Dass sich Tamara McLorg auf Community Dance spezialisiert hat, ist eher dem Zufall bzw. einer kulturpolitischen Wende in Großbritannien zu verdanken. Seither hat sie die zeitgenössische Tanzpraxis in viele benachteiligten Regionen dieser Welt gebracht. In Wien wird die rührige Pionierin demnächst unter anderem ein Einführungssseminar in die Community Dance Praxis halten. Bei Tanz Bozen leitet sie einen choreografischen Workshop.
Tamara McLorg ist gefragt, sei es als Trainerin, Choreografin und auch gelegentlich als Soloperformerin, wie kürzlich in Kathmandu. In diesem Jahr sind ihre weiteren beruflichen Stationen Berlin, Portugal, Mexiko, Bethlehem, Bozen, Wien, Leeds und London. Dass die britische Choreografin für Projekte mit Jugendlichen, SeniorInnen und Menschen mit Behinderung immer wieder engagiert wird, liegt einerseits an ihrer Empathie und ihrer choreografischen Erfahrung, vor allem aber an ihrer Leidenschaft, mit der sie Menschen durch und für den Tanz überzeugt und begeistert.
Von Repertoirecompagnien zur Arbeit in der Community
In den späten 1970er Jahren förderte der Arts Council in Großbritannien vermehrt kulturelle Initiativen, die sich außerhalb der Ballungszentren entwickelten. Das hatte zur Folge, dass in ländlichen Gebieten Repertoirecompagnien entstanden, die einerseits ihr Publikum gewinnen mussten und andererseits Arbeit für junge Choreografen boten.
„All diese Compagnien haben ‚educational work’ gemacht. Die Idee war ursprünglich, durch ‚educational work’ ein Publikum aufzubauen. Damals gab es das Konzept nicht, dass die Community in Aufführungen beteiligt sein soll, sondern: ‚wir möchten, dass alle kommen und unsere Aufführungen sehen.’ Die Frage war also, wie bringe ich die Menschen dazu zu den Performances zu kommen? Geh hinaus, mache Workshops, erkläre die Arbeit und dann werden sie hoffentlich kommen um unsere wundervollen und außergewöhnlichen Aufführungen zu sehen“, kommentiert Tamara ironisch diese Versuche, mehr Zuschauer zu gewinnen „als die vier bis fünf Menschen, ein Schaf und einen Hund“, vor denen man in den frühen Jahren tanzte.
„Leider mussten wir aber entdecken, dass sie gar nicht so sehr daran interessiert waren, uns zu sehen, sondern es selbst zu machen. Die TeilnehmerInnen an den Workshops wollten auch TänzerInnen sein!“ Also war eine weitere Folge dieser Dezentralisierung das Entstehen von partizipativen Projekten, die heute als Community Dance auf der ganzen Welt Schule machen.
Dazu wurden in einigen Regionen Großbritanniens Dance Artists in Residence eingestellt, einen Posten den Tamara McLorg von 1986 bis 88 in Sterling in Schottland inne hatte. Zuvor war sie nach ihrem Studium an der London Contemporary School of Dance und in New York, wo sie sich vor allem choreografisch weiterbildete, vorwiegend als frei berufliche Performerin und Choreografin tätig. Fünf Jahre lang realisierte sie als Solotänzerin Projekte mit Künstlern aus anderen Sparten und zeigte sie auf nationalen Tourneen in ganz Großbritannien.
Kreatives Lernen
„Die 1970er und 80er Jahre waren es eine wirklich spannende Zeit. Alles war neu, alles war ein Lernprozess, kreatives Lernen sowohl als Performerin als auch im Community Kontext“, sagt Tamara. „Zuerst haben wir Graham Technik unterrichtet und als wir merkten, dass das nicht funktionierte, probierten wir andere Sachen aus. Als ich in Sterling anfing, mit Menschen mit Behinderungen zu arbeiten, wusste ich nicht, was ich tat. Ich hatte zuvor noch nie mit kranken Kindern zu tun. Am Anfang meiner Karriere war alles ‚trial and error’.“
Nach ihrer Tätigkeit in Sterling war sie sechs Jahre lang als Künstlerische Leiterin bei der Dundee Rep Dance Company engagiert, die 1986 von Royston Maldoom, einem bis heute beruflich wie persönlich engem Vertrauten Tamaras, als Community und professionelle Compagnie gegründet wurde und später in Scottish Dance Theater umbenannt wurde.
