Stefan Maria Marbs existenziell-performative Bilder fesseln. Einblicke in innere (Gefühls)Sphären, die – so scheint es – der Augenblick gebiert und das Ambiente der Umgebung steuert. Ursprünglich und unmittelbar. Auch in seiner neuesten Performance „Welten.Tänzer“ beeindruckt der Münchner Butoh-Tänzer mit seiner Poesie und Bühnenpräsenz.
Nur wer genau hinsieht, entdeckt im feuchten Dunkel vor dem Schweren Reiter die regungslos auf einem knorrigen Ast kauernde Gestalt. Mit zerzauster Mähne, in einen groben Mantel gehüllt, lässt Marb sein neues Stück „Welten.Tänzer“ in der Einfahrtszone zum Theater beginnen. Um die krude Realität des Parkplatzgeländes aus der Wahrnehmung zu kippen, setzt er eine sonore Klangwolke (Musik: Nick Parkin) und Feuer in einer Tonne ein. Den Rest erledigt seine enorme Auftrittspräsenz.
Seit bald 30 Jahren ist der Münchner Tänzer choreografisch aktiv und hebelt mittels seiner im japanischen Butoh wurzelnden Körpersprachlichkeit immer wieder neue Themen aus den Angeln. Mit dem Verstand allein vermag man sie nicht zu begreifen. Selbst wenn Friedrich Nietzsches oft zitiertes Werk „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ den Anstoß für ein Solo-Tanz-Projekt gibt, in dem gegensätzliche Lebenspole wie das Dionysische und das Apollinische, kauzige Leidenschaftlichkeit und meditative Besonnenheit, männliche Stärke und embryonale Zerbrechlichkeit aufeinanderprallen.
In der am 14. Januar erstmals vorgestellten Eigenproduktion legt Marb es darauf an, den Betrachter ästhetisch zu verführen. Was ihm auch gelingt, selbst wenn seiner tänzerisch hoch poetischen Begegnung mit vier schwarzen und einem weißen Pferd auf weiter Koppel in Sabine Scharfs blaustichig an die Wand geworfenem Film das Monumentale der freien Landschaft abgeht. Eigentlich wäre man da gerne live dabei. Den armlosen Koloss aus verschweißtem Eisen, der im Begriff ist, mit einem Fuß heftig aufzustampfen, hat man da schon hinter sich, die worthintergründige Intervention mit Passagen aus „Also sprach Zarathustra“, vorgetragen von Andreas Mascha, noch vor sich.
So werden über eine Stunde verschiedene Erlebnisetappen zu einem Parcours zusammengefasst, dessen erste Stationen drei Skulpturen des Bildhauers Hansjürgen Vogel flankieren. Sie wecken Neugier und Furcht in Marbs urtümlichem Wesen, das waghalsig die Hände in die Flammen stößt, sich schreckhaft in dunkle Gebäudeecken drückt und in choreografischen Schüben mit lodernder Fackel den Weg durch die Menge in die Vorhalle bahnt. Dort knüpfen Blicke die Verbindung zum Tänzer und Lehrer Ko Murobushi, den eine Fotoserie von Werner Siebert aus dem Jahr 1993 (in Aktion entlang der Isarauen) zeigt. Gertrud Schilde entlockt dazu ihrer Geige Isang Yuns sprunghafte „Kontraste“. Später streicht ihr Bogen in großen Wellen über die Saiten, wenn sie auf der Bühne „Obsession“ von Eugène Ysaÿe und Pendereckis „Cadenza“ spielt.
Marb, der anfangs fast wild durch die Räume irrlichtert, zischt hörbar mit dem Atem. Er ist von oben bis unten weiß geschminkt. Seine übermalte Nacktheit birgt Fremdartiges. Musik treibt ihn zwischen schnellen und langsamen, weichen und harten, sich reckenden und krümmenden Bewegungen hin und her. Am Ende – nach einem finalen Intermezzo mit einem langen Ast – kehrt Ruhe in seinem Körper ein. Marb ist angekommen. Wieder einmal bei sich selbst.
„Welten.Tänzer“. Eine Körperanthologie von Stefan Maria Marb. Premiere am 14. Januar 2016, gesehene Vorstellung am 15. Jänner im Schwere Reiter Theater, München.