Diese Geschichte sei autobiografisch, beginnt Leonie Wahl ihre Erzählung: Von der Mutter, die eine Telefonzelle betritt und aus ihr komplett verändert herauskommt – nach ihrer ersten psychotischen Episode. Die gestischen Bewegungssequenzen, mit denen sie ihre Familie bis zu dem traumatischen Ereignis skizziert, werden sich den ZuseherInnen einprägen, als Anker in der Welt des Wahnsinns.
Immer wieder werden wir Leonie, die Schwester, die Mutter und den Moment der Verwandlung in den Wiederholungen erkennen.
„This is what happened in the Telephone Booth“ ist der Titel des Stückes in dem Leonie Wahl zusammen mit vier Tänzer- und SchauspielerkollegInnen versucht, diesem lebensprägenden Event eine künstlerische Form zu geben. Das Ergebnis in der Regie von Ernst Klaus Weigel ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.
Das Bühnenbild besteht aus einer Telefonzelle, die, von innen beleuchtet ist und deren Wände dehnbar sind. Die damit erzielten Effekte illustrieren die aus den Fugen geratene Wahrnehmung der schizophrenen Mutter ebenso wie die Verwirrung der Tochter, die durch ihre gackerlgelben Haare im Ensemble hervorsticht. Die vier weiteren DarstellerInnen (Hannah Timbrell, Kajetan Dick, Gerald Waisberger und Michael Welz) verkörpern jeweils unterschiedliche Facetten einer Persönlichkeit, die durch die Krankheit ihre Integrität eingebüßt hat. Sie betreten die Telefonzelle und kommen verändert heraus. Teilweise mit durchaus komischen Resultaten. Der immer wieder aufflammende Humor schafft in diesem Szenario des Unheils, der Gewalt und der Verwirrtheit, so etwas wie Inseln der Entspannung.
Das geheimnisvoll-bedrohliche Klangambiente liefert der elektronische Soundscape von Asfast, das auf der Bühne von den vielfältigen Stimmäußerungen von Tamara Stern ergänzt wird: da klopft es, zischt es, steigert sich das Pochen unheilvoll, wird der Schrei in der Kehle erstickt.
Es ist immer ein heikler Balanceakt, das eigene Privatleben zu inszenieren. In „This is what happened in the Telephone Booth“ gelingt es jedoch, das künstlerische Ergebnis von der Person zu lösen. Bei aller Empathie, die man als Zuseherin für die Tochter empfindet, ist man hier weit von einem Betroffenheitstheater entfernt.
Das Team schafft dies durch Dissoziation, die heute als Inszenierungmittel gang und gäbe ist. Doch in diesem Fall ist die Methode vom Thema vorgegeben bzw. mit ihm deckungsgleich. Die Verfremdung geht sogar so weit, dass man am Ende nicht mehr sicher ist, ob diese Geschichte tatsächlich autobiografisch ist. Erst ein Blick in das Programmheft bestätigt, dass Leonie Wahl tatsächlich ihr Leben preisgegeben hat während sie sich davon distanzieren konnte. Und darin liegt wohl das Wesen der Kunst, auch wenn sie selten so explizit auf Autobiografisches zurückgreift.
Die Tochter kann dem Wahnsinn der Mutter nur durch ihre Kunst entkommen, sagt sie, schreibt sie. Wenn sie zu einem frenetischen Tanz ansetzt, verschwinden die Dämonen in der Telefonzelle. Allein auf der Bühne zurückgeblieben, wird sie sagen: „And then, you expect, everyone is going: ‚wow‘.“ Das Licht erlischt.
Doch erst nach einer längeren Pause setzt der Applaus ein. Kein „Wow“-Erlebnis, aber eines das uns nachdenklich zurücklässt.
Leonie Wahl / Bernhard Ensemble: „This is what happened in the Telephone Booth“ am 16. November 2019 im Off Theater Wien. Weitere Vorstellungen, täglich von 21. bis 30. November