In Zusammenhang mit dem im Februar im Festspielhaus St. Pölten präsentierten Werk „Enter Achilles“ von Lloyd Newson sei daran erinnert, dass dieses Stück einigen Bezug zu Wien hat. Hier nämlich wurde es bei den Wiener Festwochen 1995 uraufgeführt. Hier brachte aber auch ImPulsTanz 2013 Newsons „John“ zur Uraufführung. Dazu kamen „The Cost of Living“ (ImPulsTanz, 2004) und „Can We Talk About This?“ (Tanzquartier Wien, 2011). Der Wienbezug des Choreografen geht jedoch weit darüber hinaus, denn die Wurzeln von Newsons Handwerk basieren auf der Wiener Tanzmoderne!
In den oft sehr umfangreichen Lexikoneintragungen des allgemein gefeierten Lloyd Newson – 2011 wurde er Ehrendoktor der Roehampton University, 2013 Officer des Order of the British Empire und 2016 vom United Kingdom Critics᾽ Circle zu einem der 100 einflussreichsten Künstler der letzten 100 Jahre gekürt – finden sich Informationen über Jahr und Ort der Geburt (1957, Albany, New South Wales, Australien) und sein Studium an der Melbourne University (Psychology und Social work). Eine frühe tänzerische Tätigkeit noch in Australien wird zwar immer erwähnt, erst sein Stipendium für die London Contemporary Dance School habe aber, so wird es mitunter kommuniziert, Newsons wahren Eintritt in die Welt des Tanzes ermöglicht. Wenige Artikel geben detailliert Auskunft über die Gegebenheiten von Newsons ganz frühem künstlerischem Wirken. 1977, heißt es da, habe er seine akademischen Studien von der Monash University an die Melbourne University transferiert. Der Grund dafür sei sein Wunsch gewesen, in Margaret Lasicas Modern Dance Ensemble zu tanzen, das an die Universität attachiert war.
Und sehr bald war Newson für das Ensemble der 1926 in Wien geborenen und 1939 zur Flucht nach Australien gezwungenen Choreografin und Pädagogin nicht nur tanzendes Mitglied, sondern selbst auch Choreograf. Die Arbeit des Ensembles im Allgemeinen wie die von der Ensembleleiterin geschaffene kreative Atmosphäre im Besonderen waren für Newson ganz offensichtlich von entscheidender Bedeutung für das eigene künstlerische Schaffen, an dessen Beginn bereits 1977 das für Lasicas Ensemble erarbeitete „Impasse“ stand; es folgten 1978 „Not-Me“ und 1979 „Marmus“. Newson schreibt:
„Working with the Modern Dance Ensemble has acted primarily as a form of catharsis, allowing me to express a wide range of personal thoughts and feelings. This is largely due to the merging roles of dancer and choreographer, which has always been a unique feature of the company.“
Margaret Lasicas künstlerisches Credo
Schon Newsons Bemerkung vom angestrebten Ziel eines selbst choreografierenden Tänzers, das heißt nicht nur reproduzierender, sondern auch eigenschöpferischer Künstler zu sein, bringt uns auf die richtige Fährte: Margaret Lasicas künstlerisches Credo ist in der mitteleuropäischen Tanzmoderne verankert. Denn während sich die in der Tanzklassik verwurzelten TänzerInnen meist damit begnügen, ausführende Instrumente anderer zu sein, ist es eines der Charakteristika der Moderne, TänzerInnen vom Beginn ihrer Laufbahn an zu eigener choreografischer Tätigkeit anzuspornen. In den kurzen Statements, die Lasica selbst als Leiterin ihres Modern Dance Ensemble in einer Programmbroschüre festhält, sind weitere typische Merkmale für ihre künstlerische Herkunft zu finden. Seit den frühen Sechzigerjahren sei es ihr und den Mitgliedern des Ensembles gelungen, sowohl in ihrer