Vieldeutige Bilder und dennoch klare Statements packt Elisabeth Bakambamba Tambwe in ihre im studio brut als österreichische Erstaufführung präsentierte, zwischen Performance, Installation und Ausstellung angesiedelte interaktive Arbeit „Carré Noir“. Von eben jenem „Schwarzen Quadrat“ von Kasimir Malewitsch inspiriert, konfrontiert sie spielerisch-subversiv Wahrnehmungen mit (verborgenen) Wirklichkeiten.
„Le Radeau de la Meduse“ (Das Floß der Medusa) titelt Elisabeth Tambwe ihre Installation im Foyer des studio brut. Mit harten, geringelten Plastikschläuchen kämpft die in Blaumann und High Heels gekleidete, mit blonder Langhaar-Perücke sich selbst verleugnend europäisierte Afrikanerin gegen ihren Untergang. (Die in der Demokratischen Republik Kongo geborene E. Tambwe wuchs in Frankreich auf, studierte dort bildende Kunst und Bildhauerei und lebt und arbeitet in Wien.)
Mit ein paar Taschenlampen bewaffnet begibt sich das Publikum hernach in das vollkommen eingenebelte Untergeschoss. Hier beginnt die Interaktion zwischen den ZuschauerInnen einerseits (nur menschliche Schemen bevölkern anfangs den Raum) und mit den beiden PerformerInnen andererseits. Ein zotteliges Fabelwesen hüpft im Stroboskop-Licht und bei krachendem Sound durch Nebel und Menge, schaut in die Gesichter. Die Hinzuziehung des in der Elfenbeinküste geborenen queeren Schauspielers Eric Abrogoua erweist sich als Glücksgriff. Seine Ausstrahlung, Präsenz und Intensität im ZuschauerInnen-Kontakt, in Darstellung, Gesang und Tanz würzen das Stück wesentlich. Wenn er sein schwarzes Gesicht in ein an die Wand projiziertes Viereck aus Licht stellt, angstvoll aufgerissene Augen aus diesem schwarzen Quadrat schauen, erwürgt dieser Schrei das Schmunzeln ob der beißenden Ironie dieses Bildes.
Und wenn sich Elisabeth Tambwe mit ihrer Arbeitskleidung auch des Images der sexy Sklavin entledigt und ihre braune Faust durch eine in ihre bunten Leggings eingearbeitete Rüschen-Rosette ins Außen schiebt, schlägt sie damit ein mögliches Konzept der Vergangenheits- und Gegenwarts-Bewältigung vor. Und wenn sie ihre blonden Kunsthaare in einer wassergefüllten Tonne nässt und, den Kopf schleudernd, damit eine große weiße Leinwand bespritzt, zielt die bildende Künstlerin doch nicht etwa auf Höchstpreise erzielende großformatige Klecksereien weißer Maler ab? Ich bin mir da nicht sicher ...
Vom gleißenden Scheinwerferlicht erst durch die Körper einbezogener ZuschauerInnen abgeschirmt wird das auf den Boden projizierte Gemälde „Das Floß der Medusa“ des französischen Malers Théodore Géricault, wenigstens bruchstückhaft, sichtbar. Dieses 1819 entstandene, etwa 5x7 Meter große Bild zeigt die Schiffbrüchigen der „Méduse“, einer 1816 vor Westafrika aufgelaufenen französischen Fregatte, dorthin entsendet nach der Rückgabe der englisch besetzten Kolonie Senegal an Frankreich. Die auf dem - aus den Trümmern des Schiffes gebauten - Floß „Geretteten“ verfielen alsbald in Kannibalismus. Nur 10 Prozent überlebten. Wer in das Dunkel unserer Schatten (tiefenpsychologisch die ungeliebten, verdrängten Persönlichkeitsanteile) schaut, blickt in die Abgründe einer sich selbst kannibalisierenden Menschheit … Brillant.
Die im aktuellen Kunstschaffen so präsente Dystopie überwindet das Stück mit einerseits widerständig-kämpferischer Attitüde (Eric Abrogoua entwindet sich dem schwarzgesichtigen Quadrat und zieht fäustereckend durch die Masse), andererseits mit Andeutungen afrikanischer, auch ritueller Tänze und freien Selbstausdruckes. Ja, es gibt Hoffnung. Und er zeigt, dass des einen Freiheit manchmal auch das anderen Unfreiheit ist. Das erst seine Brust umschließende Klebeband schnürt bald die Menge ein.
Das Ende offen gestaltend reicht uns Elisabeth Tambwe noch ein besonderes Schmankerl. Ein weiß flimmernder Bildschirm, betrachtet durch mit ihrem Gesicht beklebte Papp-Masken mit foliertem Augen-Schlitz, zeigt eigentlich ein Video ihres Körpers in Nah-Aufnahme. Durch ihre Augen betrachtet sehen wir ihre Finger, die Vertiefungen kneten. Nabel? Rektum? Der Welt? Köstlich!
„Carré Noir“ hinterfragt und entlarvt in hochkomplexen Bildern und auf mehrdeutige, teils bitter-bissig ironische Weise Identitäts-Modelle und Integration als solche, die sich auf die Verleugnung von geografischen und ethnischen Herkünften, kulturellen und sozialen Prägungen, sexuellen Orientierungen und ästhetischen Konformismus gründen. Und die Arbeit schlägt Transformation als überwindende Initiative vor. Sie fordert Demut gegenüber dem Sichtbaren, behutsames Urteilen. Denn Realität entsteht in uns. Schließlich gibt sie uns die Möglichkeit, unsere Projektionen als solche zu erkennen und uns anhand dieser uns selbst zu offenbaren.
„Carré Noir“ von Elisabeth Bakambamba Tambwe, am 8. Jänner 2020 im studio brut.