In ihrer Zeit als Senior Lecturer an der Middlesex University in London (1994 bis 2008), realisierte sie schließlich, dass ihr Herz ganz besonders laut für den Community Dance schlägt. „Erst im Rückblick erkannte ich, dass ich den Job in Sterling, wo ich als Choreografin ausschließlich in der Community gearbeitet habe, am meisten geliebt habe. Ursprünglich wollte ich nur choreografieren, Stücke machen, für wen war dabei zweitrangig. Aber dann erkannte ich, dass gerade die Herausforderungen in der Arbeit mit Amateuren für mich interessant sind, ob das nun Jugendliche oder ältere Menschen sind. Wie kannst du mit ihnen eine qualitätsvolle Arbeit machen? Wie kommst du zu dem Punkt, wo sie alles aus sich herausholen für eine Aufführung? Das fasziniert mich.“
Und auch die Frage, wie sie das jungen ChoreografInnen vermitteln kann. „Ich war in den letzten Jahren ziemlich oft Mentorin für junge KünstlerInnen und das wie wurde zu einer zentralen Frage.“ Denn obwohl Tamara McLorg im künstlerischen Anspruch bei der Arbeit mit Laien und professionellen Tänzern keinen Unterschied macht, so sagt sie dennoch: „Der Arbeit in der Community liegen spezielle Fähigkeiten und ein solides Handwerk ebenso wie eine eigene Philosophie zugrunde.“
Daher räumt Tamara auch ein, dass ihr der soziale Aspekt sehr wichtig ist, wenn sie mit minder privilegierten Gruppen arbeitet: „Das ist für mich fundamental, denn ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch ein Recht hat, in künstlerische Aktivitäten involviert zu sein. Denn die Kunst – und ich spreche hier nicht nur von Tanz, sondern auch von der bildenden Kunst oder Musik – ist eine Antwort auf ein seelisches Bedürfnis, und viele Menschen haben dazu keinen Zugang. Ich sage nicht, dass du glücklicher bist, wenn du aus einem privilegierten Background kommst, aber du hast zumindest die Möglichkeit, das zu entdecken. So viele Menschen haben diese Möglichkeit nicht, und daher ist für mich dieser Aspekt der Arbeit so wichtig. Ich hatte großes Glück, und alles, was ich weitergeben kann, ist durch den Tanz. Und darum geht es wohl: Das zu teilen, was du leidenschaftlich gerne machst.“
Demnächst in Wien und Bozen
In Wien war die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Choreografin 2007 Mitbegründerin von Tanz die Toleranz und stand der Caritas-Einrichtung in der Brunnenpassage im 16. Bezirk bis 2011 als künstlerische Leiterin vor. Bis heute ist sie dem Team um Monica Delgadillo verbunden geblieben und hat in ihrem beeindruckenden Terminplan für einen Besuch in Wien Platz gefunden – quasi als verspätetes 10-Jahres-Geschenk.
Bei ihrem Besuch wird Tamara McLorg mit dem Lehrer- und Choreografenteam von Tanz die Toleranz ein Stück einstudieren, das bei der Saisonabschlussaufführung gezeigt wird. Außerdem wird sie in einem eintägigen Workshop ihre Arbeitsphilosophie und –methode, sowie praktische Übungen und Strategien für den Aufbau kreativer Tanzworkshops und die wirksame Umsetzung von Tanzprojekten mit Laien vermitteln. Dieser Workshop ist offen für ChoreographInnen, TanzpädagogInnen, TänzerInnen, sowie für alle Menschen, die sich für Tanz im pädagogischen Kontext oder partizipativen Tanzprojekten interessieren. Und wer in einer Intensivwoche mit Tamara McLorg eine Choreografie erarbeiten will, der hat dazu bei Tanz Bozen die Gelegenheit.
Die Details:
Die Aufführung der Tanz die Toleranz Gruppen – Youth Dance Company, Youth Dance, Adult Dance sowie der Choreografie von Tamara McLorg für das Wiener Choreografenteam – findet am 21. Juni um 20 Uhr im Ankersaal Brotfabrik in der Absberggasse 27 im 10. Bezirk statt.
Ebendort finde auch der Workshop "Introduction to Community Dance Practices" am 23. Juni von 10 bis 17 Uhr statt (Objekt 19, 1. Stock, SUPERAR). Anmeldung per
Bei Tanz Bozen leitet Tamara McLorg den choreografischen „DanceWorks“-Kurs von 16. bis 21. Juli, dessen Ergebnis am 21. Juli im Stadttheater Bozen zur Aufführung kommt.