Arbeit für die Melbourne University wie für die Victorian Opera Company eine eigene Identität zu finden. Darüber hinaus sei sie an allen Aspekten des Tanzes an sich interessiert, Ensemblemitglieder kämen daher aus ganz verschiedenen tänzerischen Traditionen von Bewegungskulturen. Die Struktur des Ensembles sei daher völlig flexibel, dies ermögliche nicht nur eine künstlerische Vielfalt, sondern fordere auch größtmögliches Anpassungsvermögen. Das fertige Werk sei dann eine Gemeinschaftsarbeit aller Beteiligten, wobei jedes einzelne Mitglied sich mit Fragen der Werkanlage, der Struktur, dem Design und dem Sound auseinandergesetzt habe. Da das Ensemble immer wieder die Aufführungsbedingungen wechselt, stehe die Teilnahme von Ausführenden anderer theatralischer Künste – Schauspieler oder Sänger – an der Tagesordnung. So sei das Ensemble auch in der National Gallery aufgetreten, wo gerade die Ausstellung „Rodin and his Times“ ausgerichtet worden war. Regelmäßige Auftritte habe es seit 1972 gegeben, eines der ersten Programme sei „Kinetics in Time and Space“ gewesen. Dazu seien experimentelle Aufführungen zusammen mit Musikern gekommen. Das Ensemble sei nie eine normale Repertoiretruppe gewesen, sondern habe auch in Parks, Kirchen oder Straßen getanzt, wobei man bestrebt war, bestimmte Gemeinschaften und dabei auch Laien anzusprechen. Dazu habe man sich intensiv dem Educational und Community Dance gewidmet, wofür man jeweils eigene Programme entwickelt und diese auch in diversen Schulen und öffentlichen Einrichtungen gezeigt habe.
All diese Statements, die Lasica in der Programmbroschüre wiedergibt, wirken wie ein Resümee all jener Werte, die der mitteleuropäische Moderne Tanz entwickelt hatte. Dass man diese nicht in Österreich, sondern in Australien aufgreifen und in einem ganz natürlichen Entwicklungsprozess weiterentwickeln konnte, mag als ein der Vertreibung gefolgter Glücksfall gesehen werden. Ein Großteil der heimischen Tanzmoderne – zu der einige Hundert zählen – wurde Ende der Dreißigerjahre aus Wien verjagt und in alle Welt verstreut. Abhängig von der Tanzästhetik der neuen Heimat konnten die Vertriebenen unterschiedlich reüssieren. Zwei Länder waren es, in denen die Tanzmoderne nachhaltig auf fruchtbaren Boden fiel: Palästina und Australien.
Wiener Werte nach Australien getragen
In welchem Monat des Jahres 1939 die Familie Weiss Wien verließ, kann nachgeprüft werden. Inwieweit die zum Zeitpunkt der Flucht nach Australien dreizehnjährige Tochter der Familie Weiss, Margarete – die spätere Margaret Lasica –, in diesen frühen Jahren bereits mit Tanz in Berührung gekommen war, ist kaum mehr zu eruieren, gut möglich jedoch ist, dass sie identisch ist mit jener Grete Weiss, die 1935 in der Mädchengruppe von Gertie Tenger beim legendären Festspiel „Wien bleibt Wien“ im Wiener Stadion mitgewirkt hat. Auf jeden Fall ist aber davon auszugehen, dass dem Mädchen die Größen der Wiener Tanzmoderne geläufig waren, wurde doch sowohl der stilistischen Richtung wie ihren VertreterInnen begeisterte Beachtung geschenkt. Nach 1938 hatten viele der gerade noch Gefeierten das Land zu verlassen. Die Reichstheaterkammer, der, um aufzutreten oder unterrichten zu können, man seit 1938 gezwungen war anzugehören, untersagte jüdischen KünstlerInnen die Mitgliedschaft. Solcherart war man sowohl aus der Gemeinschaft der Kulturschaffenden wie auch aus der Gesellschaft an sich ausgesondert.
