Mit seinem Eröffnungsprogramm spielt sich der Dschungel Wien in die Herzen des Publikums – generationenübergreifen. Sei es in „Tohuwabohu“ von DasCollectif oder „The Returen of Ishtar“ mit den Lovefuckers, es sind die Darstellerinnen, die uns mitreißen, träumen lassen oder kämpferisch stimmen. Irina Pauls („Tohuwabohu“) und Corinne Eckenstein („The Returen of Ishtar“) haben dabei großartige Regiearbeit geleistet.
Corinne Eckenstein, künstlerische Leiterin des Dschungel Wien, will der Pandemie trotzen und dem Ausnahmezustand, in den unsere Welt durch sie geschlittert ist, etwas entgegensetzen: Kunst und Kultur, besonders für ein junges Publikum. 61 Produktionen, davon 37 Premieren stehen in insgesamt 512 Aufführungen in dieser Spielzeit auf dem Programm. Und: „Ich will keine davon absagen müssen“, gibt sich Eckenstein zuversichtlich bis angriffslustig. In diesem Sinne bemühte sich das Theater sehr, dass die Corona-Maßnahmen eingehalten werden, was bei dem Publikumsandrang am Eröffnungsabend gar nicht so einfach war. Künstlerisch setzte dieser Einstieg jedenfalls die qualitative Latte sehr hoch.
„Tohuwabohu“
Gemäß dem Titel geht es drunter und drüber, wenn Sara Wilnauer, Magdalena Eidenhammer, Viktoria Wirth, Alina Reißmann, Johanna von Bibra über die Bühne toben, Instrumente entdecken und darauf herumzupfen, schlagen, streichen oder in sie hineinrufen. Nach gefühlten zehn Minuten gebe ich es auf, einen Anker zu finden, um den sich das Geschehen – vor einem Hintergrund aus Stadtgeräuschen – vielleicht verdichtet. Sechsjährige kapieren das vermutlich schneller als ich. Sobald man sich jedoch auf das bunte Treiben einfach einlässt, wird man in eine Welt der verspielten Kreativität entführt. Lediglich einmal kommt so etwas wie eine Geschichte auf, wenn Alina Reißmann das Gefühl des Ausgeschlossen-Seins tanzt und von ihren Kolleginne mit entsprechenden Soundbites begleitet wird.
Die jungen Akteurinnen, alle Absolventinnen des Orff-Institut am Mozarteum Salzburg sind mir ihren reichhaltigen Talenten, ihrer Authentizität und Natürlichkeit einfach fesselnd. Sie singen (besonders beeindruckend die Sopranistin Johanna von Bibra), tanzen, spielen und jodeln. Dann gehen sie im Gänsemarsch zum rhythmischen Publikumsklatschen ab.
Was oft das Ende ist, ist hier jedoch der Auftakt für das Highlight der sechzigminütigen Tanzstückes: Denn nun outet sich Sara Wilnauer sogar als coole Trompeterin und das Ende ist ein jazziges Fade Out … Keep swinging.
Das alles passiert mit einer humorvollen, sympathischen Leichtigkeit. Denn das Durcheinander ist unter der erfahrenen Leitung der Choreografin Irina Pauls eingebettet in eine sorgfältig konzipierte Form. Da tauchen Details auf ohne dass man mitbekommen hat, wie sie passierten. Wer hat etwa die Bodenfließen mit unterschiedlichen Motiven dort hingelegt, wo früher nur schwarz war? (Bühnenbild: Ragna Heiny)
„Tohuwabohu“ ist für ein Publikum ab 6 Jahren empfohlen und es begegnet den jungen Zuseherinnen auf Augenhöhe. Das Stück gibt nichts vor, sondern lässt viel, viel Raum für die eigene Fantasie – und stellt damit einen Anspruch, der in unseren digitalen Zeiten generell zu kurz zu kommen droht.
„The Return of Ishtar“
Die zweite Premiere des Eröffnungsabends, eine Ko-Produktion von Dschungel Wien, mit der Berliner Gruppe Lovefuckers und dem TJG – Theater Junge Generation in Dresden, wendet sich an ein Publikum ab 13. Hier fordern die Akteurinnen unter der Regie von Corinne Eckenstein die Jugendlichen zu einer Auseinandersetzung über eine Veränderung der Welt heraus.
Die DNA der Universalgöttin Ishtar soll alle Menschen infizieren und damit für eine gerechtere Welt sorgen. Ishtar, die Göttin der Apokalypse, ist dabei selbst durchaus widersprüchlich, hat unterschiedliche Erscheinungsformen, transzendiert mühelos Geschlechtergrenzen, ist bereit für den Kampf, aber auch für die Liebe. Jedenfalls lautet die Aufgabe an die Frauen sich eine neue Zukunft nach ihren Wünschen zu erobern.
Das überfordert natürlich. Die drei Frauen auf der Bühne versuchen sich erst an Vorbildern der Vergangenheit, graben Terroristinnen wie Ulrike Meinhof oder Leila Chaled aus, stellen aber bald fest, dass die Idole von gestern heute auch nicht funktionieren. Dann versuchen sie es, indem sie Kinder bekommen („Das ist mir zu radikal“, sagt eine von ihnen dazu). Jedenfalls geht den Bier-saufenden Männer angesichts der weiblichen Macht von Ishtar ganz schön die Muffe. Am Ende werden die Versatzstücke des Bühnenbildes zusammengesetzt: Ishtar erstrahlt als überlebensgroße goldene Gestalt.
Die Geschichte von Ishtar und der Suche nach einer anderen Welt wird damit jedoch nicht aufgelöst. Sie soll vielmehr eine Debatte darüber in Gang setzen, welche Mittel legitim einzusetzen sind, um die Welt zu verändern. Die klugen Texte und das schnelle, schlagfertige Spiel, eigebettet in eine wundersame Ausstattung, provozieren und zelebrieren diese Diskussion überaus lustvoll.
Anna Menzel, Ivana Sajevic und Annemie Twardawa sind ein hinreißendes, vielseitiges Team, deren Performance (mit Texten, Bewegungssequenzen, Puppenspiel oder Lautmalerei) das Publikum leichten Herzens auf diese Zeitreise vom archäischen Patriarchat bis hin zur weiblichen Dominanz nimmt. Ohne Ideologie, ohne moralischen Unterton, statt dessen aber mit sehr viel flapsigem Spaß!
DasCollectif & Dschungel Wien: „Tohuwabohu“, Premiere am 24. September 2020 im Dschungel Wien. Weitere Vorstellungen täglich von 25. bis 28. September 2020 und von 24. bis 28. Jänner 2021 im Dschungel Wien.
Lovefuckers, Dschungel Wien & TJG. Theater Junge Generation: „The Return of Ishtar. Eine andere Welt ist möglich“, Premiere am 24. September 2020 im Dschungel Wien. Weitere Vorstellungen täglich von 25. bis 29. September , von 16. bis 18. Dezember 2020 und von 3. bis 5. März 2021.