Er rüttelt auf: die elektronischen Soundeffekte hämmern unbarmherzig auf das Publikum ein. Er beruhigt: mit Bildern voller Poesie und menschlicher Wärme. Mit „Grand Finale“ hat Hofesh Shechter seine „Lehrjahre“ abgeschlossen, hat die perfekte dynamische Mischung zwischen diesen beiden Polen gefunden und mit einem hochkarätigen Team umgesetzt. Das Ergebnis: Tanz als (Über-)Lebensstrategie und ästhetische Forschung gleichzeitig.
Hofesh Shechters außergewöhnliches Talent hat ihn seit seinen choreografischen Anfängen schnell zum Superstar der zeitgenössischen Tanzszene gemacht. Nicht nur, dass hier einer am Werk ist, der einen neuen Bewegungsmodus vorstellte; nicht nur, dass dieser auch seine eigene Musik komponierte; dieser junge Choreograf ist ein großer Theatermann, der mit seinem Tanz Riesenbühnen zu füllen vermag. Was auf diesen passiert, ist episch, drängend und ehrlich.
All das findet in „Grand Finale“ seine Bestätigung. Shechter hat darin die vorläufigen Ergebnisse seiner bisherigen Recherche in einer großartigen, reifen Arbeit gebündelt. Die Bühnenelemente von Tom Scutt bewegen sich als Teil der Choreografie lautlos schwebend über die Bühne, schaffen im Zusammenspiel mit dem präzisen, außergewöhnlichen Lichtdesign von Tom Visser immer wieder neue Raumsituationen und Handlungsspielräume, sind Grenzmauer, Klagemauer, Gefängnis oder einfach Raumteiler.
„Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren.“ Pina Bausch‘ dringende Aufforderung findet bei Hofesh Shechter ihren kongenialen Nachhall. Die Bewegungen perlen vom Zentrum in die Gliedmaßen, vom Kopf bis zum Fuß winden sie sich durch die Tänzerkörper in ständigem Fluss, in stetigen Verwandlungen, Anpassungen, Verwerfungen – und das mit unglaublichem Tempo. Die körperliche Durchlässigkeit, die er ehemaliger Tänzer der Batsheva Dance Company mit Naharins Gaga-Stil erfahren hat, prägt auch Shechters tänzerische Arbeit.
Durch die Zusammenarbeit mit Nell Catchpole und Yaron Engler wurde Shechters musikalischer Score zu einer differenzierten Klangkulisse, die die Dringlichkeit der choreografischen Bilder unterstreicht. Im Gegensatz zum legeren Outfit der TänzerInnen, sind die MusikerInnen, die als Teil der Choreografie ihre Plätze auf der Bühne ständig wechseln, ganz formal mit Frack und weißem Hemd gewandet.
Klar, auch dem „Grand Finale“ haftet die düstere Grundstimmung, die Shechters Werk kennzeichnet an, aber er bricht sie immer wieder mit hellen Momenten, mit verrückt-heiteren Intermezzi auf. Assoziationen an Kubricks „2001“, an militärische Anordnungen, an traditionelle Volksfeste, an Parties, an Straßenkämpfe, an Krieg … drängen sich mir auf. Doch „Grand Finale“ ist weit mehr als eine Reihe von Anspielungen. Es ist ein Abbild der Conditio humana mit all ihren Licht- und Schattenseiten. Und es löst damit eine Ansage ein, die auf der Hofesh-Homepage zu finden ist: „Wir tanzen um zu erfahren, wie es sich anfühlt, nicht nur zu leben, aber lebendig zu sein. In unserer Arbeit wollen wir uns und unser Publikum bewegen, über die Vernunft hinaus.“
Und das machen die zehn TänzerInnen so überaus begreifbar, dass man nach 100 Minuten Intensiverlebnis noch gerne mehr sehen würde. Großartig!
Hofesh Shechter Company „Grand Finale“ am 31. Jänner 2019 im Festspielhaus St. Pölten