KRAWUMM! Mit einem elektronischen Paukenschlag begann die neue Saison im Festspielhaus St. Pölten. Die GöteborgsOperans Danskompani führt anhand von Choreografien von Hofesh Shechter und Sharon Eyal wieder einmal vor, wie spannend der Tanz aus Israel am Puls der Zeit ist. Die beiden völlig konträren Tanzidiome auf unterschiedlichen Energieniveaus repräsentieren darüber hinaus auch Gesellschaftsmodelle entlang der Spaltungslinien westlicher Gesellschaften.
Hofesh Shechter ist aufmüpfig. Nein, das ist ein zu niedliches Wort. Er ist selbstbewusst rebellisch. Und so ist sein ironisch tituliertes Stück „Contemporary Dance“ auch als ein signature piece zu verstehen. Denn in der Tat hat der nunmehr in London wirkende Shechter den zeitgenössischen Tanz radikal verändert. Wie keinem anderen gelingt es ihm das Idiom populärer Stile von der jüdischen Folklore bis zu heutigen Disco-Moves in einen aufregenden, aufwühlenden Bühnentanz zu übersetzen. Und dieser ist ein Ganzkörper-Erlebnis. Shechters politisches Statement setzt auf die Gruppe, die er in dieser scheinbar anarchistischen Tanzsprache so genial in synchron geordnete Bahnen lenkt. Gleichzeitig profilieren sich dabei die Tänzer*innen als Individuen, jede*n einzelnen nimmt man hier wahr, Persönlichkeit ist Trumpf.
In fünf Teilen, deren Titel zu Beginn eingeblendet werden, bringt Shechter jeweils neue Bewegungsmotive zum Einsatz. Die Musik hat er dazu selbst komponiert, sein Humor schimmert immer wieder durch. Unter dem Titel „Contemporary Dance“ ist es erst einmal für einige Zeit dunkel und still, bevor barocke Klänge ertönen. Doch der Tanz, das ist Shechter pur. Im letzten Teil „The end is near“ gibt es zu Frank Sinatras Song auch kurze Tango-Sequenzen. Zu kurz um wirklich ein Statement zu sein, doch zu prominent platziert, um sie nicht wahrzunehmen. Wie auch die Andeutungen von traditionellen Kreistänzen, die immer wieder hier und da so schnell auftauchen wie sie wieder verschwinden.
Die 15 Tänzer*innen der GöteborgsOperans Danskompani scheinen Shechters unbändige Energie richtig zu genießen und kennen keine Zurückhaltung, wenn sie über die Bühne hechten, rutschen, rennen oder im engen Gruppenverband wuseln. „Contemporary Dance“ ist im großartigen Lichtdesign von Tom Visser eine emotionale Hochschaubahn. Begeisterter Jubel im Publikum bereits zur Halbzeit.
Nach diesem energiegeladenen Start hat es sogar Sharon Eyal schwer, die Aufmerksamkeit des Publikums zu bündeln. Auch sie hat einen einzigartigen, unverwechselbaren Stil entwickelt, bei dem sich die Tänzer*innen in körperbetonenden Trikots (hier von Dior-Designerin Maria Grazia Chiuri) als eine Art außerirdische oder nicht-menschliche Gemeinschaft präsentieren. Beinahe durchgängig auf Halbspitze getanzt, ist Eyals scheinbar einfache Bewegungssprache für die Tänzer*innen eine außerordentliche Tour de Force. Vielleicht erklärt das die Entscheidung, das „Saaba“ als zweite Stück des Abends zu präsentieren, auch wenn diese Abfolge dramaturgisch keinen Sinn ergibt. (Die stimmige "Bewegte Einführung" von Leonie Humitsch vor der Vorführung schafft dafür körperliches Verständnis.) In ihrer Uniformität vermitteln die Gebärden in der Gruppe den Wunsch nach Befreiung, aber diese Wesen sind in ihrem Bewegungsmodus auf Halbspitze gefangen, als wären sie von einer Macht außerhalb ihrer Kontrolle geleitet. Irgendwie dystopisch. Doch es ist die Konsequenz, mit der Eyal ihre künstlerische Vision umsetzt, die fesselt und die GöteborgsOperans Danskompani, die auch in diesem streng kodifizierten Tanz brilliert.
Das Ensemble ist im Opernhaus von Göteborg beheimatet und hat mit Katrin Hall eine erfahrene Leiterin, die zuvor bereits die Iceland Dance Company zu einem internationalen Markenzeichen entwickelt hat. Seit 2017 setzt sie ihre erfolgreiche Strategie mit der schwedischen Compagnie und Originalchoreografien der angesagtesten Choreograf*innen fort. Hofesh Shechter und Sharon Eyal führen diese Liga unbestritten an. Ein Wiedersehen mit ihnen gibt es übrigens bereits am 6. Oktober im Rahmen von „The Seven Sins“ mit Gauthier Dance im Festspielhaus St. Pölten. Und apropos Tanz aus Israel: Die Batsheva Dance Company, die unter ihrem Direktor Ohad Naharin die Generation dieser wegweisenden Choreograf*innen hervorgebracht hat, gastiert am 18. November ebendort.
GöteborgsOperans Danskompani;: Hofesh Shechter „Contemporary Dance”; Sahron Eyal “Saaba” am 23. September im Festspielhaus St. Pölten.