Die bekannteste unter den fliehenden Tanzschaffenden war Gertrud Bodenwieser (1890 Wien – 1959 Sydney), eine der Protagonistinnen des neuen Tanzes in Wien. Durch ihren Unterricht sowohl in ihrer Wiener Privatschule wie an der Akademie für Musik und darstellende Kunst, wo es ihr schon 1920 gelungen war, die Tanzmoderne auf akademischen Boden zu heben, nicht zuletzt aber durch ihre Auftritte mit einem eigenen Ensemble, war sie zu einer festen Größe in der Wiener Tanzlandschaft aufgestiegen. Bodenwiesers Unterrichtsangebot war, und dies unterschied sie von anderen VertreterInnen der Tanzmoderne, die sich auf jeweils eine bestimmte Richtung konzentrierten, besonders breit gefächert, die Lehren von François Delsarte, Bess Mensendieck, Émile Jaques-Dalcroze gehörten ebenso dazu wie jene von Rudolf von Laban. Nachdem Bodenwieser gezwungenermaßen ihre Stellung an der Akademie aufgegeben hatte, flüchtete sie im Mai 1938 gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Regisseur und Dramaturgen Friedrich Rosenthal, nach Frankreich. Mit einer von dort aus ad hoc zusammengestellten Tanzgruppe, deren Mitglieder die Wienerinnen Magda Brunner, Hanny Kolm und Poldi Peroutka, die Neuseeländerin Shona Dunlop, die Engländerin Hilary Napier und die Estin Hilja Luukas waren, führte die Flucht einen Monat später weiter nach Kolumbien.
Im August 1939 gelangte Bodenwieser nach einem Zwischenstopp in Neuseeland nach Australien, wo sie bereits ihr Stammensemble vorfand, das dank eines Engagements in einer J.- C.-Williamson-Revue, in der es Bodenwieser-Tänze darbot, seit Februar 1939 im Land war. Diesem Ensemble gehörten Bodenwiesers Wiener Tänzerinnen Emmy Steininger, Evelyn Ippen, Bettina Vernon, Melitta Melzer, Katja Georgiewa (eine gebürtige Bulgarin) und Katrin Rosselle sowie die Engländerin Anna Roth an. Bereits wenige Wochen nachdem Bodenwieser wieder über ihr nun um Dunlop und für einige Zeit auch um Kolm und Napier erweitertes Stammensemble verfügte, präsentierte sie es als „Bodenwieser Viennese Ballet“ im Minerva Theatre in Sydney. Noch im selben Jahr nahm sie auch ihre Unterrichtstätigkeit wieder auf.
Bodenwieser blieb bis zu ihrem Lebensende in Australien. Durch ihre pädagogische und choreografische Tätigkeit wurde sie zur bedeutendsten Exponentin des Modernen Tanzes in Australien. Ihr Ehemann jedoch wurde in Frankreich aufgegriffen, nach Auschwitz deportiert und 1942 ermordet. Bodenwiesers musikalischer Mitarbeiter, der mit ihr nach Australien gegangene Wiener Komponist Marcel Lorber, kehrte 1947 nach Europa zurück, ebenso die Ensemblemitglieder Ippen und Vernon. Zu den in Australien Verbliebenen zählte neben Steininger (Towsey) auch Lorbers Nachfolgerin als musikalische Leiterin des Bodenwieser-Ensembles, die Wiener Pianistin Dory Stern. Auch Hede Juer (die Halbschwester von Fritz von Herzmanovsky-Orlando), ein unabhängig von der Meisterin nach Australien emigriertes Mitglied von Bodenwiesers 1923 gebildeter erster Wiener Tanzgruppe, blieb in Australien sesshaft und setzte ihre schon in Wien ausgeübte Unterrichtstätigkeit in Tasmanien fort. Diejenigen Wienerinnen, die Bodenwiesers Ensemble verließen, wurden rasch durch eine nun aus Australierinnen gebildete neue Generation von Bodenwieser-Tänzerinnen ersetzt. Aber auch weitere Gruppenmitglieder mit Wienbezug kamen hinzu: Ann Pitsch, eine 1939 mit dreizehn Jahren emigrierte Wienerin, die ihre Ausbildung erst in Australien erfahren hat, und Vija Vetra, eine gebürtige Lettin, die in Wien Schülerin von Rosalia Chladek war und 1948 eingewandert ist.
