Die mehrmals im Jahr durchgeführte inklusive Tanz-Performance mit Live-Musik und -Poetry, „Jattle Bam + Poetry“, war im Off-Theater Wien zu Gast. Die offenen Tanz-Gruppen con moto und A.D.A.M., beide mit behinderten und nicht-behinderten TänzerInnen besetzt, improvisierten zur Musik von drei eigens für diesen Abend engagierten Instrumentalisten sowie zu vorgefertigter sowie live improvisierter Lyrik.
Allein schon die anfängliche Auslosung der Koalitionen und Reihenfolgen ist eine erheiternde Herausforderung. Die einzige Struktur wird durch die Zweiteilung des Abends vorgegeben. Im ersten Teil beginnt die Lyrik (von Frl. Hahnkamper und Omar Khir Alanam), dann setzt die Musik ein, zu der die TänzerInnen langsam beginnen zu tanzen. Beide Koalitionen aus Tanz-Gruppe und PoetIn nacheinander. Im zweiten Teil reziprok.
Der seit vier Jahren in Österreich lebende syrische Dichter Omar Khir Alanam, bereits mehrfach zu Gast beim „Jattle Bam“, verarbeitet in seiner Lyrik ((nicht nur) seine Erlebnisse im Syrien-Krieg: Im halbzerstörten Zimmer sitzend. Der Schlaf der Mutter, ihr Traum, ihr Kaffee-Trinken sind Beten. Sie ist das Zittern der Liebe. „Hast du je versucht, ein Gedicht zu schreiben, während du mit dem Tode kämpfst?“ Fragt er uns im einleitenden Text. Das sind die in Lyrik gegossenen Gefühle zu den Bildern, die wir alle kennen. Ein Sich-Entziehen gibt es nicht. Die drei Musiker (Michael Bruckner: Gitarre, Christopher Haritzer: Klarinette, Bassklarinette, Gesang und Martin Burk: Kontrabass) nehmen mit großer Sensibilität die Stimmung auf und beginnen mit düsterem, disharmonischem Klang, der sich nach und nach aufhellt und die ersten TänzerInnen auf die Bühne ruft. Sie finden sich, hier hochkonzentriert, um Text und Musik in Bewegung fallen zu lassen. Kontakt-Improvisation bietet eine Grundlage für die Interaktion. Weitere PerformerInnen erscheinen, Rollstühle werden verlassen, „Fußgänger“ okkupieren diese, am Boden kommunizieren Körper. Die Musik, inzwischen feurig wie Flamenco, heizt an und klingt aus. Die Bühne – dominiert von einem Auto-Skelett, Überbleibsel der am Vorabend gefeierten letzten Aufführung des Schauspiels „Taxi.Speiber“ des im Off-Theater beheimateten Bernhard-Ensembles – leert sich.
Im pink-farbenen hautengen Overall und mit Turban stakst eine Diva in Richtung des links stehenden Schreibtisches. Frl. Hahnkamper, eine Wiener Jazz-Sängerin und Lyrikerin, überrascht nicht nur mit ihrem so unbescheidenen Auftritt, sondern auch, und das geradezu kontrapunktisch, mit ihren dadaistischen Satz- und Wortfetzen, die sie „Ein Goldfisch im November“ überschreibt. Schuppen, Geistertrommeln, Gischt spritzt aus dem Asthma-Spray. „Ich bin ein Goldfisch und trinke Ingwertee.“ Die Musiker reagieren. Free-Jazz. Sie kratzen und sägen auf den Saiten, blasen in Mundstücke, zwei Tänzerinnen betreten/befahren die Bühne, beginnen sich auszuziehen, Frl. Hahnkamper macht ein erotisches Trio daraus. Das kommt an. Befreites Lachen. Die Musik geht in den Blues. Eine Frau isst eine Rose. Frl. Hahnkamper zitiert ihre Verse nun im Wiener Slang, lasziv performt sie ihre Worte, mit Witz und Verve. Ein Genuss.
Nach der Pause, die Poeten sollen Text improvisieren, werden Omars Haare gewuschelt, während er versucht, zu schreiben, er rezitiert und singt auf arabisch. Frl. Hahnkamper bekommt Besuch auf dem Tisch, Klezmer erklingt, gelöste Heiterkeit macht sich breit. Man neckt sich, jazzige Klänge werden von schöner, reiner Solo-Gitarre unterbrochen, Frl. Hahnkamper ist nur noch DaDa. Beinahe nahtlos geht es über in den dritten, abschließenden Teil des Abends, den für alle offenen Tanz-Boden, zur Musik der drei auch miteinander wunderbar sensiblen, vielseitigen und instrumental brillierenden Musiker.
Kommunikation und Interaktion zwischen Text, Musik und Bewegung auf der einen Seite, zwischen Menschen mit verschiedenen Körpern und den ihnen eigenen Fähigkeiten, Ausdrucks-Möglichkeiten und -Formen andererseits, Unvorhersagbarkeit des sich Entwickelnden und sich Ergebenden, sich spüren und aufeinander zu- und eingehen, entstehen lassen mit Empfindsamkeit und Respekt, und am Ende tief berührt sein von der Vielfalt und dem Reichtum des Lebens, so wie es sich bewegt, wie es klingt und wie es spricht. Das war dieser Abend.
„Jattle Bam + Poetry“ (Konzept: Frans Tormer, Christine Schatz, Vera Rosner - Dance Ability, am 28. November 2018 im Off Theater Wien