Seit zehn Jahren rollt eine Generationen übergreifende Tanzwelle durch das Burgenland, seit Liz King ins Burgenland zog und ihre Initiative D.ID. Dance Identity in Oberwart und Pinkafeld startete. Auch bei den von ihr kuratierten Burgenländischen Tanztagen stehen Community Dance Projekte gleichberechtigt neben internationalen Produktionen auf dem Programm. Als Jubiläums-Highlight hat die einstige Chefin des Tanztheater Wien acht ihrer ehemaligen TänzerInnen eingeladen, um in ihrem Körpergedächtnis zu graben.
Völlig unangestrengt holen Esther Linley, Harmen Tromp, Esther Balfe, Mani Obeya, Mick Dolan, Daphne Strothman, Katalin Lörinc und Liz King die Erinnerungen aus ihrer tänzerische Vergangenheit beim Tanztheater Wien hervor, transformieren sie in ihr heutiges Bewegungsverständnis und stellen auf Anhieb ein Compagnie-Feeling her. Zwischen diesen TänzerInnen herrscht eine Komplizenschaft, die durch jahrelange gemeinsame Bühnenerfahrung aufgebaut wurde. Dass die TänzerInnen zwei unterschiedlichen Tanztheater-Wien-Generationen angehörten (das Tanztheater Wien bestand von 1982 bis 1989, und wieder von 1996 bis 2003 – ab 1999 als Ballett der Wiener Volksoper) und die Truppe in dieser Konstellation zuvor noch nie gemeinsam auf der Bühne stand, scheint dabei irrelevant. Denn die große Stärke des Tanztheater Wien war immer ihre heterogene Zusammensetzung mit interessanten Tänzerpersönlichkeiten.
In dem gemeinsam kreierten Stück „Back to the Future“ agieren sie mit nobler Gelassenheit, mit verspielter Geschwindigkeit, maßvoller Dramatik, verschmitztem Witz und mit ungebrochener Bewegungsfreude. Das Resultat dieser Tanztheater Wien-Rekonstruktion hat an tänzerischer Qualität gegenüber dem Original nichts eingebüßt und gleichzeitig ein großes Maß an Freiheit dazugewonnen. Diese TänzerInnen müssen nichts mehr beweisen – sie dürfen auf der Bühne einfach sie selbst sein. Zu Musiken von Arthur Honegger und Ulrich Troyer rufen sie die Bewegungen, Gesten und Haltungen aus ihrem reichen Tanzerfahrungsschatz ab. Einfach wunderbar!
Die Body Focus Group. Der individuelle Ausdruck ist Liz King auch in der Arbeit bei ihrem wöchentlichen Body-Focus-Training wichtig. Für die diesjährige Aufführung bei den Burgenländischen Tanztagen arbeiteten die TeilnehmerInnen mit dem australischen Choreografen Glen Murray, der in der Arbeit mit Non-Professionals höchste ästhetische Ansprüche stellt. In „A-K L-Z“ gelang es den TänzerInnen über weite Strecken der vorgegebenen Bewegungssequenzen ihre Körperspannung zu halten. Die Choreografie (unter anderen zu Arvo Pärts „Spiegeln“) war sehr konsequent auf das tänzerische Könnnen der Gruppe zugeschnitten, wenn auch vielleicht Momente, die den TänzerInnen einen individuellen Freiraum erlauben, etwas zu kurz kamen. Doch das Ergebnis des konsequenten Trainings kann sich allemal sehen lassen.
Schwanensee Remixed. Liz King stand auch Pate für das tänzerische Remix von „Schwanensee Remixed“, ihrer Choreografie in Zusammenarbeit mit Catherine Guerin an der Wiener Volksoper aus dem Jahr 1999. Esther Balfe hat Sequenzen des Stücks für die StudentInnen der Konservatorium Wien Privatuniversität adaptiert, und diese konnten diese gelungene Collage nach der Premiere in Wien nun auch dem Oberwarter Publikum präsentieren.
Apropos Publikum. Bemerkenswert ist bei diesem Festival aber nicht nur der künstlerische Output, sondern auch die Auswirkung und Ausstrahlung, die es auf die Stadt Oberwart und die Region hat. Mit einem dezidiert zeitgenössischen Ansatz fern von Entertainment und Mainstream bringt D.ID Urbanität in den ländlichen Raum, bindet ihn an aktuelle kulturelle Strömungen an. Das hat das Potenzial die Attraktivität einer Region enorm zu steigern. Die gut besuchten Veranstaltungen beweisen jedenfalls, dass Kings Bemühungen auch vom lokalen Publikum hoch geschätzt werden.
Hodworks. Zwei weitere Aktionsbereiche deckt Liz King mit ihrer burgenländischen Initiative ab: Einerseits stellt sie ihr Studio österreichischen Künstlern für eine bestimmte Zeit für Proben zur Verfügung. Im Rahmen des Festivals waren etwa die in Residenzen entstandenen Stücke „Love and Delay“ von Dante Murillo und „Instant Opera“ von The Clever Team alias Radek Hewelt und Filip Szatarski vertreten. Andererseits ist D.I.D. an mehreren internationalen Projekten beteiligt etwa als einzige österreichische Institution im europäischen Netzwerk Aerowaves mit über 40 Partnern, darunter renommierte Tanzhäuser wie Dansens Hus in Stockholm oder The Place in London. Dieses Netzwork scheint bei seiner Auswahl innovativer Tanzproduktionen für den gegenseitigen Austausch ein gutes Auge zu haben. Jedenfalls war die Gruppe Hodwork aus Ungarn eine großartige Entdeckung. Unter dem Titel „Conditions of Being a Mortal“ verkörperten zwei Männer und zwei Frauen nicht nur eine Oper, sondern stellten gleichzeitig eine Parabel auf den Opernbetrieb und die Nebenrolle des Balletts auf. Die Choreografin Adrienn Höd und die TänzerInnen Marcio Canabarro, Emese Chorka, Julia Garai und Csaba Molnár wählten darfür als musikalische Grundlage die „Faust“-Symphonie von Franz Liszt – und kratzen damit wohl auch an einem ungarischen Nationalhelden. Denn Hodworks ist radikal körperlich und kompromisslos offenherzig. Mit expressiven Gesten, Lauten und entblößenden Kostümen entwickeln die vier im ersten Teil eine melodramatische Oper in einer Art Dauerkatharsis. Im zweiten Teil gibt es ein ebenso brachiales Ballett (mit Männern und Frauen auf Spitzenschuhen). Die phyische Tour de Force während der 40 Minuten ist schier atemberaubend. Großartige TänzerInnen, präzises Timing, rückhaltloser Einsatz – ein wahrlich aufregendes Stück!
Die Jubiläumsausgabe war prall gefüllt. Von den elf Produktionen sind die hier genannten willkürlich herausgegriffen, denn sie sind es, die ich beim Festival gesehen habe. Der zypriotische Choreograf Alexis Vassiliou konnte mit „The Caregiver“ nicht überzeugen, verkrampfte Bewegungen und Dauergestöhne sollten wohl, wie im Programmheft vermerkt, die „männliche Intimität und die Verkörperung von Lust“ ausdrücken. Allerdings ist dort auch nichts von der mitwirkenden Tänzerin zu lesen … Lustvoll ist es hingegen immer Simon Mayers „SunBengSitting“ zu sehen, ein Stück, das auf dieser Site schon mehrmals besprochen wurde.
10. Burgenländische Tanztage, 8.-10. Mai 2015 (gesehene Vorstellungen am 9. und 10. Mai) in Oberwart