Bodenwiesers Wirken wurde von dem deutschen Soziologen Alphons Silbermann, der Jahre der Emigration in Australien verbrachte, 1955 wie folgt beschrieben:
„One time member of an Academy as important as that of Vienna, she has become today, in spite of the most unfavourable circumstances, the prophet of the living dance in Australia, where without official or financial aid of any kind, with the sole support from her own pupils, she presents the double message of modern life and of humanity, with increasing success.“
Australien wurde aber nicht nur für Vertreterinnen der Wiener Tanzmoderne aus dem Bodenwieser-Kreis zum Zufluchtsort. Auch Schülerinnen von Grete Gross, die von 1925 bis 1938 neben ihrer ehemaligen Lehrerin Bodenwieser an der Akademie für Musik und darstellende Kunst unterrichtete, konnten in Australien Fuß fassen: Gerda Haas (geborene Gerda Bauer), die neben ihrem Studium bei Gross auch bei Mary Wigman und Gret Palucca in Deutschland ausgebildet wurde und an der Wiener Volksoper mit einer eigenen Gruppe auftrat, war seit 1939 in Victoria ansässig und begann 1942 am Physical Education Department der University of Melbourne zu unterrichten; von 1943 an erarbeitete sie mit ihren SchülerInnen Aufführungen von Volkstänzen und modernen Balletten; 1947 erschien ihr Buch „Folk Dances of Other Lands“. Auch Jean Dembicka (geborene Blanka Schönfeld) studierte bei Gross, wurde Mitglied ihrer Tanzgruppe und nahm weiteren Unterricht bei Harald Kreutzberg in Salzburg und Mila Cirul in Paris. Dembicka überlebte eine KZ-Inhaftierung und wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Australien aus (ihre letzte Wiener Arbeit war ein Tanzabend 1946 im Konzerthaus). In Sydney eröffnete sie 1947 eine Schule für modernen-, spanischen- und Theatertanz; sie tanzte und choreografierte für Musiktheateraufführungen und produzierte eine Reihe von Tanzwerken für australische Fernsehsender. Mit ihren SchülerInnen brachte sie Modern-Dance-Programme an der Sydney University heraus.
Einen Link zwischen der nach Palästina/Israel verpflanzten Wiener Tanzkultur und Australien bildet die gebürtige Wienerin Wera Goldman, die in Tel Aviv Mitglied der Tanzgruppe von Gertrud Kraus war, einer Bodenwieser-Schülerin, die schon 1935 nach Palästina ausgewandert war. Goldman trat von 1948 bis 1973 vielfach in Australien auf, befasste sich auch mit den Tänzen der Aborigines und war am Eröffnungsprogramm des Sydney Opera House beteiligt.
Der Kreis um Margaret Lasica
Zurück zu Margaret Lasica, wie Margarete Weiss nach ihrer Heirat in Australien hieß (am Beginn ihres Aufenthalts in Australien legte sich die Familie Weiss den Namen Wickham zu). Sie hat in Melbourne bei Ruth Bergner und Elisabet Wiener studiert. Für Wiener, die aus Deutschland stammte, waren die Elisabeth-Duncan-Schule in Potsdam sowie die Wigman-Schule und die Trümpy-Skoronel-Schule in Berlin bestimmend gewesen. 1934/35 tanzte sie mit dem Matray-Ballett in den USA, 1939 emigrierte sie nach Australien, wo sie ihre Schule gründete. Die in Wien geborene Bergner – Tochter des Schriftstellers Melech Ravitch und Schwester des Malers Yosl Bergner – war ab ihrem sechsten Lebensjahr in Warschau aufgewachsen, wo sie bei der Absolventin des St. Petersburger Jaques-Dalcroze-Institutes Tacjanna Wysocka studierte hatte und in deren Tanzgruppe aufgetreten war. Während einer Italientournee verließ Bergner die Gruppe, um 1936 ihrem schon 1933 nach Australien aufgebrochenen Vater zu folgen. Dieser hatte in der Kimberley-Region des Kontinents den Plan verfolgt, eine Ansiedlung als Zufluchtsort für Juden zu gründen. In Melbourne hatte auch sie bei Wiener studiert und ist in Kontakt zur Schule von Daisy Pirnitzer und Hanny Kolm getreten. Bergner gab Solotanzabende, choreografierte für ihre Gruppe und widmete sich überdies dem indischen Tanz. 1964 ging sie in die USA, wo sie tanzte und lehrte; sie verband nach ihrer Rückkehr nach Australien als eine der ersten australischen Pädagoginnen europäische und amerikanische Richtungen des Modernen Tanzes.
