Zu ihrem zehnten Geburtstag und mit ihrem 14. Stück stellen sie sich der Klimakrise und ihrer Verantwortung für sie. Jede(r) auf seine Weise, aber alle auf und aus gleichem Grund. Begleitet von drei Musikern spielen sich die vier SchauspielerInnen des E3-Ensembles in ihrem neuesten Stück äußerst humorvoll in die Tiefen vierer individueller, die eigene Verweigerung virtuos rechtfertigender Argumentationslinien.
Sehr vielen der vielen Arbeiten, die sich als Theater, Tanz und/oder Performance des Themas Klimawandel annehmen, mangelt es an Schwere und dick aufgetragener Bedeutsamkeit mitnichten, dafür um so mehr an Selbstironie. Die jedoch ist das Gleitmittel, das diesem Stück den Weg in die Herzen und Hirne der ZuschauerInnen schmiert. Das E3-KünstlerInnen-Kollektiv um die SchauspielerInnen Isabella Jeschke und Gerald Walsberger und den Bühnenbildner, Komponisten und Performer Sebastian Spielvogel forschte gemeinsam mit den SchauspielerInnen Rina Juniku und Leon Lembert und den drei Musikern Dominik Essletzbichler, Daniel Neuhauser und Tobias Pöcksteiner an den persönlichen Urgründen der so fein beobachteten, durch die Klimakrise induzierten vielfältigen inneren und äußeren Konflikte der Menschen.
Von den nicht mehr zu ignorierenden Auswirkungen des bereits in vollem Gange befindlichen Klimawandels auf die Bühne getrieben geraten diese vier uniform gekleideten Individualisten heftig aneinander mit ihren Meinungen, Überzeugungen und Glaubensgrundsätzen. Sie zeichnen vier komplexe, widersprüchliche Charaktere, deren Persönlichkeits- zu einem psychologischen Profil gerät. Trotz oder vielleicht gerade wegen ihres Vorsatzes, nicht psychologisieren zu wollen. Leon, sie nennen sich bei ihren realen Vornamen, sucht mit imitierten Vogelstimmen Kontakt zu Geflügeltem da oben. Er erweist sich später als aufmerksamer Schüler, wenigstens im Physik-Unterricht. Leistung und Arbeit, Watt und Watt-Stunden erklärt er souverän. Isabella zeigt Empathie mit Kindern und empfiehlt Gerald „Dann stirb einfach!“ Gerald, der das ganze Stück hindurch seinem doch nicht verdrängbaren unguten Gefühl seiner Selbst eine gute Miene aufzusetzen versucht – sein virtuoses Spiel mit einem Krampf von Lächeln ist eine Schau – verteidigt seine Leidenschaft für kolumbianische Bananen mit faschistoider Attitüde. Und fordert immer wieder: „Wir müssen reflektieren!“ Und mehrmals: „Wir werden alle aussterben. Aber ich hoffe, wir sind tot, wenn es passiert!“ Rina belügt ihre KollegInnen zweimal. Und natürlich sich selbst. Aber sie will Kinder kriegen und hasst die Gier der Reichen.
Das Spektrum der Themen, die sie ansprechen, ist gewaltig. Isabella unterzieht ihren Fußabdruck vergleichenden Betrachtungen und ist höchlichst erfreut über ihren unterdurchschnittlichen Emissionsbeitrag. Kinder und ihr künftig schädlicher Beitrag fürs Klima: Adoption als Option. Die Sabotage von Schneekanonen geht gerade nicht, sie hat anderes zu tun. Insektensterben und Wetterextreme - viel Wind aus den zwei Windmaschinen – und Rina schafft das Dauerlicht im Haus mit Bewegungsmeldern ab. Was ihren KollegInnen nicht enden wollenden Beifall abnötigt. Aber gelogen war's. Sie rutschen auf ihren Argumenten aus, schlittern in den nächsten Selbstbetrug. Mülltrennung und Biomüll und deren kolportierte Behandlung. Wir sind eine aussterbende Spezies, und Gerald gibt den Dino, lebensecht in Habitus und Ruf. Die anderen drei ängstigen sich. Zu Recht.
