Ensemble im Off-Theater Wien, Uraufführung gesehen am 21. März 2019, weitere Vorstellungen am 28., 29. und 30. März 2019.