Lasicas Verbindung zum Bodenwieser-Kreis war durch die Schule von Pirnitzer und Kolm gegeben. Beide Schülerinnen von Bodenwieser, waren sie es, die mit der 1939 gegründeten School of Viennese Creative Dance den Bodenwieser-Stil nach Melbourne verpflanzten. Pirnitzer hatte in Wien an der Akademie für Musik und darstellende Kunst neben Bodenwieser bei deren Assistentin Elinor Ceranke-Hofmann studiert und war über Ungarn und die Schweiz nach Australien geflüchtet. Neben ihrer Unterrichtstätigkeit schuf sie zahlreiche Choreografien und Kostümentwürfe für Aufführungen der eigenen Schule. Überdies choreografierte sie für Produktionen der Melbourne University und lehrte und choreografierte am University Conservatorium. Nach ihrem Rückzug aus dem privaten Studio, das von Kolm weitergeführt wurde, unterrichtete sie an diversen Melbourner Schulen sowie am Kindergarten Teachers᾽ College. Kolm war in Wien ebenfalls Schülerin von Bodenwieser an deren Privatschule und an der Akademie für Musik und darstellende Kunst sowie bei Ceranke-Hofmann gewesen. Als Mitglied von Bodenwiesers Tanzgruppe war sie in Kolumbien und Australien aufgetreten. Nach dem Ausscheiden von Pirnitzer aus der gemeinsam geführten Schule gründete Kolm 1951 mit Margaret Lasica als Co-Direktorin die Modern Ballet Group. Nach Absolvierung von Laban-Studien in London widmete sich Kolm der Tanztherapie, lehrte auf Hochschulebene und eröffnete eine weitere Privatschule in Melbourne mit Fokus auf Wellbeing und Community Dance. Sie veröffentlichte zudem mehrere Fachbücher (unter dem Namen Johanna Exiner).
Lasicas tänzerische wie pädagogische Basis entstammte also zu einem gut Teil der Wiener Tanzmoderne, die sich nunmehr in Australien frei entwickeln konnte. Diese Weiterentwicklung betraf nicht nur den an sich sehr breit gefächerten Ansatz, sondern auch Neues, das durch weitere SchülerInnengenerationen sowie den geänderten kulturellen Raum ständig hinzukam. Lasica war eine von jenen, die diese Entwicklung vorantrieben. Sie choreografierte nicht nur für Kolms Modern Ballet Group und unterrichtete in ihrem eigenen, „Extensions“ genannten Studio, sondern auch in Einrichtungen wie dem Kindergarten Teachers’ College, Institute of Early Childhood Development, Teachers’ College und College of Advanced Education und Laurundel Psychiatric Hospital. All dies machte sie zu einer führenden Persönlichkeit der modernen Tanzszene in Melbourne. 1967 gründete sie das Modern Dance Ensemble, das, wie bereits ausgeführt, in enger Verbindung zur University of Melbourne und der Victorian Opera Company stand und bis 1981 permanent auftrat, danach sporadisch bis 1990. Margaret Lasica verstarb 1993 in Melbourne. Die Performancekünstlerin Shelley Lasica ist ihre Tochter. Die Margaret Lasica Collection befindet sich in der University of Melbourne, ihre tanzgeschichtlichen Manuskripte sind in der National Library of Australia aufbewahrt.
Weiterentwickeltes Erbe
Auf den ersten Blick gesehen, konnte die Plattform, die die australische Tanzmoderne der Siebzigerjahre dem schöpferisch interessierten Schüler bot, kaum reicher sein. Seitens der Gesellschaft eingebettet in ein grundlegendes Engagement für Tanz sowie der zitierten „double message of modern life and of humanity“, war es die an sich vorhandene Vielseitigkeit dieser Tanzmoderne, die es erlaubte, nunmehr die verschiedensten Wege einzuschlagen. Gleich, ob reine handlungslose Tanzetüde oder erzählendes Tanztheater, interpretierte Musik oder musikloser Tanz, Arbeiten für Universitäten oder Opernhäuser, Laientätigkeit oder hochspezialisierte Tanztherapie, allem, was aus der Tanzmoderne gewachsen war, kam gleiches Interesse zu. Die Tanzenden konnten sich, durch Wahrnehmung, Bewusstseins- und Körperbildung geformt, in welcher stilistischen Weise auch immer, frei bewegen. Völlig frei war auch die Wahl des Auftrittsortes.