Zur Demo zu gehen ist ihm zu anstrengend, wenn er abends spielen muss. Seine Leistung mit der von Glühbirnen verglichen? Ein Novum, dass und wie auf der Bühne die Be-Deutung des Bühnenbildes und der Kostüme erklärt wird. Isabella spricht vom blauen Boden, vom steigenden Meeresspiegel, vom Land, dessen bewohnbare Fläche immer kleiner wird, je mehr der Schleim sich ausbreitet, von den Windmaschinen an der Seite und den zunehmenden meteorologischen Extremen, von den himmelblauen Kostümen, in denen sie Forschern oder Politikern ähneln wollen, vom barfüßigen Performen, weil sie sich erden wollen. „Wir sind alle in einem Raum!“ Das und das Zusammenschaben des Gleitgels auf dem Boden als „Versuch, Platz zu schaffen, wo man sich wieder aufhalten kann“, sei ihr Beitrag zur Klimakrise. Sie weint dabei und führt damit auch das Amüsement am Spiel der vier auf eben jenen rutschigen Boden.
Sie kämpfen bei lauter Rockmusik gegen die äußeren und inneren Sturmgewalten. Resignation, weil eh immer die selben zuschauen, Gefühlsvermeidung, denn die Kinder auf den Demos stimmen sie so traurig, Selbstmitleid, um kein Schild hochhalten zu müssen, Egomanie, mit der dieses Leben voll und ganz gewollt wird, Lustgewinn durch Fleischkonsum und Fliegen durch ganz Österreich, nicht nur nach Innsbruck. Rina schreit ihren Hass auf die Reichen, die den Hals nicht vollkriegen, mit Tränen in den Augen heraus und hinein ins Gedärm der Tribüne.
Rina fürchtet sich für die Anderen, für Gerald ist es höchste Zeit, Angst zu haben, Isabella empfiehlt das Sterben und Leon macht „Krah“. Früher war immer weiße Weihnachten. Klimawandel-Leugnung, Revolutions-Romantik, die Prostitution der Geldsüchtigen. Sie rutschen in die Verzweiflung. „Die Menschheit ist die weitest entwickelte Spezies im Universum, sie kann alles kontrollieren, nur die Klimakrise nicht!“ Oder sagt man weitetst entwickltst?
Den Verlust des inneren Gleichgewichtes, die Verunsicherung, wie man sich als Individuum positionieren und verhalten sollte angesichts dieser sich verschärfenden Krise, fassen sie in Skurrilitäten, Absurdes, Überdrehtes und Überzeichnetes. Mit einem zuweilen schnell kippenden Duktus, der, nicht nur wegen der echten Tränen, die den beiden Frauen ihre Augen und vielleicht auch eins im Publikum anfeuchten, dieses Stück zu einem vorläufigen Höhepunkt in der E3-Ensemble-Geschichte macht. Brillant gespielt, hochdynamisch, vielschichtig, voller Witz und Ironie und bei alledem berührend.
Das Lustprinzip und rücksichtslos ausgelebter Egoismus werden mannigfaltig „In Arbeit“ gekleidet. Ihre Argumente sind die Rationalisierungen einer entsolidarisierten Gemeinschaft von Menschen, deren konsolidierte Egozentrik jede Hoffnung naiv erscheinen lässt. Es ist keine Dystopie, die dieses Stück entwirft. Es ist sein Realismus, der einen am Ende, wenn der Wind immer stärker weht und die Musik ihre wütenden Dissonanzen ins verlöschende Licht dröhnt, so traurig stimmt. Doch weil es Menschen sind, die Menschen spielen da auf der Bühne, voller Kraft und Leben, voller Widersprüche und Sehnsüchte, deswegen bleibt ein Rest von Hoffnung.
Das E3-Ensemble mit „In Arbeit“ am 12.05.2023 im DAS OFF THEATER Wien.