Kommt die Zeit denn nie, dass man dieses grauenhafte Buch entsorgen kann? Angesichts von Retro-Deutschtümeleien, mit der hiesige Volksvertereter nach der Macht streben und dem Durchbruch von „white supremacy“ in den USA kommt jedenfalls eine Erinnerung an die arischen Allmachtsfantasien Adolf Hitlers zur richtigen Zeit. Alexander Wächter hat sich den furchtbaren Text vorgenommen und sparsam inszeniert.
Es ist keine Lesung im traditionellen Sinn, wie es Helmut Qualtinger gemacht hat. Aber es ist auch kein Theaterstück, denn Alexander Wächter versucht nicht den Charakter Adolf Hitler im Sinne einer Rolle zu verstehen – auch wenn er in einem Bühnenbild agiert und sich ein Hitlerbärtchen aufgeklebt hat. Zwischen den einzelnen Kapiteln des Buches, das Hitler während seiner Gefangenschaft in der Festung Landsberg nach dem misslungen Putsch der Nazis 1923 geschrieben hat, unterbricht Wächter den Monolog und legt sich auf das Feldbett – Blackout. Er liest den Text von Manuskriptseiten, gelegentlich tippt er einen Überschrift in die mechanische Schreibmaschine. Das sind in Summe die inszenatorischen Mittel für den Einblick in den Text, in dem bereits alle Strategien und Visionen des NS-Regimes dargelegt wurden. 12 Millionen wurden davon gedruckt. Doch wer hat es wirklich gelesen?, wundert man sich. Denn angeblich haben die meisten Deutschen und Österreicher ja von der Judenvernichtung „nichts gewusst“ noch dass der Krieg bereits in „Mein Kampf“ bereits beschrieben worden war …
Gleich zu Beginn erfährt man, dass Hitler sich nach dem Putschversuch das Leben nehmen wollte, und dass ihn eine Helene Hanfstaengl, die Frau des Hitler-Freundes Ernst „Putzi“ Hanfstaengls, davor bewahrte. Hinreichend bekannt hingegen ist, dass Hitler sich als Künstler fühlte, aber die Akademie der bildenden Künste nicht davon überzeugen konnte. Sie lehnten sein Ansuchen auf Aufnahme zum Studium der Malerei ab. (Es ist wohl nur ein Gerücht, dass die Akademie nun Norbert Hofer einen Studienplatz angeboten hat.)
Nun musste er sich als Hilfsarbeiter durchschlagen. In Luegers Wien lernte der gebürtige Oberösterreich einerseits die junge sozialdemokratische Bewegung und den Antisemitismus kennen. Er verband beides, konstruierte seine Weltverschwörungstheorie und seinen Glauben an die Überlegenheit der „deutschen Rasse“. Das Buch ist zwar voller Lügengeschichten über den Ersten Weltkrieg, über Hitlers Einsatz an der Front (wo er als Meldegänger eine relativ sichere Position innehatte), über die politischen Verhältnisse, die zum Friedensabkommen geführt haben, aber die Erfahrungen an der Front radikalisierten ihn weiter. Denn „Mein Kampf“ ist das Gedankenkonstrukt eines Fanatikers, der sich die Realität nach seiner Ideologie zurechtrückt. Er lernte, was er wahrnehmen wollte, in Wien, in München, an der Front, doch an seiner Einstellung musste er jeweils „nur wenig ändern“, wie er im Buch mehrmals betont. Wächters großes Geschick bei der Lektüre liegt darin, dass er diesen hanebüchenen, abstrusen Blödsinn nicht einer verharmlosenden Lächerlichkeit preisgibt.
Wer also heute von der „post-fact or post-truth era“ als ein neues poitisches Phänomen spricht, der irrt. Alles schon mal dagewesen. Überhaupt sind die Parallelen zu heute erschreckend. Damals wie heute ist von einer „Bewegung“ (im Gegensatz zu Parteien des politischen Establishment) die Rede, werden Weltverschwörungstheorien in die Welt gesetzt, wird eine Bevölkerungsgruppe als Schuldiger für alles gefunden, damals die Juden, heute die Muslime.
Hitler wollte den Beweis von der Überlegenheit des deutschen Volkes durch Kriege herbeiführen (auch das hat er bereits 1924 nieder geschrieben). Doch die Geschichte wiederholt sich ja angeblich nicht … Nur, „Mein Kampf“ kann man noch immer nicht wegwerfen, wie sich das schon Helmut Qualtinger ein einem ORF-Interview 1985 und nun sicher auch Alexander Wächter wünschten.
Alexander Wächter „Mein Kampf“ am 18. November im theater franzjosefskai, Weitere Termine: 22. Bis 26., 29. November bis 2. Dezember; 6. bis 10. und 13. bis 17. Dezember 2016