Was nun, genauer besehen, hinzukam, war mindestens zweierlei. Das eine betraf die Erkenntnis, dass besagte Botschaft vom modernen Leben und der Menschlichkeit zwar eine angestrebte feste Größe war, diese sich aber letztlich als Utopie erwies. Denn die aus schönen Worten gefertigte Umhüllung, mit der man die Menschengemeinschaft zu ummanteln trachtete, erwies sich bald als löchrig. Mit einem Mal nahm man Einzelne wahr und damit jene, die sich durch ihr Fremd- oder Anderssein von der Allgemeinheit abhoben und dadurch am Rande der Gesellschaft standen oder dahin gedrängt worden waren. Wurden Gestalten solcher Art schon in der expressionistischen Phase der Tanzmoderne, das heißt in den Zwanzigerjahren, auf die Bühne gebracht, so änderte sich nunmehr – und damit wird die zweite Neuheit dieser Jahre genannt – der Blickwinkel der Geschlechter. Hatten seit der Entstehung der Tanzmoderne – mit wenigen Ausnahmen – Frauen entweder von ihren eigenen Anliegen und Gefühlen getanzt oder das ausgeführt, was andere Frauen für sie kreiert hatten, so traten nun in der Szene der Tanzmoderne, und dies nicht nur in Australien, Männer auf den Plan. Unter ihnen ist Lloyd Newson. Und so wie es der Losbrechphase von Neuem entspricht (Bodenwieser etwa hatte 1924 in Wien mit „Gewalten des Lebens“ ein markantes Beispiel dafür gegeben), gingen diese „Männerstücke“ mit größtmöglicher Power über die Bühne. Der Blick eines Mannes auf eine Schar von Männern, die sich damit die Zeit vertreibt, ihr „Mannsein“ zu zelebrieren, wird in „Enter Achilles“ gezeigt. Das Stück, das Newson gemäß den bei Lasica erfahrenen Arbeitsprozessen gemeinsam mit seinen Performern entwickelte, führt nicht nur die „Zwangsjacke des Mannseins“ vor Augen, sondern gibt auch die „Achillesferse“ preis, die Unfähigkeit der emotionalen Kommunikation. Das Stück ist: hochtheatralisch, physisch attackierend, provozierend, aggressionsgeladen, ausgrenzend, kräftemessend, im kämpferischen Spiel voll von körperlich verletzender Wucht, es demonstriert Einigkeit durch Komplizenschaft und cliquenhafte Rituale, ist spaßorientiert, hinterhältig und arglistig, zeigt Gruppenverhalten, Imponiergehabe, ist von athletischer Dynamik, wirkt mit seinem Alltagsbewegungsduktus wie beiläufig geschehend und gerade deswegen hochvirtuos und war überdies von einem Medium – der Bühne – in das andere – den Film – transferierbar; im Übrigen ist es von handwerklicher Exzellenz und klarem strukturellem Bau. Nicht nur Letzteres ist ein Echo der Wiener Tanzmoderne.
Auf Newsons Biografie zurückkommend, sei noch erwähnt, dass ihm mit der 1986 in London gemeinsam mit Nigel Charnock gegründeten Kompanie DV8 Physical Theatre der internationale Durchbruch gelang. (DV 8 leitet sich ab von „Dance“ und dem Format „Video 8“.) „Enter Achilles“ aus dem Jahr 1995, das bisher in 18 Ländern gezeigt wurde, war die erste Produktion seiner Kompanie, die Newson in Australien vorstellte (Adelaide Festival 1996). Die neben vielen anderen Preisen mit einem Prix Italia und einem Emmy Award ausgezeichnete Filmversion entstand 1996, ein erstes Revival des Stücks erfolgte 1997, im Re-Revival 1998 war mit Chris Haring auch ein Österreicher unter den Mitwirkenden.
Die jetzt von Rambert & Sadler’s Wells präsentierte Recreation hat im Rahmen einer Arbeitsresidenz am 14. Februar 2020 im Festspielhaus St. Pölten Premiere. Es folgen Aufführungen in Athen, Berlin, Adelaide, Luxemburg, Oslo, Budapest, London, Salford und Barcelona. Ein Hinweis der Produzenten für das Publikum (15+) lautet: „Performance includes depictions of violence, sex and drug use, adult themes, nudity and strong language“.
Dank für Recherche ergeht an Dr. Severin Matiasovits (Archiv der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien).