Ein Mann auf dem Weg zu sich selbst. So könnte man „Hanuman Addiction Cycle“, die jüngste, als Pre-Premiere im Off-Theater Wien gezeigte Arbeit von Jan Jakubal überschreiben. Vordergründig ein bilderreiches Spektakel um Limitierungen und seinen Kampf mit ihnen, entpuppt sich die Performance als tiefgründige Beschau des modernen, gespaltenen Menschen. Doch der Reihe nach.
Wie in einem Restaurant sitzen sich Mann und Frau da am Tisch ganz hinten auf der Bühne gegenüber, vor einer auf die rückwärtige Leinwand projizierten geometrischen 3-D-Grafik, kalt in ihrer klaren Struktur. Weiße Auren umkränzen ihre schwarzen Schatten dort.
Gesprächslärm und das Klappern von Geschirr und Besteck begleiten ganz schüchterne Annäherungsversuche. Und als sich die Hände fast berühren, kracht er in den Stuhl, der keine Sitzfläche hat. Sie versucht aufzuhelfen, doch es misslingt, und hinter ihnen erscheinen auseinanderstrebende Spiralen. Und so beginnt das Ringen mit diesem Stuhl, im Dunkel, während sie, im Lichte, im weißen Kleid hinten links steht und per Live-Visuals weiß, dann bunt besprenkelt wird. Und er verkeilt sich so gekonnt in diesem Stuhl auf immer neue, schlimmere Weisen, ringt und rollt mit ihm, und als sie ihm auch noch eine Maske aus verknoteten Schnüren überzieht, die einen langen Schwanz zum Binden eines Fußes hat, ist er wahrlich verstrickt und gebunden, verdreht und geschunden. Glutrot wird die Szene, Feuer, die brennen. Und der Tisch birgt ein Geheimnis. Er holt aus seinem Innern eine Maske hervor, ein Affengesicht mit papiernem Anhang.
Sie ringt derweil mit dem zweiten, senkrecht gespaltenen Stuhl, die klappbar verbundenen Hälften legt sie sich um den Hals wie einen Kragen. Die Maske wandert von seinem Gesicht auf das Ihre, und aus dem Papier werden Flügel, als er sie auf den Schultern trägt. Gelandet streichelt er ihr Hand und Haar. Und plötzlich muss alles sehr schnell gehen. Sie richten den Tisch wieder her, ganz vorn nun. Die Hände haltend lächeln sie sich an, während das Geschirr klappert und die Vielen reden …
Wer mit dem hinduistischen Affengott Hanuman nicht vertraut ist, hat hier eine auch etwas rätselhafte Geschichte gesehen, die mit feinem Humor gewürzt Kampf und Verstrickung zeigt. Schon mal gut, und sie hat begeistert. Doch Hanuman ist der Schlüssel zum Verständnis dieser bildgewaltigen und metaphernreichen Arbeit.
Als Kind wollte Hanuman die Sonne fangen, wurde bestraft und fiel dabei auf einen Felsen, der ihm den Kiefer spaltete. Im Kampf gegen das Dämonenheer des Ravana wird Hanuman der Schwanz angezündet. Doch der Gott kämpft trotzdem weiter und setzt mit seinem peitschenden Schwanz die Stadt Lanka in Brand. Hanuman kommt und hilft, sobald man auch nur an ihn denkt. Er kann jegliche Gestalt annehmen, sich verkleinern und vergrößern nach Belieben. Und er kann fliegen. Zudem symbolisiert er den menschlichen Geist, der durch Bhakti (tiefe Hingabe) zu einer höheren Bewusstseinsebene gelangen kann. Der affengesichtige Lieblingsgott der Hindus, in jedem Tempel gibt es eine Darstellung, wird geliebt und verehrt wegen seiner Treue, Loyalität und Hingabe gegenüber dem Gott Rama, dessen Geliebte Sita, der Mythologie nach, in Indien geraubt wurde und die Hanuman, das Unmögliche möglich machend, auf Sri Lanka fand und befreite. Symbolisch steht Sita auch für die individuelle Seele und Rama für das Göttliche. Hanuman, der „Vernichter des Stolzes“, wird oft mit aufgerissener Brust dargestellt. Hingabe (addiction) braucht viel Herzblut und noch mehr Mut zur Verletzlichkeit.
Und nun wird klar: In „Hanuman Addiction Cycle“ verquickt Jan Jakubal die Geschichte des Gottes Hanuman mit der eines Mannes, der Kontakt zu seiner Seele sucht. Sita, seine Seele, hier im weißen Kleid, ist anfangs unerreichbar für ihn. Oder richtiger: Sie erreicht ihn nicht, weil sein Geist gefangen ist in sich selbst. Sie will ihm aus seinen Verstrickungen helfen, schafft es aber nicht. Er ruft schließlich Hanuman an, der seinen Geist befreit und somit die Verbindung von Geist und Seele ermöglicht.
Gemeinsam mit der Finnin Niina Lindroos (auch: Bühne, Kostüme, Puppe) entwickelt und getanzt, performt Jan Jakubal diese physisch anspruchsvolle Dreiviertelstunde souverän. Die Musik von Jan Čechtický und das Licht und die Visuals von David Vrbík leisten dabei ihren gewichtigen Beitrag.
„Hanuman Addiction Cycle“ von Jan Jakubal und Niina Lindroos, Off-Theater Wien am 3. April 2019.